Der Landesrechnungshof (LRH) hat in einem überraschend vorgelegten „Schulbericht“ massive Kritik an der Bildungspolitik der rot-grünen Landesregierung geübt. „2170 Lehrer könnten rechnerisch zusätzlich Unterricht an Niedersachsens Schulen geben, wenn das Land diese nicht auch für außerunterrichtliche Angebote an Ganztagsschulen einsetzen würde“, heißt es in einer Mitteilung von LRH-Präsidentin Sandra von Klaeden. Tatsächlich aber würden Lehrer auch für Arbeitsgemeinschaften „wie Graffiti-AG oder die Spiele-AG oder die Mensa-Aufsicht eingeteilt – immer unter Anrechnung auf ihre Unterrichtszeit“. So sei es ein Fehler, Lehrer für reine Betreuungsaufgaben einzusetzen – gerade angesichts des akuten Lehrermangels.

Quelle: LRH

Das Problem wird sich nach Darstellung des LRH sogar noch verstärken, da es für die Grundschulen ab dem Schuljahr 2026/2027 einen gesetzlichen Anspruch auf ganztägige Betreuung gebe. Auch der von der Landesregierung vorangetriebene Ausbau der Ganztagsbetreuung erhöhe den Bedarf an Betreuungsangeboten. Die für den Bildungsbereich zuständige LRH-Senatorin Susanne Haack erklärte: „Damit sich die Lehrer wieder mehr auf ihr Kerngeschäft des Unterrichtens konzentrieren können, muss das Land sie von diesen Aufgaben entlasten. Dazu wird zusätzlich Personal benötigt wie pädagogische Mitarbeiter, IT-Experten und Verwaltungsfachleute.“

Susanne Haack | Foto: LRH/Regine Rabanus Photodesign, Hannover

Der Rechnungshof weist im Übrigen darauf hin, dass er in den vergangenen Jahren wiederholt auf die Defizite des effektiven Lehrer-Einsatzes hingewiesen habe, aber nichts geschehen sei. Nicht allein der Einsatz für Betreuungsaufgaben sei dabei das Problem. Nach einer LRH-Hochrechnung gehen allein 67,5 Vollzeitstellen an den niedersächsischen Grundschulen verloren, weil Lehrkräfte sich verstärkt mit der Wartung und Pflege der schulischen IT-Anlagen beschäftigen müssen. Dabei gehöre der Umgang mit Servern, Datenspeichern und Funknetzwerken nicht zur pädagogischen Ausbildung.

Wie der Rechnungshof weiter ermittelt hat, befassen sich landesweit 286 Lehrer – ein rechnerischer Wert – mit der Verwaltung und Bearbeitung von Schulgiro-Konten, über die beispielsweise die Lernmittelausleihe geregelt wird. Auch die Verwaltung von Geld, das für Klassenfahrten und Schulfahrten ausgegeben wird, ist hier vermerkt. Umgerechnet 57 Lehrer seien damit betraut, die noch immer per Hand eingegebene Abrechnung von Lehrer-Reisekosten zu übertragen. Dabei gebe es seit Jahren ausreichend Lizenzen für elektronische Verfahren für diese Aufgabe. All diese Umstände beschreiben aus Sicht von Sandra von Klaeden einen „dringenden Handlungsbedarf“.

Sandra von Klaeden | Foto: LRH/Regine Rabanus Photodesign, Hannover

Der LRH schreibt, dass zum Schuljahresstart im August 2023 von den ausgeschriebenen 1753 Lehrerstellen nur 1425 hätten besetzt werden können. „Nach Aussagen des Kultusministeriums sei der Pflichtunterricht auch bei einer Unterrichtsversorgung von unter 100 Prozent gesichert. Aktuelle Prüfungsergebnisse des LRH belegen allerdings, dass die Realität vor Ort in der Schule anders aussieht. Der Lehrkräftemangel führt vermehrt dazu, dass Unterricht nicht mehr verlässlich erteilt werden kann. So kommt es zu hohen Stundenausfällen, weil zum Beispiel Krankheitsfälle aufgrund fehlender Personalreserven nicht aufgefangen werden können.“ Ein weiteres Problem sei die Abordnung von Lehrern an Hochschulen, die eigentlich nur gestattet ist, wenn dadurch in der entsendenden Schule kein Mangel entsteht. Diese Voraussetzung indes sei, wie der LRH schon 2018 festgestellt habe, vielfach nicht beachtet worden.

Julia Willie Hamburg | Foto: MK/Brauers

Kultusministerin Julia Hamburg erklärte, man bedanke sich für viele Anregungen des LRH. Vieles, was dort gefordert werde, prüfe das Ministerium bereits. Es sei aber ein Irrglaube, wenn man meine, mit einigen wenigen Schritten die großen Probleme der Unterrichtsversorgung beheben zu können. Christoph Rabbow vom Philologenverband unterstützte die LRH-Kritik nachdrücklich. Es sei „aberwitzig“, Lehrer für die genannten Aufgaben einzusetzen.

Der GEW-Vorsitzende Stefan Störmer sagte, seine Organisation fordere seit langem die Verstärkung der Schulen mit zusätzlichem Personal. Allerdings werde man gute Leute nur finden, wenn es auch attraktive Arbeitsbedingungen für sie gebe. Seinen Bericht hatte der Landesrechnungshof schon vor mehreren Tagen verschickt, für die Veröffentlichung aber eine Sperrfrist (Donnerstag um 9 Uhr) genannt. In einigen wenigen Medien ist diese Sperrfrist missachtet worden.