Von Isabel Christian

 

Seit 22 Jahren dürfen Frauen in Deutschland in den ersten drei Monaten ihrer Schwangerschaft abtreiben lassen, ohne besondere Voraussetzungen zu erfüllen, die ihre Entscheidung rechtfertigen. Die Änderung des Strafrechtsparagrafen 218 in den heute gültigen Wortlaut war das vorläufige Ende einer Debatte, die seit Ende der sechziger Jahre Gesellschaft und Politik gespalten hat. Jetzt wird wieder über das Recht der Frau auf eine Abtreibung gestritten. Konkret geht es um den Anspruch der Frau, über die Möglichkeiten eines Schwangerschaftsabbruchs informiert zu werden. Auch im niedersächsischen Landtag stand das Thema auf der Tagesordnung. Soll Niedersachsen einen Vorstoß zur Abschaffung des strittigen Paragrafen 219a aus dem Strafgesetzbuch im Bundesrat unterstützen oder nicht? FDP und Grüne plädieren für ein eine klare Positionierung des Landes in der Ländervertretung. Doch die Regierungsparteien SPD und CDU in Niedersachsen wollen sich bei diesem Thema nicht entzweien lassen. Während sich die SPD in der gestrigen Debatte mit der Forderung zurückhielt, den Paragrafen ganz abzuschaffen, sprach sich die CDU dafür aus, den Passus anders formulieren zu lassen. Nur die AfD forderte die Beibehaltung des Status Quo.

Gerichtsurteil entfacht Debatte

Im Wortlaut besagt der Paragraf 291a, dass jemand, der öffentlich Schwangerschaftsabbrüche anbietet, anpreist oder Mittel und Verfahren zur Abtreibung beschreibt, um damit Geld zu verdienen, zu zwei Jahren Haft oder einer Geldstrafe verurteilt werden kann. Ausnahmen bilden nur Informationen gegenüber Ärzten und Einrichtungen sowie Veröffentlichungen in Ärzteblättern. Nicht legal ist es dagegen, wenn ein Arzt Patienten gegenüber offen zeigt, dass und wie er Abtreibungen vornimmt. Ein Beispiel ist die die Ärztin Kristina Hänel, die kürzlich vom Amtsgericht Gießen verurteilt worden ist, weil sie auf ihrer Internetseite über Schwangerschaftsabbrüche in ihrer Praxis informiert hatte. Das Gericht sah darin eine Werbung für Abtreibungen, die der Ärztin Patientinnen und damit Gewinn einbringen sollte. Hänel dagegen betonte, dass sie abtreibungswilligen Frauen nur eine medizinisch fundierte Information bieten wollte. Das Urteil hat die politische Aufmerksamkeit auf den umstrittenen Paragrafen gelenkt. Mehrere Bundesländer haben inzwischen signalisiert, im Bundesrat die Initiative zur Abschaffung des Paragrafen 219a ergreifen zu wollen.

 

Wie Niedersachsen sich dabei positionieren wird, wollten FDP und Grüne mit ihrem Vorstoß im Landtag in Erfahrung bringen. Beide Parteien fordern die Abschaffung des Paragrafen. Helge Limburg etwa sieht einen Widerspruch in den Paragrafen 218 und 219a: „Wenn die Frauen beraten worden sind und eine Bedenkzeit eingehalten haben, dann ist ein Schwangerschaftsabbruch legal“, sagt der rechtspolitische Sprecher der Grünen. „Warum wird dann aber der Hinweis auf diese erlaubte Handlung unter Strafe gestellt?“ Imke Byl, frauenpolitische Sprecherin der Grünen, nennt es eine „Verhöhnung der Frauen“, wenn sie Informationen über einen Schwangerschaftsabbruch nicht im Internet finden können, sondern aktiv einen Arzt oder eine Beratungsstelle aufsuchen und um Informationen bitten müssen. „Hier geht es um das Recht von Patientinnen auf Informationen zu einem medizinischen Eingriff – und nicht um Werbung.“

Informationsrecht ist Menschenrecht

Der FDP-Abgeordnete Marco Genthe sagte, er könne sich keine Frau vorstellen, die sich leichtfertig für eine Abtreibung entscheide, schon gar nicht durch Werbung. Der im Paragrafen 219a beschriebene Tatbestand sei aber so weit gefasst, dass er auch notwendige Informationen einschließe. „Das Informationsrecht ist aber ein Menschenrecht“, sagte Genthe. Stephan Bothe von der AfD dagegen sieht das Problem an anderer Stelle. „In anerkannten Beratungsstellen erhalten die Frauen problemlos Informationen und Ansprechpartner“, sagte der Abgeordnete. Statt den Paragrafen abzuschaffen müsse man vielmehr die Beratungsstellen stärken.

Die SPD-Abgeordnete Wiebke Osigus mahnte an, dass es in der Diskussion nicht darum gehe, wie man Schwangerschaftsabbrüche an sich bewerte. „Es geht schlicht um die Frage, ob jemand öffentlich den Abbruch einer Schwangerschaft gegen finanziellen Ausgleich anbieten darf oder nicht.“ Nach der geltenden Rechtslage fallen Ärzte unter das Verbot, weil sie für die Abtreibung ein Honorar bekommen. Osigus fragt in ihrer Rede, ob die Informationsvermittlung im persönlichen Gespräch zwischen Arzt und Patient noch zeitgemäß sei, wenn eine der ersten Anlaufstellen für Informationen das Internet ist. Doch für eine Abschaffung des Paragrafen spricht sie sich nur indirekt aus – womöglich in der Absicht, den konservativen Koalitionspartner nicht zu brüskieren. Sie lobt lediglich, der Vorstoß der SPD auf Bundesebene für die Abschaffung „geht in die richtige Richtung.“ Bezogen auf den Landtag meint sie aber nur, im Rechtsausschuss möglichst „einen gemeinsamen Nenner zu suchen“.

Kein Profit aus der Not von Frauen

Auch die CDU löst sich von ihrer harten Haltung, um ihrerseits der SPD entgegenzukommen. Man könne den Paragrafen expliziter fassen, um Werbung für Abbrüche weiterhin zu verbieten, sachliche Informationen wie Adressen von Ärzten aber zu ermöglichen, sagte der Abgeordnete Christian Calderone im Landtag. „Ich sehe mich im Einklang mit den Ärzten“, sagte der CDU-Sprecher für Rechts- und Verfassungsfragen. „Keiner sollte aus der Not von Frauen Profit schlagen können, aber die Frauen brauchen Informationen.“ Schaffe man den Paragrafen 219a ab, mache man sich die Lösung des Problems zu leicht. „Wir müssen stattdessen eine Definition versuchen, die beides vereint. Das ist eine Herausforderung.“