Ein weiteres Mal gibt Rot-Grün nach – und verzichtet an einem wichtigen Punkt auf die noch im Koalitionsvertrag 2013 festgeschriebene Absicht, das Polizeigesetz zu entschärfen: Der sogenannte „Unterbindungsgewahrsam“ soll wie bisher im Gesetz verankert auf maximal zehn Tage fixiert bleiben, soweit es Fälle von häuslicher Gewalt oder eben einer terroristischen Gefahr betrifft. Noch vor vier Wochen hatten Innenminister Boris Pistorius (SPD) und Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz (Grüne) darauf beharrt, dass es bei der von Rot-Grün seit 2013 geplanten Absenkung der Frist auf maximal vier Tage bleiben solle – im Sinne einer Verringerung der Polizeibefugnisse.

Die neue Marschrichtung wurde gestern überraschend in der Landtagsdebatte über einen neuen CDU-Entwurf zum Polizeigesetz bekannt. Die CDU will den „Unterbindungsgewahrsam“ sogar auf bis zu 18 Monate ausweiten. Dies entspreche dem BKA-Gesetz und sei rechtlich abgeklopft, sagte der CDU-Innenpolitiker Jens Nacke im Landtag. Sowohl Helge Limburg (Grüne), als auch Karsten Becker (SPD) und Jan-Christoph Oetjen (FDP) äußerten allerdings massive verfassungsrechtliche Zweifel bei den von der CDU vorgeschlagenen 18 Monaten. Immerhin handele es sich um Personen, die von der Polizei für gefährlich gehalten werden, obwohl sie noch keine Straftat begangen haben. „Das verträgt sich nicht mit der Unschuldsvermutung“, sagte Oetjen. Der FDP-Politiker hält aber auch die von Rot-Grün zunächst geplante Verkürzung von zehn auf vier Tage für verkehrt: Eine Frist von vier Tagen reiche oft nicht, um alle für ein Ermittlungsverfahren nötigen Informationen zu sammeln.

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In der Plenardebatte streuten dann sowohl Meta Janssen-Kucz (Grüne), als auch der SPD-Politiker Becker eher beiläufig ein, dass man nun im Fall einer terroristischen Gefahr doch an zehn statt vier Tagen Unterbindungsgewahrsam festhalten wolle. „Das ist eine Lehre, die wir aus der Situation in Göttingen gezogen haben“, fügte Becker hinzu. In Göttingen waren in der ersten Februarhälfte ein Algerier und ein Nigerianer festgesetzt worden. Bei ihnen hatte man Waffen und Hinweise auf einen möglichen Anschlagsplan gefunden, sodass die Polizei von möglichen terroristischen Gewalttätern ausging. Die Staatsanwaltschaft stellte auf Grundlage der polizeilichen Ermittlungen allerdings keinen Haftbefehl aus – folglich entschied das Innenministerium, die Abschiebung der beiden Männer in ihre Heimatländer (die sie, in Deutschland aufgewachsen, kaum kennen) in Gang zu setzen. Die Entscheidung über diese Abschiebungen steht nun noch aus. Obwohl die Polizei nach Ablauf der zehn Tage Unterbindungsgewahrsam noch keine wirklich belastenden Hinweise gefunden hatte und kein Haftbefehl erlassen wurde, spricht Rot-Grün jetzt von Lehren für die Reform des Polizeigesetzes.

Das ist nicht der erste Fall, in dem die Regierungsfraktionen beim Polizeigesetz zurückrudern. Im November wurde der ursprüngliche Plan, verdachtsunabhängige Kontrollen der Polizei nur nach strikten Auflagen zu erlauben (erst nach einem ausdrücklichen Einverständnis des Polizei-Vorgesetzten), aufgegeben. Polizeipraktiker hatten zuvor gerügt, das im Koalitionsvertrag gepriesene Vorhaben sei zu bürokratisch und unpraktikabel. Ende Januar kündigten Pistorius und Niewisch-Lennartz an, die Fußfessel für islamistische Gefährder als Möglichkeit ins Polizeigesetz zu schreiben – und die Möglichkeiten für die Videoüberwachung auszudehnen. Im Koalitionsvertrag von 2013 war noch die Einschränkung der Videoüberwachung angekündigt worden.