Den „idealen Rahmen für Geschäftstreffen“ biete die üstra-Remise – so wirbt das hannöversche Verkehrsunternehmen für seinen Veranstaltungsort, direkt in der City gelegen neben dem Rotlicht-Viertel der Landeshauptstadt. Ein Geschäftstreffen war die Veranstaltung am gestrigen Abend für Christiane Dienel, angeschlagene Präsidentin der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst in Hildesheim (HAWK), eher nicht. „Wo beginnt israelbezogener Antisemitismus?“, so lautete der Titel der Podiumsdiskussion und er bezog sich direkt auf das umstrittene Seminar an der HAWK, das der Hochschule die Antisemitismus-Vorwürfe eingebracht hat. Christiane Dienel musste in der über zweieinhalbstündigen Veranstaltung vor rund 130 Teilnehmern eine Menge Kritik einstecken. Sie selbst bot aber auch allzu viel Anlass dafür.

Im Fokus der Diskussion: HAWK-Präsidentin Christiane Dienel - Foto MB.

Im Fokus der Diskussion: HAWK-Präsidentin Christiane Dienel – Foto MB.

Dabei lief es zu Beginn nicht schlecht für Dienel. Sie erntete einige Lacher für die Bemerkung, der Moderator und die anderen Teilnehmer hätten sie für ihren Mut beglückwünscht, an der Diskussion teilzunehmen. Und man konnte zunächst den Eindruck gewinnen, die zuletzt schweigsame Hochschul-Präsidentin strecke die Hand zur Versöhnung aus. An einem Punkt wolle sie ausdrücklich um Verzeihung bitten, begann Dienel: Dabei gehe es um die Qualität des betroffenen Seminars. Die Mechanismen, die wissenschaftliche Qualität sicherzustellen, hätten nicht optimal gegriffen, vielleicht sogar punktuell versagt. „Es tut mir unendlich leid, dass dieses Seminar den Qualitätsansprüchen nicht genügt hat und dass es offensichtlich auch Gefühle verletzt hat. Das hätten wir anders machen müssen.“ So weit, so gut, doch dann kam das Aber. „Aber der Vorwurf, dass dieses Seminar eindeutig antisemitisch gewesen sei, den weise ich zurück.“

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Die Mitdiskutanten auf dem Podium sahen das anders. Anetta Kahane, Vorsitzende der Amadeu-Antonio-Stiftung, die dem Seminar in einem Kurzgutachten Antisemitismus attestiert hatte, ging im Laufe der Diskussion mit Dienel hart ins Gericht. Sie wundere sich darüber, warum man für die Teilnahme an der Veranstaltung Mut brauche. „Es wird so getan, als ob die Hochschule in der Opferrolle wäre.“  Auch Wolfram Stender, Professor an der Hochschule Hannover kritisierte das Seminar scharf. Da habe jemand den Unterschied zwischen Seminar und Propaganda nicht verstanden. „Soll so etwas von der Freiheit der Lehre gedeckt sein?“, fragte er provokant.

Immer wieder ging es auch um die Kommunikation der Präsidentin. Bei der Absetzung des Seminars habe Dienel gesagt, ein sicheres Umfeld für Lernende und Lehrende sei nicht mehr gegeben – das mache ihn stutzig, sagte Kay Schweigmann-Greve, Vorsitzender der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Hannover. „Soll das heißen, Juden sind so gefährlich, dass man die Studenten davor schützen muss? Das hat mich ernsthaft  verblüfft.“

Für den Geschäftsführer des Zentralrats der Juden, Daniel Botmann, stand im Laufe des Abends fest, dass das Seminar zwar problematisch war. Das Problem habe sich aber inzwischen auf die Leiterin der Hochschule verschoben, die gebetsmühlenartig wiederhole, dass das Seminar nicht eindeutig antisemitisch war. Botmann: „Dieses Seminar war dezidiert antisemitisch und es verbreitete Israel-Hass. Auch ohne ein Gutachten weiß man genau, wessen Geistes Kind die Ersteller dieser Unterlagen sind.“

Teilweise hitzig wurde die Diskussion später mit er Beteiligung der Zuschauer. Dabei warf der wortgewaltige Publizist Henryk M. Broder der HAWK-Präsidentin eine extrem naive und unbedarfte Sichtweise vor. Die Debatte erinnere ihn an einen alten jüdischen Witz: „Kommt ein Mann zu seinem besten Freund und fragt ihn: Wie ist denn Deine Frau so im Bett? Antwortet der andere: Die einen sagen so, die anderen so.“ Beim Antisemitismus gebe es dagegen keine Vielfalt der Sichtweisen. „Sie äußern sich klar antisemitisch“, ging Broder Christiane Dienel direkt an. Eine HAWK-Studentin bemängelte die Kommunikation der Hochschulleitung, ein anderen Zuschauer verteidigte Dienel und sprach von einer öffentlichen Hinrichtung.

Dienel selbst machte es sich an dem Abend nicht leichter. Sie beharrte darauf, dass es sich beim Vorwurf des Antisemitismus gegen das Seminar um Behauptungen handele. „Die antisemitische Diskussion wird immer als moralische Diskussion geführt. Ich fühle mich deshalb verpflichtet, mich vor meine Hochschule zu stellen.“ Es gehe schließlich auch um das Ansehen der Hochschule. Kein Wunder, dass ihr Satz „Ich wäre die Letzte, die leugnen würde, dass es Antisemitismus gibt“ für leise Lacher im Publikum sorgte.

Auch Landespolitiker griffen Dienel gegen Ende der Veranstaltung an. „Wenn ich noch einmal so ein Seminar irgendwo sehe, stehe ich vor der Tür und organisiere eine Demonstration“, sagte Michael Höntsch, Sprecher gegen Antisemitismus der SPD-Landtagsfraktion. Er zeigte sich überzeugt, dass es das Seminar ohne die massive Berichterstattung nach wie vor an der HAWK geben würde. Die CDU-Landtagsabgeordnete Karin Bertholdes-Sandrock meinte: „Ich bin enttäuscht und auch entsetzt. Sie haben sich immer nur formalistisch argumentiert. Sie hätten eine faire Chance gehabt, heute darüber zu sprechen, wo Sie Ihre eigene Verantwortung sehen und Sie haben Sie nicht genutzt.“

Der CDU-Wissenschaftspolitiker Jörg Hillmer sagte nach der Veranstaltung im Gespräch mit dem Rundblick, Dienel habe durch ihre Äußerungen ihr persönliches Schicksal mit dem Gutachten verknüpft, welches das Zentrum für Antisemitismusforschung in Berlin derzeit erstellt. Das werde für sie zum Problem, wenn das Gutachten zu dem Ergebnis komme, dass es antisemitische Inhalte in dem Seminar gegeben hat.

Christiane Dienel wird sich den 15. November im Kalender besonders markiert haben. An diesem Dienstag im Herbst soll das Gutachten aus Berlin dem Wissenschaftsministerium in Hannover vorliegen. Vom Inhalt könnte ihre weitere Karriere an der HAWK abhängen – seit dem Abend stärker als zuvor. (MB.)

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