Es kommt sicherlich nicht allzu häufig vor, dass sich eine Frau im Rathaus nahezu komplett entblößt. Am vergangenen Freitag aber konnte man einen solchen Vorgang beobachten. Im Neuen Rathaus von Hannover zog sich die Burlesque-Künstlerin Tronicat la Miez lustvoll zum Takt der Musik und dem Applaus des anwesenden Publikums fast in Gänze aus und räkelte sich anschließend in einer überdimensionierten Champagnerschale. Anlass für dieses ungewöhnliche Spektakel war die 35-Jahr-Feier von „Phoenix e.V.“, dem landesweit einzigen Verein, der sich für die Belange von Sexarbeiterinnen in Niedersachsen einsetzt.

Tronicat la Miez | Foto: Marlin Arlack

„Zu Sexarbeit wird verschämt geschwiegen und trotzdem wird sie täglich in Anspruch genommen“, sagte Hannovers Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne), der den Verein mit seiner Anwesenheit ehrte und den engagierten Mitarbeiterinnen für ihre Arbeit Anerkennung zollte.

„Zu Sexarbeit wird verschämt geschwiegen und trotzdem wird sie täglich in Anspruch genommen.“

Den womöglich von manchem als provokant empfundenen Auftritt von Tronicat la Miez muss man wohl auch vor genau diesem Hintergrund einer verschmitzt wegsehenden Gesellschaft bewerten. Die Botschaft von „Phoenix e.V.“ lautet sodann: Es ist kein Makel, mit Sex Geld zu verdienen. Das Stigma oder die prekären Umstände verhinderten jedoch häufig eine Teilhabe an politischen Entscheidungsprozessen.

Belit Onay | Foto: Marlin Arlack

Der Verein, sagte Hannovers Oberbürgermeister, habe den betroffenen Frauen allerdings nicht nur einen Anlaufpunkt gegeben und sie gesundheitlich beraten. „Phoenix“ sei für die Stadt auch ein wichtiger Ansprechpartner geworden, um die Belange der Betroffenen mit einzubeziehen. Das spiele etwa eine Rolle, wenn es um Drogenkonsum an bahnhofsnahen Plätzen geht oder wenn darüber diskutiert wird, den Straßenstrich zu verlegen. Dies, berichtete Onay, sei gerade eine Frage, die im Zusammenhang mit dem Abriss des ehemaligen Postcheckamts vom Investor dieses direkt am Straßenstrich gelegenen Grundstücks aufgeworfen worden war.

Stolz auf das Erreichte: Eva-Maria Müller-Beuße, Marianne Rademacher und Caroline Eisenhauer aus dem Phoenix-Vorstand schildern die Entwicklung des Vereins, der sein Angebot stets anpassen musste. | Foto: Marlin Arlack

Vor neuen Herausforderungen stand der Verein „Phoenix“ in seiner 35-jährigen Geschichte häufig. Da ein selbstbestimmtes und selbstbewusstes Arbeiten für Prostituierte ohnehin kaum möglich gewesen sei und als dann auch noch in den 1980er-Jahren die Aids-Pandemie hinzukam, entschlossen sich 1987/88 aktive und ehemalige Sexarbeiterinnen sowie Unterstützer derselben, sich in einem Verein zu organisieren, schilderte Marianne Rademacher, die aktuelle Vorsitzende, die Anfänge von „Phoenix“. Ging es zunächst noch um Aufklärung über sexuell übertragbare Krankheiten und lebenspraktische Hilfen für Prostituierte, kamen mit den Jahren neue Themen hinzu.

Zu Beginn der 1990er-Jahre stellte man fest, dass Sexarbeiterinnen immer häufiger Drogen konsumierten, und gründete als Reaktion darauf „La Strada“, eine Fachberatungsstelle für drogengebrauchende Frauen, berichtete die Zweite Vorsitzende Eva-Maria Müller-Beuße. Als man bemerkte, dass zunehmend Frauen aus Osteuropa in dem Gewerbe anfingen, erweiterte man das Beratungsangebot auf Mitarbeiterinnen mit russischen, polnischen und bulgarischen Sprachkenntnissen. Auf die Schattenseite des Betriebs, die Zwangsprostitution, reagierte man 1997 mit einer landesweiten „Koordinierungs- und Beratungsstelle Menschenhandel“, die bis 2017 aktiv war. Vom Verein kam zudem noch ein Nachttreff hinzu, der später den Namen „Nachtschicht“ erhalten sollte. Aktuell arbeiten knapp mehr als ein Dutzend Sozialarbeiter in all diesen Einrichtungen zusammen.

Niedersachsen bringt sich in Novelle des Prostituiertenschutzgesetzes ein

Für anhaltende Verunsicherung sorgt unterdessen das sogenannte Prostituiertenschutzgesetz von 2017, wie Caroline Eisenhauer aus dem „Phoenix“-Vorstand zu berichten wusste. Insbesondere die darin festgeschriebene Zwangsberatung wird kritisiert. Andrea Frenzel-Heiduk, Referatsleiterin im niedersächsischen Sozialministerium, drückte bei der 35-Jahr-Feier des Vereins ihr Verständnis dafür aus, dass alles, was mit einem Zwang verbunden ist, rasch auf Widerstand stoße. Allerdings merkte sie an: „Das Gesetz versucht, Menschenhandel und Prostitution zu verhindern. Die Idee ist Schutz und nicht Gängelung.“ Das Land Niedersachsen setze sich bei der aktuell laufenden Evaluation und der dann folgenden Novellierung des Gesetzes dafür ein, ein entscheidendes Detail zu ändern.



In Paragraph 8 schreibt das Prostituiertenschutzgesetz derzeit noch mit einer Kann-Bestimmung vor, dass die jeweilige Behörde, wenn es um den Umgang mit Sexarbeiterinnen geht, eine fachliche Beratungsstelle hinzuziehen könne. Daraus wolle man künftig eine Soll-Stimmung, und damit diesen Schritt tatsächlich verpflichtend machen. Dies bedeute allerdings auch, dass das Angebot von „Phoenix“, das zwar von der Idee her von allem Anfang an auf das ganze Land Niedersachsen zielte, aber seine Beratungsstelle de facto in der Landeshauptstadt hat, weiter ausgedehnt werden müsste, so Frenzel-Heiduk. „Es braucht deutlich mehr Beratungsstellen“, sagte sie und versicherte, dass dabei auf das Knowhow des Vereins auch in Zukunft zurückgegriffen werden soll. Derzeit arbeitet „Phoenix“ daran, mit einer neuen Beratungsstelle in Oldenburg ein Angebot für den Nordwesten des Landes aufzubauen. Doch ein solches Angebot braucht neben der Akzeptanz und Offenheit von Politik und Verwaltung ganz entscheidend auch noch etwas anderes: Geld.