Die Corona-Pandemie gilt als überwunden. Doch diese Phase mit ihren Unsicherheiten und ihren strengen Schutzmaßnahmen hat Wunden hinterlassen. Menschen wurden persönlich verletzt, ganze Bevölkerungsteile stehen einander noch immer unversöhnlich gegenüber. Eine Aufarbeitung konnte aber angesichts der neuen Krisen bislang nicht vorgenommen werden. Was kann helfen? Ein Blick auf das Narbengewebe, das sich auf der Seele der Gesellschaft gebildet hat. Heute: die Rolle der Medien.

Medien | Foto: simonkr/GettyImages

In den kommenden Wochen soll in dieser Serie empathisch, aber auch kritisch auf verschiedene Bereiche der Gesellschaft und deren Umgang mit den Herausforderungen der Corona-Pandemie zurückgeblickt werden. Da sich an dieser Stelle dann schon wieder „die Medien“ aufschwingen, die Welt zu deuten, ist es nur fair, dass hier mit einer kritischen Selbst-Betrachtung begonnen wird. Wie sind denn eigentlich die Medien, die Medienschaffenden mit der komplexen Situation seit Anfang 2020 umgegangen? Und welche strukturellen Voraussetzungen haben die Berichterstattung vielleicht in die eine oder andere Richtung beeinflusst?


Zu Beginn des Jahres 2020 kam das Virus in der Landespressekonferenz spürbar näher. In einer im Nachhinein recht absurd wirkenden Sitzung musste der damalige Sprecher des Wirtschaftsministeriums Fragen darüber beantworten, ob so ein Virus eigentlich an Frachtcontainern haften bleibt, die aus China über die Ozeane an norddeutsche Häfen gebracht werden. Es war so eine Sitzung, in der Journalisten recht albern wirkende Fragen stellten, und die Sprecher relativ sprachlos wirkten, weil einfach niemand sich mit dem auskannte, was da auf dem Vormarsch war. Und noch war es doch relativ weit weg, den Tonfall deshalb sogar etwas flapsig: Wird schon nicht so schlimm sein. Dass es doch ernster wurde, merkte man in den darauffolgenden Wochen daran, dass sich die Zusammensetzung der Experten änderte: Ein Virologe, Fabian Feil, trat erstmals auf – heute ist er Präsident des Landesgesundheitsamtes. Und später wurden dann die Rechtsexperten des Corona-Krisenstabs Dauergäste der LPK. Es verschob sich in der landespolitischen Berichterstattung etwas Gewaltiges: Politikredakteure berichteten plötzlich über epidemiologische Erkenntnisse und die juristischen Folgen. Vielleicht passte da schon etwas nicht zusammen.

Pressearbeit mit Distanz: Auch die Landespressekonferenz hat ihre Arbeitsweise an die Umstände der Pandemie anpassen müssen. | Foto: Kleinwächter

Am Anfang stand also eine gute Portion Unsicherheit – und Unkenntnis. Ein Kollege vom Norddeutschen Rundfunk, Arne-Torben Voigts, beschrieb kürzlich in einem NDR-Podcast, wie er diese Zeit empfunden hat. Er berichtete im Gespräch mit Regionalbischöfin Petra Bahr, dass noch heute regelmäßig Frauen in weißen Kitteln und mit Schildern, auf denen die Wörter „Vertrauen“ und „Aufarbeitung“ geschrieben stehen, vorm Funkhaus in Hannover stünden. Einmal sei er hingegangen und habe sie gefragt, was sie da eigentlich machten, worum es ihnen ginge. Die Demonstrantinnen wollten, erfuhr er, die Rolle der Medien in der Corona-Pandemie aufgearbeitet haben, weil sie diese der Lüge bezichtigten. Voigts berichtete weiter, dass er den Wunsch nach Aufarbeitung teile, und der Außensicht der Frauen eine Sicht aus dem Inneren des Medienbetriebs gegenüberstellen wollte.

Im Folgenden habe er versucht zu schildern, dass beim NDR auch nur einzelne Menschen seien, die jeden Tag zur Arbeit kämen, in den unterschiedlichsten Zusammensetzungen, in unterschiedlichen Teams. „Als es losging, haben viele Angst gehabt“, erzählte Voigts. Kollegen seien „wie ein kopfloses Huhn durchgerauscht“ und hätten Angst davor gehabt, dass alle sterben könnten. „Es war eine ganz, ganz große Verunsicherung.“ Auf der Suche nach Orientierung sei man dann auf bundesweit knapp zehn Experten gekommen, die sich wirklich in diesem Fach, mit diesem Virus auskannten, sagte er: „Acht von denen sind in eine Richtung gegangen, Team Drosten, und zwei sind in eine andere Richtung gegangen. Und dann war für uns, die wir hier arbeiten, die Frage: Wer hat recht? Vermutlich die Mehrheit. Dann geht man erstmal diesen Weg.“ Was er vermitteln wollte und was eine sehr ehrliche Antwort aus dem Inneren der Medien-Bubble ist: Auch in den Redaktionen sitzen keine „Superprofis“, die alles schon immer wissen – sondern auch dort war es „am Anfang ein Herantasten und ein Stochern im Nebel“.

Virologen und Juristen, wie hier die Vize-Chefin des Corona-Krisenstabs saßen plötzlich Politikjournalisten gegenüber. | Foto: Link

Darüber, wie die Medien über die Pandemie berichtet haben, wurde tatsächlich schon einiges gesagt und geschrieben. Die Rudolf-Augstein-Stiftung hat sogar eine viel beachtete wissenschaftliche Studie zu dieser Fragestellung erarbeitet. Dabei wurde festgestellt, dass die Medien zunächst viel über die Corona-Schutzmaßnahmen berichtet und sich dabei in der Verantwortung gesehen hätten, die Umsetzung der Regeln zu erklären. Es sei vielfach darum gegangen, was der einzelne Bürger tun konnte – und zunächst weniger um systematische Reflexion des Krisenmanagements an sich. Die Studie bilanziert, dass in der Berichterstattung eine positive Bewertung der Maßnahmen überwogen habe. Gleichzeitig sei die Sicht der Betroffenen, der Infizierten, ebenso wenig ausgeprägt vorgekommen wie die Sichtweise von Maßnahmenkritikern oder sogenannten „Querdenkern“ – dafür seien aber vielfach Wissenschaftler genannt worden, die zuvor und auch danach kaum in der Öffentlichkeit wahrgenommen wurden.

Der bekannteste Protagonist der wissenschaftlichen Expertise war wohl Christian Drosten, der mit seinem NDR-Podcast zum großen Erklärer der Pandemie geworden war. Nicht nur aus niedersächsischer Perspektive muss dann aber schon bald Prof. Viola Priesemann aus Göttingen genannt werden. Die Physikerin vom Max-Planck-Institut ist in dieser Betrachtung vor allem deshalb so interessant, weil sie sehr früh und nachhaltig die Rolle der Medien und der Wissenschaftskommunikation kritisch reflektiert hat. Beispielhaft kann man sich dazu einen Vortrag anhören, den sie vor gut einem Jahr vor der niedersächsischen Akademie der Wissenschaften gehalten hat. Unter dem Titel „Zwischen Heldin und Hassfigur“ hat sie darin ihren Berufskollegen dargestellt, welche Lehren sie aus dem Zusammenprall von (politischen) Medien und der Wissenschaftswelt gezogen hat. Sie erklärte, dass es für die Wissenschaft normal sei, das Emotionale und Polarisierende so gut wie möglich aus dem Prozess herauszunehmen. „Aber Covid-19 ist nicht nur ein wissenschaftliches, sondern auch gesellschaftliches, politisches Thema.“ Und daraus folgte: „Egal, wie man sich äußert, man wird von der einen oder anderen Seite schnell vereinnahmt.“ Das Fachwissen sei extrem schnell in die öffentliche Diskussion gezogen worden.

Wissenschaftlerin mit kritischem Blick auf die Medien: Prof. Viola Priesemann. | Foto: Julia Steinigeweg

Diese Kritik bezog sie eher auf die Politiker, die Medien betrifft aber folgende Darstellung: Das Zuspitzen und das Suchen der Aufmerksamkeit liegen nicht zuletzt in der Kommerzialisierung der Medien begründet, führte sie aus. Im Zusammenhang mit der Pandemie-Berichterstattung sei es ihr, die mit Modellen und Szenarien arbeitet, häufig passiert, dass die Medien schnell das extremste Szenario herausgriffen. Zur Verdeutlichung, wie verzerrend dies sei, übertrug Priesemann in ihrem Vortrag dieses Vorgehen auf banalere Erkenntnisse: Man könne wissenschaftlich belegt zu der Aussage kommen, dass der Mensch bis zu 2,52 Meter groß wird. Lese man das so, komme man aber schnell zu dem Urteil, dass alle Krankenhausbetten und alle Türrahmen zu klein gebaut seien. Dass dann auch noch Titel und Schlagzeilen häufig nicht mehr von denen formuliert würden, die einen Artikel zuvor geschrieben haben, beklagte sie ausdrücklich: „Dient das noch der Kommunikation oder der Polarisation?“ Diesen Mechanismus zu verstehen, hält Priesemann für außerordentlich wichtig, um sich für die nächste politisch aufgeheizte Wissenschaftskommunikation zu wappnen: die Klimakrise.

„Wie kann ruhigere Kommunikation gelingen?“ Das fragt die Wissenschaftlerin am Ende ihres Vortrags. Ihr Beitrag ist es, den Medien den Spiegel vorzuhalten. Aber schauen wir auch hinein?