Die Landesregierung demonstriert Härte gegen alle Erscheinungsformen des Antisemitismus, die in jüngster Zeit enorm zugenommen haben – auch in Niedersachsen. Allein fünfmal hat es in den vergangenen Tagen Vorfälle gegeben, die im Zusammenhang mit Israel-Fahnen stehen. Unbekannte Täter haben diese entwendet, abgerissen, teilweise wohl auch versucht, sie anzuzünden.

Unbekannte haben am Mittwoch versucht, die Israel-Fahne am historischen Rathaus Stade herunterzureißen und sind dabei auch ins Gebäude eingedrungen. Bürgermeister Sönke Hartlef verurteilte den Vorfall aufs Schärfste. | Foto: Hansestadt Stade

Es gab etliche Solidaritäts-Demonstrationen mit dem Palästinensischen Volk, wobei die Grenze zwischen Meinungsfreiheit und unerlaubter Hetze dann überschritten wird, wenn bei solchen Gelegenheiten von Rednern das Existenzrecht Israels bestritten oder zu Gewalt gegen Israel aufgerufen wird. Jetzt gibt es politische Konsequenzen in Berlin und Hannover, die als Vorkehrung gegen derlei ausufernden Antisemitismus verstanden werden können. In Berlin hat Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) gefordert, dass Straftaten im Bereich des Antisemitismus nicht mehr automatisch der Kategorie „rechts“ gewidmet werden, sobald der Täter unbekannt ist. Es soll stärker als bisher festgehalten werden, wenn die Motivation einen ausländischen oder religiösen Hintergrund hat. In Hannover hat Justizministerin Kathrin Wahlmann (SPD) am Montag mitgeteilt, dass das Land „mit aller Entschlossenheit gegen antisemitische Straftaten und Terrorverherrlichung“ vorgehen will. Wahlmann geht zudem in eine ähnliche Richtung wie Faeser.

Kathrin Wahlmann | Foto: MJ

Im Justizbereich gilt laut Wahlmann nun ein Erlass, der klarstellt: Verfahren wegen antisemitischer Straftaten werden grundsätzlich nicht wegen Geringfügigkeit oder gegen eine Geldauflage eingestellt. Sie sollen bei hinreichendem Tatverdacht immer in eine Gerichtsverhandlung münden. „Es wird grundsätzlich Anklage erhoben oder ein Strafbefehl beantragt.“ Wahlmann fügte hinzu, sie habe die statistische Erfassung aller Straftaten veranlasst, die sich im Zusammenhang mit den aktuellen Terroranschlägen der Hamas ereignen. Dies ergänze die bisherige Erfassung der Straftaten mit antisemitischem Hintergrund. „So bekommen wir ein umfassendes Bild von der Lage“, fügte die Ministerin hinzu.

Die Mitteilung Wahlmanns steht vor dem Hintergrund einer bisherigen statistischen Gewichtung von antisemitischen Vorkommnissen, die offensichtlich von Experten zunehmend angezweifelt wird. So hatte die Vorgängerin von Wahlmann, Justizministerin Barbara Havilza (CDU), schon im Mai 2021 vor einer „falschen Zuordnung des islamistisch motivierten Antisemitismus“ gewarnt. Es ging ihr damals um Fälle, in denen antisemitische Vorgänge ohne klaren Bezug zu einer bestimmten Tätergruppe registriert wurden. Das könnten etwa Schmierereien „Juden raus“ oder ähnliche Hass-Botschaften sein. Nach der bisherigen Praxis der polizeilichen Kriminalstatistik von Bund und Ländern werden diese Taten automatisch dem Extremismusphänomen „rechts“ zugeordnet, sollten keine näheren Hinweise auf die Urheber vorhanden sein. Ähnlich ist es bei Demonstrationen, die sich aus unterschiedlichen Teilnehmerkreisen zusammensetzen.

Dies, so meinte Havliza damals, könne gefährlich sein, wenn sich im islamistischen Bereich eine Welle an Antisemitismus anstaue – ohne dass dies von den Behörden ausreichend registriert wird. Wahlmanns Anordnung in die Richtung einer genaueren Erfassung von Straftaten kann nun genau so verstanden werden, wie es Havlizas Absicht schon 2021 war. Auch Faesers Anweisung zielt dahin. Innenministerin Daniela Behrens (SPD) erklärte am Montag im Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick: „Die Erfassungskriterien unterliegen einer ständigen Evaluation. Das geschieht durch eine bundesweite Arbeitsgruppe, in der auch Niedersachsen vertreten ist. Der Impuls der Bundesinnenministerin wird dort sorgfältig geprüft werden.“ Als Havliza 2021 vorpreschte, reagierte ihr damaliger Kollege Boris Pistorius, der eigentlich für diesen Bereich zuständige Innenminister, verschnupft. Er lehnte den Plan der Justizministerin ab und meinte, islamistisch motivierter Antisemitismus werde jetzt auch schon dort statistisch eingeordnet. Außerdem stimme es nicht, dass bei fehlenden Täterhinweisen automatisch die Zuordnung bei „rechts“ geschehe.



Dieser Behauptung stehen aber Hinweise entgegen, dass es zwischen dem BKA und den Landeskriminalämtern eine Vereinbarung gibt, wonach antisemitische Straftaten dem Phänomen „rechts“ zugewiesen werden, sollten sich aus den Umständen der Tat keine gegenteiligen Anhaltspunkte ergeben. Dieser Sachverhalt ergibt sich ja offenbar immer dann, wenn Hinweise auf Täter ganz fehlen – was häufig der Fall ist. In Niedersachsen gab es nach den herkömmlichen Kriterien 2022 insgesamt 1725 Fälle der politisch motivierten Kriminalität von rechts, 693 von links und 153 von einer ausländischen Ideologie. Religiös motivierte Gewaltkriminalität war 2022 in der Minderheit mit nur 45 Fällen.