Die Blicke sind ernst, die Neigung zu Scherzen hält sich in Grenzen: In diesen Tagen wirken führende Landespolitiker ganz so, als sei ihnen überhaupt nicht wohl zumute angesichts der sich weiter zuspitzenden Weltlage. „Die Situation ist extrem schwierig. Wir können es schaffen, dort heil herauszukommen – aber wir müssen uns dafür sehr anstrengen“, sagt Umweltminister Olaf Lies (SPD). CDU-Landtagsfraktionschef Dirk Toepffer meint: „Ich wundere mich, dass erst jetzt zum Energiesparen aufgerufen wird. Das hätte man schon viel früher tun sollen.“

Beide demonstrieren in einem Punkt Einigkeit – die Laufzeitverlängerung für Kernkraftwerke, befürwortet von FDP-Fraktionschef Stefan Birkner, helfe nicht weiter. „Die nötigen neuen Brennstäbe wären sehr teuer und würden erst sehr spät geliefert werden“, sagt Toepffer. „Eine Laufzeitverlängerung hieße, die Leistung der Brennstäbe zu strecken – wir hätten also weniger statt mehr Strom aus den Atomkraftwerken“, ergänzt Lies. Zwar hat sich auch CDU-Chef Friedrich Merz für die Kernenergie stark gemacht – „aber die CDU in Niedersachsen sieht das anders“, betont Toepffer.

Energieminister Olaf Lies (SPD) ist besorgt: „Die übliche Haltung: ,Es wird schon irgendwie klappen‘ zieht dann nicht mehr.“ | Foto: Wallbaum

Was aber soll dann geschehen? Lies, der auch Vorsitzender der Energieministerkonferenz der Bundesländer ist, hat die Ausgangslage sehr drastisch skizziert: Über Nord-Stream I kommt derzeit nur 40 Prozent der möglichen Menge an russischem Gas in Deutschland an, im Juli wird die Leitung für zehn Tage zu Wartungsarbeiten abgeschaltet – für Lies unter den gegenwärtigen Umständen ein „politischer Schritt“ von Putin, die Deutschen unter Druck zu setzen. Nun sind mehrere Szenarien entwickelt worden, wie es danach weiter geht – das schlimmste sieht so aus: Womöglich wird nach Abschluss der Wartung gar kein russisches Gas mehr geliefert.

Die Lage würde sich dann verschlimmern, sofern die Appelle zum gedrosselten Energieverbrauch in Deutschland fruchtlos bleiben, die LNG-Gaslieferungen nicht wie erhofft laufen und die Gasexportpflichten an benachbarte Staaten, die bisher Anspruch auf bestimmte Gasmengen aus den deutschen Speichern haben, nicht ausgesetzt werden können. In diesem Fall, meint Lies, werden die derzeit zu 59 Prozent gefüllten deutschen Gasspeicher über den kommenden Winter so intensiv beansprucht werden, dass diese Mitte Juni 2023 nur noch zu einem Zehntel Inhalt hätten. „Das würde dann nicht reichen, durch den Winter 2023/2024 zu kommen.“ Erschwerend komme hinzu, dass die Hoffnung auf mehr Gas aus Norwegen auch nicht mehr besteht – „die Norweger müssen dann vor allem an Polen liefern“. Lies‘ Blick wird ernst, er betont: „Die übliche Haltung: ,Es wird schon irgendwie klappen‘ zieht dann nicht mehr.“



Der Umweltminister stützt nun, wie er sagt, die Pläne der Bundesregierung für mehrere Schritte. Die Gaskraftwerke, die vorrangig Strom (und nicht auch Fernwärme) produzieren, sollen abgeschaltet werden. 15 Prozent des Gases werden in Deutschland derzeit für die Stromerzeugung genutzt, 33 Prozent für die Industrie und 50 Prozent für Wärme- und Fernwärmeversorgung. Anstelle der Gas- sollen Kohlekraftwerke den Strombedarf decken – etwa das in Sehnde-Mehrum. Eigentlich waren sie für die Abschaltung vorgesehen und sind teilweise für wenig Geld verkauft worden, jetzt werden diese Kohlekraftwerke zu Rettern in der Not.

CDU-Fraktionschef Toepffer wendet hier kritisch ein: „Dass es mal so kommen würde, hätte man schon länger ahnen können. Ich wundere mich, warum jetzt erst so spät dieser Weg eingeschlagen wird.“ Lies räumt ein: „In der Tat hätten manche Schritte früher geschehen können. Falsch wäre es aber gewesen, wenn die Bundesregierung dem Rat gefolgt wäre, von sich aus die russischen Gasimporte einzustellen. Dann hätten wir die Gasspeicher nicht auffüllen können.“

„Es ist wichtig, dass nicht nur die großen Unternehmen in den Blick kommen, sondern auch kleinere, etwa Kühlhausbetreiber.“

Der Plan der Bundesregierung sieht weitere Schritte vor – die Industrie soll freiwillig bisher genutzte Gas-Anteile nicht nutzen und diese dann in einer Art Auktion zur Verfügung stellen, sich den Verzicht also bezahlen lassen. Lies meint: „Es ist wichtig, dass hierfür nicht nur die großen Unternehmen in den Blick kommen, sondern auch kleinere, etwa Kühlhausbetreiber.“ Auch die Verbraucher sollen ihr Verhalten ändern, so wird zum Energiesparen aufgerufen. Die Heizkörper um ein Grad zu reduzieren, könne die Stromkosten um fünf Prozent verringern. Ein hydraulischer Abgleich an der Heizanlage, vom Installateur ausgeführt, könne Wunder wirken.

Wirtschaftsminister Robert Habeck meint, die Bürger würden schon durch die kräftig erhöhte Gas-Abrechnung dazu gezwungen werden. Lies meint, er halte gleichwohl eine Prämie für die Handwerker – etwa 100 Euro für jede überprüfte und neu eingestellte Heizung – für angemessen. „Bei zehn Millionen Haushalten bundesweit, die wir erreichen, wäre das ein Aufwand von einer Milliarde Euro für den Bund.“

Wenn man der Haltung von Lies folgt, sieht er einen erfolgreichen Ausweg aus der prekären Lage nur dann als gegeben an, wenn mehrere Schritte erfolgreich sind – es muss eine Energieeinsparung der Bürger geben. Es muss auch zum Ende dieses Jahres zwei funktionsfähige schwimmende LNG-Terminals in Deutschland geben – eines davon entsteht in Wilhelmshaven, das andere ist noch offen. Im Detail jedoch gibt es noch jede Menge Schwierigkeiten, auch mit Blick auf die notwendigen Investitionen in Niedersachsen:

LNG-Pläne mit Folgeproblemen

Das erste schwimmende LNG-Terminal in Wilhelmshaven ist derzeit im Plan. Noch offen ist, ob es Klagen von Naturschützern dagegen geben wird – Lies stellt bei vielen Verbänden aber ein Bewusstsein für die Notlage fest. Das zweite schwimmende Terminal in Wilhelmshaven und ein drittes in Stade müssten jetzt energisch vorangetrieben werden, denn alternative Planungen in Brunsbüttel, Hamburg oder Rostock kämen nicht richtig voran. Neue Investitionen in den Leitungsbau zu den Gasspeichern, etwa dem in Etzel, werden nötig – auch deshalb, weil die Durchleitungsobergrenze schneller als gewünscht erreicht sein kann.

Gasspeicher in Rehden

Der größte deutsche Gasspeicher in Rehden (Kreis Diepholz), der ein Sechstel der gesamten deutschen Speicherkapazität vorhält, ist erst zu 14 Prozent gefüllt. Das liegt daran, dass bis vor wenigen Monaten die Anlage in der Obhut von Gazprom lag und Gazprom bewusst das Lager hat leerlaufen lassen. Jetzt hat der Bund das Sagen. 

Toepffer für ein Tempolimit

CDU-Landtagsfraktionschef Dirk Toepffer befürwortet politische Schritte, um das Bewusstsein für die Notwendigkeit eines sparsameren Umgangs mit Energie und fossilen Brennstoffen zu erhöhen. „Wenn ein Tempolimit 130 auf Autobahnen einen wirkungsvollen Beitrag leisten könnte, wäre ich dafür“, sagte Toepffer. Dies sei seine persönliche Meinung, nicht die der CDU. „Es wäre dann allemal besser, ein Tempolimit zu verhängen als alternativ den Menschen vorzuschreiben, im Winter ihre Heizung herunterdrehen zu müssen.“