„Büros haben ihre Wirkung. Man kann Mitarbeiter mit ihnen sauer machen, frustrieren, aber auch Zufriedenheit auslösen“, erklärt Nick Kratzer, Soziologe am Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung (ISF) in München. Kratzer ist nach Hannover gekommen, um an einem Fachforum der AOK Niedersachsen teilzunehmen.

Das Forum ist Teil des mehrjährigen Projekts „Gesundheit in der Arbeitswelt 4.0“, in dem die Krankenkasse der Frage nachgehen will, wie sich betriebliches Gesundheitsmanagement in Zeiten des digitalen Wandels verändern muss. In mehreren Workshops mit Experten ging es in dieser Woche zum Beispiel um Beteiligungsprozesse in Unternehmen, die Auswirkungen von Arbeit 4.0 auf Führungskräfte und um das „Büro als Open Space“. Oder ist diese Form des Büros nicht doch nur das gute alte Großraumbüro mit neuem Namen? Nein, erklärt Kratzer. Zwar gehe es in beiden Fällen um Räume mit größeren Flächen.

Im Großraumbüro sei es aber vor allem aus Platzgründen darum gegangen, die Fläche möglichst effizient zu nutzen. Hinter dem Open Space stecke ein anderes Konzept, das man am Ende auch leben müsse. Von Einzelarbeitsplätzen über Konferenzbereiche bis hin zu Telefon-Cubes, gläsernen Telefonzellen, in denen man ungestört sprechen kann, soll dort alles möglich sein.

Büros haben ihre Wirkung. Man kann Mitarbeiter mit ihnen sauer machen, frustrieren, aber auch Zufriedenheit auslösen.

Geht es nach Zahlen des Fraunhofer-Instituts, ist Open Space – auch Multi Space genannt – die Büroform der Zukunft. Ein Viertel der Unternehmen geht einer Umfrage zufolge in diese Richtung. Die Zahlen sind allerdings mit Vorsicht zu genießen, kommen sie doch vom Fraunhofer-Institut selbst, das den Unternehmen in Sache Multi Space auch eine Beratung anbietet, damit also Geld verdient.

Trotz dieser Einschränkung beobachtet auch Kratzer einen Trend bei Unternehmen zu dieser Büroform. Er hat mit seinem Institut mehrere Unternehmen begleitet, die sich auf den Weg zum Open Space gemacht und ihre Konzepte umgesetzt haben. Aber warum wollen Unternehmen überhaupt diese Großraum 4.0-Büros? Sie wünschen sich mehr Flexibilität, Kommunikation und Attraktivität, außerdem wollten sie demokratischer werden. Das sei Teil des Kulturwandels, erklärt der Wissenschaftler aus München. Viele wünschten sich durch das neue Büro auch eine höhere Produktivität. Ob diese durch Open-Space-Büros aber wirklich steige, sei nur schwer messbar.

Open Space: So sieht es bei der Founders Foundation in Bielefeld aus – Foto: Founders Foundation

Ein Teilnehmer spricht im Workshop von einer Modeerscheinung. Zu häufig werde im Vorfeld die wichtigste Frage nicht gestellt: Brauchen wir das eigentlich? Diese Frage muss man im Unternehmen dringend vor der Erstellung des Konzepts beantworten, weil der Weg zum Open Space äußerst komplex ist. Immer wieder wollten Mitarbeiter lieber am Bestehenden festhalten, Führungskräfte zum Beispiel nicht ihr Einzelbüro und damit auch bestimmte Privilegien verlieren.

Eine starke Beteiligung der Mitarbeiter hält Kratzer für unerlässlich. Open Space müsse man lernen, weil das Konzept auch Nachteile mit sich bringe, mit denen man umgehen müsse. „In der Büroform versucht man widersprüchliche Ziele zu vereinbaren. Zum Beispiel soll es zwar mehr Kommunikation geben, dennoch aber auch konzentrierte Einzelarbeit möglich sein. Da entstehen Spannungsfelder“, so Kratzer. Zum einen brauche es für das Team Verhaltens-Spielregeln, zum anderen müsse man aber Optionen schaffen. So müsse es im Open Space Rückzugszonen geben. Außerdem gehören für Kratzer ein Open Space und ein vernünftiges Home-Office-Konzept automatisch zusammen. Mitarbeiter bräuchten dann diese verschiedenen Möglichkeiten.

Manche Probleme sind nicht lösbar

Manche Probleme seien auch nicht zu lösen. Probleme gebe es immer wieder mit der Vertraulichkeit. So sei es nur schwer möglich, die Personalabteilung in einem Open-Space-Büro unterzubringen. Dabei gehe es nicht nur um vertrauliche Telefonate, sondern genauso um vertrauliche Daten, die bei den Mitarbeitern auf dem Bildschirm zu sehen sein könnten. Auch eine Gehaltstabelle dürfte dann nicht auf dem Schreibtisch herumliegen. Für das Problem der Vertraulichkeit gebe es bisher nur Notstrategien, dadurch würden die Grenzen dieser Büroform deutlich. Die einfachste Lösung sei, Personalabteilungen in normalen Einzelbüros zu belassen.

Alle Experten sagen: Wir brauchen weiterhin das Büro. Zum einen als Treffpunkt, sozusagen als Bienenstock. Aber eben auch als soziale Heimat der Mitarbeiter.

Bei der Begleitung der Unternehmen durch das Institut wurden auch die Mitarbeiter befragt, wie sie sich mit dem Open Space arrangiert hätten. 55 Prozent zeigten sich mit dem neuen Büro zwar zufrieden, Kratzer warnt aber davor, sich von den Zahlen blenden zu lassen.  Die Bewertungen seien komplex, die Ansichten extrem unterschiedlich. So seien zwar viele Mitarbeiter im Grunde mit dem Open Space einverstanden, aber nur 19 Prozent bewerten zum Beispiel die Akustik als gut. Klimatisierung und Akustik seien immer wieder typische Open Space-Streitpunkte.

Den Streit sollte man allerdings auch nicht auf Spitze treiben. Man müsse die Debatte entideologisieren, empfiehlt der Soziologe. „Es geht hier nicht um ,New Work‘, sondern nur um eine  Büroform. Das Konzept wird auch oft überhöht.“ Wenn es von Mitarbeitern gewünscht werde, solle man einfach eine Wand einziehen oder einen Raumteiler hinstellen. „Mein normativer Ansatz lautet: Jeder sollte einfach den Arbeitsplatz bekommen, den er braucht und will“, meint Kratzer.

Bleibt noch die Frage, ob wir in Zeiten der Digitalisierung überhaupt noch das Büro brauchen, wo wir doch mit Notebook oder Tablet auf der Wiese, in der Eisdiele oder vom heimischen Sofa aus arbeiten könnten? „Alle Experten sagen: wir brauchen weiterhin das Büro“, erklärt Kratzer. „Zum einen als Treffunkt, sozusagen als Bienenstock. Aber eben auch als soziale Heimat der Mitarbeiter.“ Das Büro sei nicht trotz, sondern gerade wegen der Digitalisierung wichtig. „Sie brauchen zwischen all den Veränderungen noch etwas Festes, Stabiles, Materielles.“ (MB.)