Früher waren Bauern-Demonstrationen immer erfreuliche Anlässe für die CDU. Gestern in Hannover war es anders – und das ist gerade jetzt höchst ärgerlich für die Christdemokraten. Kurz vor dem inoffiziellen Auftakt der Niedersachsen-CDU für den Europawahlkampf, beim „kleinen Parteitag“ gestern Abend in der Landeshauptstadt, zogen verärgerte Landwirte auf die Straße.

Kleiner Parteitag in Hannover: CDU-Landeschef Bernd Althusmann am Rednerpult – Foto: kw

Sie richteten sich gegen Julia Klöckner von der CDU, die Bundesagrarministerin. Viele Bauern sehen in ihr die Hauptverantwortliche für die drohende Verschärfung der Düngevorschriften – ein Schritt, den ausgerechnet die EU verlangt, damit die Trinkwasserqualität in Deutschland wieder besser wird. Den Christdemokraten bläst gegenwärtig also der Wind ins Gesicht, und das von ihrer treuesten Wählergruppe. Schuld ist Berlin – und natürlich Brüssel.

Nervosität vor dem Parteitag

Deshalb wuchs pünktlich zum „kleinen Parteitag“ der CDU intern die Nervosität: Wenn viele Bauern nicht nur auf die EU sauer sind, sondern noch dazu auf die der Partei angehörende Bundesministerin, ist das für die Strategen im Wilfried-Hasselmann-Haus in Hannover ein Alarmzeichen. 54 Tage vor dem Wahltag droht eine wichtige Stütze der Christdemokraten wegzubrechen, gerade im Agrarland Niedersachsen. In den vergangenen Wochen hatte sich dieser zuspitzende Konflikt schon abgezeichnet, und so entwickelten die CDU-Oberen in den vergangenen Wochen einen Abwehrplan. Der sah so aus: Beim „kleinen Parteitag“ selbst probt die Landespartei einen Schulterschluss mit den verärgerten Landwirten. In einem Antrag wird deutliche Kritik am Kurs der deutschen Agrarpolitik formuliert. Die Bundesregierung wird ermahnt, mehr Rücksicht auf die Belange der Landwirtschaft zu nehmen. Man nimmt den Hauskrach in Kauf, den Landwirten zuliebe.

Daneben gab es gestern noch einen zweiten Schritt, möglich nur wegen des zufälligen Zusammentreffens zweier Termine: Am Tag des „kleinen Parteitags“ war auch Bundesministerin Klöckner in Hannover, sie traf sich hier – am Rande der Hannover-Messe – mit dem EU-Agrarkommissar Phil Hogan. Die CDU-Landtagsfraktion wollte dieses Ereignis nicht vorübergehen lassen, ohne für passende Begleitmusik zu sorgen und den Gästen aus Berlin und Brüssel sehr deutlich die Leviten zu lesen. So wurden für gestern Nachmittag zunächst die drei niedersächsischen Christdemokraten, die in Klöckners Umfeld in Berlin den Ton angeben, „ins Gebet genommen“, wie ein Landtagsabgeordneter berichtet.

Ich habe den Eindruck, dass unsere niedersächsischen Probleme in Brüssel nicht ausreichend kommuniziert werden.

Hermann Onko Aikens, Klöckners Staatssekretär, der Agrarexperte der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Albert Stegemann aus Nordhorn, und Gitta Connemann aus Leer, die Vize-Fraktionschefin in Berlin, sollten in der Sitzung der Landtagsfraktion Rede und Antwort stehen. Dabei soll es deutliche Worte gegeben haben, wie Teilnehmer anschließend schilderten, und die offizielle Stellungnahme des Landtagsfraktionsvorsitzenden Dirk Toepffer lässt Deutlichkeit nicht vermissen: „Alle maßgeblichen Agrarpolitiker neben und hinter Frau Klöckner stammen aus Niedersachsen. Von ihnen kann man erwarten, dass sie eine gemeinsame Sprachregelung mit den Fachpolitikern der Landtagsfraktion finden.“ Später sagt Toepffer noch: „Ich habe den Eindruck, dass unsere niedersächsischen Probleme in Brüssel nicht ausreichend kommuniziert werden.“

In den CDU-Reihen fällt in diesem Zusammenhang immer wieder der Name Aikens, der zwar als Staatssekretär ein guter Fachmann sei, aber nicht immer das politische Fingerspitzengefühl beweise. Zu schnell, heißt es, zeige sich die Bundesregierung gegenüber Brüssel kompromissbereit, wenn es um verschärfte Auflagen für die Düngung geht. Hier richtet sich die Kritik gegen Klöckner, aber ebenso gegen ihre Kollegin im Bundesumweltressort, Svenja Schulze (SPD). Gegen Schulze wird eingewandt, dass sie auf die Interessen der Bauern keine Rücksicht nehme. Gegen Klöckner wird eingewandt, dass sie den Fokus ihrer Arbeit zu stark auf den Verbraucherschutz und zu wenig auf die Interessensvertretung für Landwirte lege. Und gegen Aikens wird eingewandt, dass er seine Aufgabe als Bindeglied zwischen den Bauern und der Ministerin nicht ernst genug nehme. Vom Staatssekretär werde in erster Linie erwartet, als Frühwarnsystem für Ministerin Klöckner zu wirken. In zweiter Linie dann aber auch von Connemann und Stegemann, den beiden niedersächsischen Agrarfachleuten in der Bundestagsfraktion.

Althusmann stellt Reißverschlussverfahren in Aussicht

Dabei sind die hier beschriebenen Abstimmungsprobleme längst nicht auf den Agrarbereich beschränkt, wie CDU-Landeschef Bernd Althusmann in seiner Rede erläuterte. Auch in anderen Politikfeldern brauche man „eine bessere und frühere Abstimmung zwischen Brüssel, Bundes- und Landespolitikern“, forderte er. So könne es doch nicht sein, dass wegen des EU-Wettbewerbsrechts die Fusion von Siemens und Alstom scheitere – und damit 3000 Arbeitsplätze in Salzgitter gefährdet seien. Außerdem stehe der Streit um den „Upload-Filter“ im Internet symbolisch dafür, dass die Politiker in Brüssel und Berlin „manche Entwicklung nicht ausreichend registriert“ hätten.

In seiner Rede vor den Delegierten des „kleinen Parteitags“ hatte Althusmann noch eine Überraschung parat, die er in seiner Rede fast versteckte: Ein „Paritätsgesetz“, das die Vertretung der Frauen in den Parlamenten stärken soll, sehe er aus juristischen Gründen bisher skeptisch. Dennoch müsse die CDU unbedingt den Anteil ihrer weiblichen Mandatsträger erhöhen, forderte Althusmann. Er rufe alle Kreisverbände auf, sich um mehr Frauen in Ämtern und als Kandidaten zu bemühen. „Vielleicht müssen wir uns auch auf ein Reißverschlussverfahren einstellen“, sagte der CDU-Landesvorsitzende.

Das heißt nicht weniger, als auf den Kandidatenlisten künftig abwechselnd Männer und Frauen vorzusehen – so, wie es Grüne, SPD und Linkspartei heute schon tun. Bisher gilt in der CDU die Drittelung: Unter je drei Plätzen muss mindestens eine Frau sein. Wenn ein Reißverschlussverfahren kommen soll, müsste künftig auch in der CDU jeder zweite Platz für weibliche Bewerber reserviert werden. Althusmann, soviel wird klar bei diesem „kleinen Parteitag“, hat sich schon darauf eingestellt. Das ist neu. (kw)