Als Agrarministerin Barbara Otte-Kinast vor knapp drei Wochen zum „Gipfeltreffen“ einlud, standen die Zeichen in der Schweinebranche noch auf Sturm. Denn zu diesem Zeitpunkt hatte Niedersachsen zusammen mit Bayern und Schleswig-Holstein gerade im Bundesrat die Abstimmung über einen Aufschub des Verbots zur betäubungslosen Kastration von Ferkeln verloren. Als die Vertreter der Branche dann aber gestern in Hannover zusammenkamen, hatte sich die Lage schon wieder zu ihren Gunsten gewendet. Denn statt zum 1. Januar 2019 soll das Verbot nach einer Vereinbarung der Berliner Koalitionsspitzen nun erst 2021 kommen. So ging es beim Treffen denn auch weniger um Sofortmaßnahmen als um Ziele, die in diesen geschenkten zwei Jahren erreicht werden sollen. Weitgehend einig sind sich Schweinehalter, Schlachtbetriebe, Handel und Ministerium darin, dass der sogenannte „vierte Weg“ mit einer durch die Landwirte selbst vorgenommenen Kastration der beste sei. Ob bei der Vermarktung von Eberfleisch (also von nicht kastrierten Tieren) allerdings noch Luft nach oben ist, da gehen die Meinungen auseinander.

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Agrarministerin Otte-Kinast ist davon überzeugt, dass Schlachtbetriebe und Lebensmittelhandel noch nicht genug getan haben, um Fleisch von unkastrierten Ebern an den Kunden zu bringen. Man habe es versucht, das Fleisch zu verkaufen, hieß es nun heute von Vertretern des Einzelhandels, doch viele Kunden lehnten es ab.  Zudem sei das Fleisch qualitativ schlechter als das von kastrierten Tieren. Viele Lebensmittelhändler nehmen Eberfleisch nicht ab, weil es in Einzelfällen beim Braten in der Pfanne einen unangenehmen Geruch entwickeln kann. „Das ist aber nicht der Standard, deswegen werden wir Kampagnen fahren müssen, der Verbraucher muss einfach besser aufgeklärt werden.“ Denn Eberfleisch sei nicht per se schlecht. „Die Spanier etwa vermarkten 80 Prozent ihres Eberfleisches, denn Iberico-Schinken ist total in und wird als Delikatesse weltweit auch gekauft.“

Heinz Schweer, Direktor für Landwirtschaft beim niederländischen Fleischproduktionskonzern Vion, sieht dagegen das Problem beim Verkauf von Eberfleisch weniger beim deutschen Kunden als vielmehr in der Weiterverarbeitung und im internationalen Handel. „Zum einen ist Eberfleisch ungeeignet für die Wurstproduktion. Wir haben andere Fettsäuren als beim normalen Schweinefleisch und das gibt ein Problem bei der Produktion von Schinken und Dauerwurst.“ Zum anderen werde Eberfleisch vielleicht in Spanien, aber nicht in anderen Teilen der Welt goutiert. „Wir haben ganz große Probleme, das Fleisch in andere europäische Länder, mit Ausnahme von England und Asien, zu exportieren.“ Schweer sieht daher wenig Chancen, mit einer Akzeptanz-Kampagne eine Änderung im Abnahmeverhalten zu bewirken. „Wir verkaufen ja nicht halbe oder ganze Schweine an Kunden. Da geht das Kotelett in Niedersachsen in den Einzelhandel, der fette Bauch nach Südkorea, die Pfoten und der Kopf nach China und der Lachs nach Japan. Das heißt, von einem Schwein gibt es sehr unterschiedliche Vermarktungswege, immer nach dem Gesichtspunkt: Wo erzielen wir die höchste Wertschöpfung für das Teilstück?“


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Zustimmend reagiert Schweer auf die Einschätzung der Ministerin, dass der „vierte Weg“ die Kastration unter lokaler Betäubung für die Schweineindustrie großflächig umsetzbar macht. Allerdings wehrt sich die Lobby gegen Vorwürfe der Ministerin, man habe den Weg zu spät eingeschlagen. „Andere Länder in Europa haben längst den ,vierten Weg‘ umgesetzt, wir fangen jetzt erst damit an“, sagt Otte-Kinast. Dem entgegnet Schweer, dass es der Branche erst vor zwei Jahren bekannt geworden sei, dass die Lokalanästhesie durch die Landwirte selbst auch in Deutschland eine Option sein könne. Immerhin sind die offiziellen Organisationen der Tierärzte strikt gegen einen solchen Weg. „Wenn uns die Wissenschaft damals schon den Weg zur Lokalanästhesie gewiesen hätte, wären wir da sicher aufgesprungen. Aber wir haben erst viele Erfahrungen machen müssen. Wie die, dass sich Eberfleisch in der Breite nicht verkaufen lässt.“