Die niedersächsische Pflegekammer schleppt sich seit ihrem Start im Jahr 2017 von Panne zu Panne. Schon bevor es überhaupt losging, war die Kammer umstritten, dann folgte eine Pannenserie, die ihresgleichen sucht. Es begann mit dem Streit um Beitragsbescheide, ging über die ehemalige Präsidentin Sandra Mehmecke, der auf ihrem kurzen Weg das Vertrauen in und außerhalb der Kammer abhandenkam und setzte sich fort beim Start der Evaluationsumfrage, die überraschenderweise zuerst von SPD-Sozialexperte Uwe Schwarz angekündigt wurde. Das Sozialministerium war einmal mehr nur zweiter Sieger.

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Nun droht der ohnehin umstrittenen Online-Umfrage auch noch der Abbruch. Hintergrund ist eine massive Daten-Panne, die Kammergegner nach eigenen Angaben zusammen mit IT-Experten herausgefunden haben. Gestern wurde die Umfrage zunächst einmal vom Netz genommen. Es sei „ausgesprochen bedauerlich und sehr ärgerlich“, dass die Befragung der Mitglieder der Pflegekammer nun auf diese Weise ausgebremst werde, ließ Sozialministerin Carola Reimann gestern mitteilen.

Die Kammergegner Kai Boeddinghaus, Christa Greve, Sandra Arndt und Wolfgang Heibuch (v.l.n.r.) in der Pressekonferenz am Dienstag – Foto: MB.

Die erste, der auffiel, dass mit der Umfrage etwas nicht stimmen konnte, war Krankenpflegerin Sandra Arndt. „Ich wollte am Sonntag ganz normal meine Umfrage starten, die Adresse hatte sich bei der Eingabe oben auf der Internetseite aber verselbständigt und so landete ich in einer Umfrage, die schon bis etwas zur Hälfte ausgefüllt war, bei einem zweiten Versuch lief wieder etwas falsch“, berichtete Arndt gestern in Hannover. Zu keinem Zeitpunkt habe sie das ihr zugeschickte Passwort nutzen müssen, um an der Umfrage teilzunehmen. Eine Gruppe von Kammergegnern informierte daraufhin IT-Experten und bat darum, sich das Daten-Leck einmal genauer anzusehen.

Wir werden nicht die einzigen sein, die die Lücke gefunden haben.

Kai Boeddinghaus, Geschäftsführer des Bundesverbands für freie Kammern (BFFK) präsentierte am Dienstag in Hannover ein Video, das die Panne dokumentierte und seinen Worten nach zeigte, wie er mitten in teilweise schon ausgefüllten Umfrage landete und diese nachträglich veränderte. Laut Boeddinghaus gibt es gleich zwei Probleme. Zum einen reichten die Daten, auf die man Zugriff erhalten konnte aus, um Rückschlüsse auf die reale Person dahinter zulassen, so der Verbandschef. Zum anderen hätten durch das Datenleck auch Unbefugte an der Umfrage teilnehmen können. „Wir werden nicht die einzigen sein, die die Lücke gefunden haben“, merkte Boeddinghaus an. Bereits am Montag informierte der BFFK-Geschäftsführer nach eigenen Worten den Projektleiter der Agentur Kienbaum, die für die Evaluation zuständig ist, um ihn über das IT-Problem zu informieren.

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Was nun? Laut Sozialministerium haben sich bis Montag 7000 Pflegekräfte an der Umfrage beteiligt. Wie viele davon waren echt? Wie oft wurden Umfragen nachträglich manipuliert? Das versucht der für die Umfrage zuständige Dienstleister derzeit herauszufinden, Möglichkeiten dafür soll es geben. Sozialministerin Reimann sagte gestern, entscheidend sei, dass die Befragung der Pflegekammer-Mitglieder nun so schnell wie möglich fortgeführt werden könne. In einer Pressemitteilung machte sie ihrem Unmut Luft. „Wir haben aus gutem Grund einen sehr renommierten und erfahrenen Dienstleister mit der Durchführung der Evaluation beauftragt. Ich erwarte, dass die technischen Probleme jetzt so schnell wie möglich abgestellt werden.“

Kammergegner wollen die Panne für eine weitere Änderung nutzen

Aber kann man die Umfrage nun einfach fortsetzen, sobald das Datenleck geschlossen wurde? IT-Experten schließen das aus, sagen die Kammergegner, die die Panne aufgedeckt haben. „Aus technischen Gründen ist ein Neustart nötig. Es wäre unseriös, an der Stelle weiterzumachen“, erklärte Boeddinghaus. Das sieht man auch in gleich mehreren Landtagsfraktionen so. „Als erster Schritt muss die Umfrage unter sicheren Bedingungen neu gestartet werden“, sagte der CDU-Sozialpolitiker Volker Meyer. Auch Stephan Bothe von der AfD forderte, die „Scheinumfrage“ umgehend zu beenden. Die Panne zeige, „wie sehr diese sogenannte Befragung nicht nur inhaltlich, sondern auch strukturell eine Farce sei“, so Bothe.

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All diejenigen, die auf ein Ende der umstrittenen Pflegekammer hoffen, wollen zudem das Momentum nutzen, um noch einmal die Umfrage zu ändern. Es geht um die Formulierung der Frage 11. „Wünschen Sie sich für die Zukunft eine beitragsfreie Pflegekammer in Niedersachsen?“ „Manipulativ, irreführend, unsinnig, unprofessionell“, so nennt Christa Greve vom Pflegebündnis Hannover die Frage, die auch erst fast am Ende der Umfrage gestellt wird. Die Kammergegner dringen darauf, dass das Wort „beitragsfrei“ gestrichen wird und die Frage an den Anfang der Umfrage rückt.

Für Boeddinghaus ist der Neustart nach der Panne genau der richtige Zeitpunkt, um auch an der Stelle noch einmal nachzuarbeiten. „Wenn man sein Auto mit mehreren gravierenden Fehlern in die Werkstatt bringt, lässt man ja auch nicht nur den letzten Fehler reparieren“, sagte er. Offene Unterstützung bekommen die Gegner auch von einem Regierungspartner. „Es gilt jetzt das Vertrauen der Pflegekräfte zurückzugewinnen“, meinte Volker Meyer von CDU. Nötig sei jetzt eine klare und verständliche Fragestellung, ob die Pflegekräfte eine Kammer wollten oder nicht. „Die bisherige Fragestellung ist durch diese zu ersetzen“, forderte Meyer.


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Den Landtag wird das Thema weiterbeschäftigen. Für eine solche „klaren Entscheidungsmöglichkeit“ in der Umfrage, wie der Abgeordnete Stephan Bothe sagt, will die AfD am kommenden Donnerstag im Sozialausschuss einen Antrag zur Abstimmung stellen. Und der FDP-Fraktionsvorsitzende Stefan Birkner forderte für die kommende Sitzung eine umfassende Unterrichtung. „Die Landesregierung muss endlich dafür sorgen, dass die Liste der Probleme mit der Pflegekammer nicht noch länger wird. Ministerin Reimann bekommt die Lage ganz offensichtlich nicht in den Griff“, stelle Birkner fest. (MB.)