Hinter vorgehaltener Hand räumen auch Befürworter der im vergangenem Jahr eingerichteten Pflegekammer ein, dass der Start dieser Institution mehr als unglücklich gelaufen ist. Einfühlungsarm formulierte Beitragsbescheide mit der verwirrenden Forderung nach einer Höchstsumme von 140 Euro im Halbjahr wurden kurz vor Weihnachten verschickt, massenhafter Protest war die Folge, an einer Online-Petition für den Landtag beteiligten sich mehr als 45.000 Einwender. Derweil scheint inzwischen keineswegs klar, wie die Große Koalition von SPD und CDU mit dem Thema umgehen will. In der CDU, die in der vergangenen Wahlperiode die Kammer abgelehnt hatte, wird sie nach wie vor mit großer Skepsis betrachtet. Viele in der SPD verteidigen die Kammer vehement, und beide Partner verständigten sich, bis Mitte 2020 eine „Evaluation“ vorzunehmen, also die Kammer auf ihren Sinn und Nutzen zu überprüfen. Während die CDU darauf drängt, alle Vorbereitungen für diesen Schritte frühzeitig in Gang zu setzen, gedeihen bei der SPD Überlegungen, die Pflegekammer mit Landesgeld zu stützen, sozusagen als „Anschubfinanzierung“. Das geht in die Richtung einer Initiative der Grünen, die eine Aussetzung der Beiträge gefordert hatten – offenbar mit dem Ziel, so den Kritikern den Wind aus den Segeln nehmen zu können. Wie es aus der SPD heißt, könnte die Kammer Aufgaben von anderen Behörden übernehmen und dafür die entsprechenden Haushaltsmittel erhalten.


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Die SPD-Fraktionsvorsitzende Johanne Modder appellierte an die Politiker, die Debatte sachlich zu führen. Sie erinnerte an die Vereinbarung mit der CDU, im kommenden Jahr die Resultate der Überprüfung zu bewerten. Daher gebe es keinen Grund, einen der beiden Anträge aus der Opposition, die kommende Woche im Landtag beraten werden, zu unterstützen. Die Grünen hatten gefordert, vorerst keine Beiträge zu kassieren und zu überlegen, ob die Pflegeunternehmen als Arbeitgeber einen Teil der Beiträge für die Mitglieder übernehmen könnten. Die FDP hatte eine „Vollbefragung“ (klingt wie „Volksbefragung“) zur Pflegekammer verlangt – alle in der Pflege Beschäftigten sollten sich dazu äußern, was sie von der neuen Einrichtung halten. Gleichzeitig machen die Freidemokraten gegen die Pflichtmitgliedschaft in der Kammer mobil, und am Sinn der Einrichtung zweifeln sie auch. Da die Kammer kein Tarifpartner sei und sich nicht um die besseren Arbeitsbedingungen einzelner Mitarbeiter kümmere, sei ihre Bedeutung nicht besonders groß. Dem wird vor allem von SPD und Grünen widersprochen: Seit vielen Jahren, heißt es dort, seien Pflegekräfte schlecht bezahlt und hätten keinerlei Fürsprecher an ihrer Seite. Der gewerkschaftliche Organisationsgrad sei relativ gering. Die Kammer, in der jeder zwangsweise Mitglied ist, könne den Pflegeunternehmen, den Kassen und Kommunen „auf Augenhöhe“ gegenübertreten und tatsächlich auf das Abstellen von Missständen pochen.

Kammer Konkurrenz für Verdi?

Quelle der aktuellen Aufregung sind die Beitragsbescheide, die vor Weihnachten verschickt wurden. In ihnen wurde ein Halbjahresbeitrag von 140 Euro verlangt – auf Grundlage eines Jahreseinkommens von 70.000 Euro, das in der Pflege offenbar nur wenige erreichen. Die Kammerpräsidentin Sandra Mehmecke hat sich mehrfach dafür entschuldigt. Eine Erklärung für das unsensible Vorgehen der Einrichtung ist, dass die Kammer gutbesoldete Pflegeleitungen unbedingt habe einbeziehen und vermeiden wollen, dass diese sich mit einem Mindestbeitrag einen schlanken Fuß machen. Eine andere Erklärung für den Fauxpas kurz vor Weihnachten lautet, dass es durchaus im Sinne einiger Akteure gewesen sein könnte, die Pflegekammer zu diskreditieren. Im Gewerkschaftslager wurde die Einrichtung betont kritisch bewertet, da gerade Verdi hofft, selbst eine starke Interessensvertretung der Pflegebeschäftigten werden zu wollen. Die Kammer könnte ihr dabei Konkurrenz machen. In den gegenwärtigen Tarifauseinandersetzungen um den öffentlichen Dienst legt Verdi einen großen Schwerpunkt auf die Mitarbeiter in der Pflege. Waren in der Pflegekammer womöglich Kräfte am Werk, die ihren Start sabotieren wollten? Das ist bisher nicht mehr als nur ein vager Verdacht, für den es keine Belege gibt. Aus der CDU wird der Wunsch laut, bei der absehbaren „Evaluation“ der Kammer möglichst auf unabhängige Kräfte zu setzen. Es dürfe nicht riskiert werden, dass diejenigen die Überprüfung leiten, die einst diese Institution in Gang gebracht haben.