Mehrere Jahre lang wurde über die sogenannte „Generalistik“ gestritten. Immer wieder wurde Kritik laut an diesen Plänen, die bislang getrennten Ausbildungen zur Alten-, Kranken- und Kinderkrankenpflege zusammenführen. Die einen befürchteten, durch eine solche Änderung des Pflegeberufegesetzes würden grundsätzliche Probleme in der Pflege nicht gelöst, andere wiederum sahen im Konkurrenzkampf die Altenpflege im Nachteil. Das ist nun Vergangenheit. Ab 2020 wird nun generalistisch ausgebildet. Das bedeutet: Zwei Jahre lang werden die Azubis in der Kranken- Kinderkranken- und Altenpflege gemeinsam ausgebildet. Wer die generalistische Ausbildung im dritten Jahr fortsetzt, ist nach dem erfolgreichen Abschluss Pflegefachfrau oder Pflegefachmann und kann sich frei entscheiden, in welchem Bereich er oder sie arbeiten möchte.

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In Niedersachsen will eine sogenannte Ausbildungsallianz jetzt dafür Sorge tragen, dass die Generalistik zum Erfolg wird. Von einem „Schulterschluss, der nicht selbstverständlich ist“ sprach gestern Hans-Heinrich Aldag, Vorsitzender der niedersächsischen Krankenhausgesellschaft, bei der Vorstellung der Allianz in Hannover. Es ist kein ganz gewöhnliches Bündnis. Neben der Krankenhausgesellschaft gehören unter anderem auch die kommunalen Spitzenverbände, die Freie Wohlfahrtspflege und der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (BPA) dem Bündnis an. Nicht alle haben identische Interessen, denn alle konkurrieren untereinander um die potenziellen Fachkräfte, von denen es bekanntlich zu wenige gibt. Dennoch setzen die Initiatoren große Hoffnungen in das Bündnis. „Sind wir damit Vorreiter in Niedersachsen?“ wurde Landessozialministerin Carola Reimann auf der Pressekonferenz am Montag gefragt. „Einfache Antwort: ja“, sagte Reimann, die sich von der generalistischen Ausbildung erhofft, dass der Pflegeberuf dadurch attraktiver wird. „Die Attraktivität eines Berufsfeldes steht und fällt damit, dass ich mich im Laufe meines Lebens auch noch einmal verändern und neue Aufgaben übernehmen kann, und das wird die Generalistik leisten“, sagte Reimann. Zugleich gebe es eine angemessene Ausbildungsfinanzierung. Durch einen Ausbildungsfonds werde es in der Pflege auch kein Nachteil mehr sein, auszubilden.

Den Vorteil durch mehr berufliche Möglichkeiten für die Pflegefachkräfte sieht auch Jan Arning, Hauptgeschäftsführer des Niedersächsischen Städtetages. „Wir bekommen mehr Flexibilität in der Berufslaufbahn. Dennoch werden wir uns darüber unterhalten müssen, wie der Ausbildungsberuf attraktiver wird“, so Arning. Die Kommunen zahlten mit 1000 Euro im ersten bis 1200 Euro im dritten Lehrjahr mit die höchsten Ausbildungsvergütungen und hätten dennoch Probleme, Personal zu finden. Ralf Selbach, Vorsitzender der Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege in Niedersachsen, hält die Bezahlung in der Pflege für einen wichtigen Faktor, um Fachkräfte zu gewinnen. „Solange es in Deutschland attraktiver ist, an der Maschine zu arbeiten als am Menschen, bleibt es weiterhin schwierig.“ Dennoch sei man auf einem vernünftigen Weg.

Bei den privaten Pflegeanbietern gibt es teilweise allerdings immer noch die Befürchtung, dass die Reform zulasten der Altenpflegeträger gehen könnte. Die Gefahr sei, dass sich Pflege-Azubis nach einem generalistischen Abschluss tendenziell eher in Richtung der Krankenhäuser entscheiden würden. „Das ist unsere Besorgnis und hängt auch mit der besseren Finanzausstattung der Krankenhäuser zusammen“, sagte Hennig Steinhoff, Leiter der Landesgeschäftsstelle des BPA in Niedersachsen. Dennoch wollen auch die Privaten den Reformweg jetzt mitgehen. In der Tat aber dürfte die Altenpflege im Wettbewerb um Fachkräfte zumindest vorerst weiter die schlechteren Karten haben. Denn während alle Auszubildenden in allen drei Bereichen eine „angemessene Ausbildungsvergütung“ erhalten sollen, bleiben die Gehaltsunterschiede nach der Ausbildung groß. Von Gehaltsunterschieden von 20 bis 25 Prozent zwischen der Bezahlung im Krankenhaus und in der Altenpflege spricht Ralf Selbach von der Freien Wohlfahrtspflege.

Zudem übt Selbach Kritik daran, dass der Bundesgesetzgeber die Möglichkeit für Auszubildende geschaffen hat, sich im dritten Jahr für den Schwerpunkt Altenpflege entscheiden. „Das bedeutet aber faktisch gegenüber der Ausgangslage eine Absenkung des Kompetenzniveaus. Und es hat zum Beispiel die Konsequenz, dass man damit nicht mehr zu einer europaweiten Anerkennung des Abschlusses kommt. Das ist problematisch und da muss man in Zukunft gegebenenfalls noch einmal nacharbeiten.“ Ulrike Bäßler, Geschäftsführerin des Bildungszentrums für Pflegeberufe Weserbergland in Hameln, denkt dagegen nicht, dass erst mit der Einführung der Generalistik „bestimmte Wanderungen“ in Fachbereiche stattfinden. „Das läuft schon längst. In meiner Altenpflegeschule gehen auch jetzt schon in jedem Jahrgang manche Auszubildende direkt ins Krankenhaus und bekommen dort ihre Anstellung.“ Sie sieht keinen Grund dafür, warum Auszubildende künftig nach zwei Jahren eine Spezialisierung wie zum Beispiel die Altenpflege auswählen sollten. „Meine Vermutung ist, dass dieser Abschluss wahrscheinlich gar nicht so oft genutzt wird. Denn mit einem generalistischen Abschluss kann ich mich am Ende Ausbildung überall bewegen.“

Bäßler wie auch alle anderen auf dem Podium erhoffen sich mit der Generalistik eine neue Chance auf mehr Fachkräfte. „Wir suchen Pflegekräfte – überall und händeringend“, sagt Hans-Heinrich Aldag von der Krankenhausgesellschaft. Bevor es losgeht, muss das Mega-Projekt Generalistik allerdings erst einmal auf die Spur gesetzt werden. Der Stein liege erst vor und noch nicht hinter dem Berg, hieß es gestern. Und auch die Sozialministerin meinte, es werde ein kräftiges Stück Arbeit für 170 Krankenhäuser, 200 Pflegeschulen und 3000 Pflegeeinrichtungen, die Generalistik in die Praxis umzusetzen. (MB.)