Es ist ein gern genutzter Baustein in politischen Sonntagsreden: eine Passage über das lebenslange Lernen. Demographischer Wandel und Digitalisierung sind nur zwei Gründe dafür, dass Mitarbeiter mit dem, was sie einmal in der Ausbildung gelernt haben, nicht mehr durch das gesamte Berufsleben kommen. Aber während gerade die Politik die Formel vom lebenslangen Lernen gern bemüht, hinkt ausgerechnet der Staat bei der Finanzierung von Weiterbildung stark hinterher.

Vergleicht man die staatlichen Ausgaben für Weiterbildung zwischen 1995 und 2015, so kommt man auf ein Minus von mehr als 43 Prozent. Das ist das Ergebnis einer Studie von Wissenschaftlern der Universität Duisburg-Essen im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung. Die Entwicklung geht dabei in unterschiedliche Richtungen. Insgesamt wurden 2015 in Deutschland fast 27 Milliarden Euro für Weiterbildung ausgegeben. Während es im 20-Jahres-Vergleich beim Staat ein dickes Minus gibt, haben die Unternehmen im selben Zeitraum 25 Prozent mehr für Weiterbildung ausgegeben.

Mittelstand braucht Unterstützung bei digitalem Transformationsprozess

„Dass die staatlichen Ausgaben für Weiterbildung so stark zurückgegangen sind, ist so überraschend wie erschreckend“, sagt Volker Müller, Hauptgeschäftsführer der Unternehmerverbände Niedersachsen (UVN) dem Politikjournal Rundblick. Die Unternehmen leisteten einen immer größeren Anteil und investierten kräftig in die Fortbildung ihrer Mitarbeiter. Darauf dürfe der Staat sich nicht ausruhen. Müller schaut dabei vor allem auf den Mittelstand. „Er hat den größten Anteil an Beschäftigten und im Gegensatz zu den ganz großen Unternehmen nicht das Geld für die Fortbildung. Deshalb benötigt er staatliche Unterstützung bei der Weiterbildung seiner Mitarbeiter – vor allem für den digitalen Transformationsprozess.“

Der Bund muss seine finanziellen Anstrengungen in punkto Weiterqualifizierung deutlich ausweiten.

Auch für Mehrdad Payandeh, Vorsitzender des DGB in Niedersachsen, macht die Studie deutlich, dass dem Thema in der Vergangenheit politisch zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde. „Es wurde am falschen Ende gespart. Anstatt in den Investitionsmodus zu schalten, wurde auf das Bremspedal getreten“, kritisiert Payandeh. Der Bund müsse seine finanziellen Anstrengungen in punkto Weiterqualifizierung deutlich ausweiten. „Für den Erwachsenbereich muss ein Prozent des Bildungshaushaltes zur Verfügung gestellt werden“, fordert der DGB-Vorsitzende.

Man kann nicht sagen, dass der Staat in den vergangenen Jahrzehnten weniger Geld für Bildung ausgegeben habe, im Gegenteil. Für den Bereich der Krippen, Horte und Kindergärten stiegen die Ausgaben seit 1995 um 150 Prozent, bei den Hochschulen um 77,5 Prozent. Auch für die Berufsausbildung (+ 62,2 Prozent) und Schulen (+41,3 Prozent) wurde mehr Geld ausgegeben. Nur bei der Weiterbildung hapert es. Das macht sich auch beim Bruttoinlandsprodukt (BIP) bemerkbar. 1995 investierte der Staat noch 0,65 Prozent des BIP in Weiterbildung, 20 Jahre später waren es nur noch 0,24 Prozent. „Mittlerweile trägt der Staat (inklusive Bundesagentur) nur noch 23,4 Prozent aller Weiterbildungsausgaben, den Rest schultern Betriebe und Individuen“, heißt es in der Studie. Dabei habe sich der Bereich der öffentlichen Finanzierung durch die Länder seit Jahren auf einem abgesenkten Niveau stabilisiert, stellen die Autoren fest. Staatliche Anreizprogramme wie Bildungssparen oder Qualifizierungstarifverträge zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften hätten bisher nicht die erwarteten positiven Effekte.

Erwerbslose und Geringqualifizierte haben das Nachsehen

Hinzu kommt noch eine ungleiche Verteilung der Weiterbildungsmittel. Experten beklagen bereits seit längerem einen „Matthäus-Effekt“ in der Weiterbildung. „Wer hat, dem wird gegeben“, heißt es, verkürzt zitiert, im Matthäus-Evangelium. Die Autoren der Weiterbildungsstudie kritisieren ungleiche Beteiligungsstrukturen. Geringqualifizierte, Hartz-IV-Empfänger, Menschen mit Migrationshintergrund haben häufig das Nachsehen. Nach wie vor hänge die Teilnahme an Weiterbildungen sowohl von den möglichen Zugängen des Einzelnen zum Beispiel im Betrieb ab, als auch vom individuellen Einkommen.

Weiterbildung war zu lange das Stiefkind der öffentlichen Bildungsfinanzierung und erreicht noch immer nicht diejenigen, die besonders auf Unterstützung angewiesen sind.

Gerade für Geringqualifizierte und Erwerbslose bedeute das geringere staatliche Engagement eine ernste Zukunftsbedrohung, konstatieren die Autoren. Das betreffe vor allem die Risikogruppe, die nicht oder nur in geringem Maße Kosten für eine Weiterbildung selbst zahlen könnten. „Weiterbildung war zu lange das Stiefkind der öffentlichen Bildungsfinanzierung und erreicht noch immer nicht diejenigen, die besonders auf Unterstützung angewiesen sind. Gerade im Zeitalter der voranschreitenden Digitalisierung müssen die Menschen mehr Chancen haben sich weiterzuqualifizieren“, schlussfolgert Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann-Stiftung.

FDP: besser kurzfristig Weiterbildung als langfristig Transferleistungen finanzieren

„New Work braucht lebenslange Weiterbildung“, heißt es im Leitantrag der niedersächsischen FDP, der auf dem Parteitag am übernächsten Wochenende in Hildesheim beraten werden soll. Darin fordern die Liberalen unter anderem mehr Weiterbildungsangebote und ein „Midlife-BAföG“, mit dem der Staat Menschen mit geringem Einkommen bei der Weiterbildung unterstützen soll. In der Realität spielen Weiterbildungen aber oftmals eine geringere Rolle als öffentlich propagiert. Laut Deutschem Weiterbildungsatlas haben in den vergangenen zwölf Monaten nur 12,2 Prozent der Bevölkerung eine Weiterbildung besucht. Bei von Armut gefährdeten Menschen waren es sogar nur 7,7 Prozent, was die Ungleichverteilung einmal mehr belegt.

Vor allem Menschen, deren Arbeitsplatz möglicherweise durch technische Innovation bedroht ist, sollten vermehrt Weiterbildungsangebote in Anspruch nehmen.

Auch der niedersächsische FDP-Generalsekretär Konstantin Kuhle stellt fest, dass „tendenziell jene Menschen Weiterbildungsangebote in Anspruch nehmen, die schon ein gewisses Bildungsniveau haben. Vor allem Menschen, deren Arbeitsplatz möglicherweise durch technische Innovation bedroht ist, sollten aber vermehrt Weiterbildungsangebote in Anspruch nehmen. Deswegen ist der Aufbau einer besseren Weiterbildungskultur eine öffentliche Aufgabe, die die Freien Demokraten in Niedersachsen fördern wollen“, sagt Kuhle dem Rundblick. Kurzfristige Kosten für eine bessere Weiterbildung seien unterm Strich für die Solidargemeinschaft günstiger als die dauerhafte Zahlung von Versicherungs- oder Transferleistungen.


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Auch die Wissenschaftler der Universität Duisburg-Essen stellen in ihrer Studie fest, „dass die Finanzierungsbasis der Weiterbildung vor allem im Bereich der öffentlichen beziehungsweise staatlichen Investitionen quantitativ wie qualitativ unzureichend ausgestaltet ist“. Sie halten eine erhebliche Steigerung der Investitionen in die Weiterbildung für erforderlich. Auf „New Work“, die neue Arbeit, scheint vor allem der Staat bislang unzureichend vorbereitet. (MB.)