Die über viele Monate andauernde, seit Jahresbeginn dann wesentlich verstärkte Auseinandersetzung um die Pflegekammer ist seit gestern um eine Facette reicher. Die Gewerkschaft Verdi, die dieser Einrichtung von Anfang an kritisch gegenübergestanden hatte, legt nun ein eigenes „Alternativmodell“ vor. Zwei wesentliche Punkte, die tausende Pflegekräfte zu Protesten gegen das bisherige Kammermodell bewegt hatte, werden darin korrigiert. Nach dem Verdi-Modell ist eine freiwillige Mitgliedschaft vorgesehen, keine verpflichtende mehr. Zwar werden keine konkreten Summen genannt, aber man kann darüber hinaus davon ausgehen, dass im Verdi-Konzept die Beiträge geringer sind als die, die zunächst von den registrierten Mitgliedern der Pflegekammer verlangt wurden. Das Konzept sieht nämlich eine öffentlich-rechtliche Finanzierung vor, also einen staatlichen Zuschuss.

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Der Ärger um die Pflegekammer war unter anderem deshalb eskaliert, weil kurz vor Weihnachten Beitragsbescheide mit teilweise horrenden Summen verschickt wurden – auf der Basis von Schätzungen. So sollte der Halbjahresbeitrag 140 Euro betragen, die Berechnungsbasis dafür war ein Einkommen von 70.000 Euro, das viele Pflegekräfte nicht erreichen. Offenbar war diese Beispielrechnung so missverständlich formuliert, dass die Summe wie eine Drohung wirkte. Dies wurde später dann als Ungeschicklichkeit eingestuft, im Landtag ging die für die Aufsicht der Kammer zuständige Sozialministerin Carola Reimann, an der sich der Unmut entzündet, im März noch einen Schritt weiter. Sie räumte ein, dass man für den Aufbau der Kammerverwaltung zunächst eine Anschubfinanzierung gebraucht hätte, diese aber dann nicht vorgesehen worden sei. Inzwischen ist aus den kritischen Stimmen, die unter den Pflegekräften laut wurden, eine richtige Protestbewegung geworden. Eine Online-Petition ist von mehr als 50.000 Menschen unterschrieben worden, darunter sind mehr als 44.000 Niedersachsen.

Bayerischer Pflegering kann ein Vorbild sein

Immer wieder wird in der Debatte der bayerische „Pflegering“ als Beispiel zitiert. Dort übernimmt der Staat wesentliche Teile der Finanzierung, eine Pflichtmitgliedschaft für alle Pflegekräfte besteht nicht und es ist auch möglich, Organisationen der Pflegeunternehmen wie auch solche der Pflege-Beschäftigten als Mitglieder in den Pflegering einzubeziehen. An diesem Konzept nimmt sich Verdi in seinem Modell nun ein Beispiel, ändert das bayerische Modell aber an einigen Punkten ab. So sollen zwar die Verbände der Pflege-Beschäftigten dort Mitglied werden können, nicht aber Pflegeunternehmen und deren Berufsverbände. Obwohl die Zwangsmitgliedschaft als wesentliches Charakteristikum der Kammer fehlt, soll sie im Verdi-Modell für pflegefachliche Fragen und Grundsätze der Aus- und Fortbildung zuständig sein – allerdings nicht für die Berufsgerichtsbarkeit (also die Beantwortung der Frage, ob einem Unternehmen die Lizenz entzogen werden soll).

Der Gewerkschaft Verdi war in der Vergangenheit wiederholt unterstellt worden, sie lehne die Zwangsmitgliedschaft in der Pflegekammer aus Konkurrenzgründen ab – da die Pflegekräfte nicht parallel Beiträge für eine solche Kammer und die Gewerkschaft als Interessenvertretung zu zahlen bereit seien. Die massive Ablehnung der Kammer auf dem Bereich der betroffenen Pflegekräfte ist wohl aber in erster Linie auf die Beitragsbescheide zurückzuführen. Wiederholt haben Vertreter der SPD/CDU-Koalition durchblicken lassen, dass sie offen für eine Reform des Modells seien. Vor wenigen Tagen fand eine Verdi-Fachkonferenz statt, in der die Grundzüge des neuen Vorschlags vorgestellt und diskutiert wurden. In der Verdi-Pressemitteilung wird auch der stellvertretende SPD-Landtagsfraktionsvorsitzende Christos Pantazis zitiert, der zugesagt habe, das Verdi-Konzept in der SPD-Landtagsfraktion „zu prüfen“. Verdi-Landesleiter Detlef Ahting befürwortete eine „Vollbefragung“ aller Pflegekräfte in Niedersachsen (also nicht nur derer, die schon in der Pflegekammer registriert sind). Sie sollen sich dazu äußern, welches Modell sie für richtig halten. Pantazis hat laut Verdi-Mitteilung eine solche Vollbefragung als „sinnvoll“ bezeichnet.


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