An der Georg-August-Universität Göttingen geht die Sorge um, eine ihrer renommiertesten und bundesweit bekanntesten Einrichtungen könnte unter die Räder kommen: das „Institut für Demokratieforschung“. Nach Informationen aus politischen Kreisen hat die Universitätsleitung den 60 Mitarbeitern mitgeteilt, dass sie vorerst keine neuen Forschungsaufträge annehmen dürfen. Zwar versichert die Uni, dass an eine Schließung des Instituts keineswegs gedacht sei. Jeder Mitarbeiter könne seine laufenden Projekte auch ordentlich beenden. Befürchtet wird allerdings mittelfristig eine radikale Schwerpunktverlagerung. Die Uni sucht einen Nachfolger für den schwer erkrankten Politikwissenschaftler Franz Walter, der im Herbst 2017 die Leitung des Instituts niederlegen musste. Als Nachfolger ist nun offenbar der deutsche Historiker Sven Beckert aus Frankfurt im Gespräch, der an der Harvard-Universität in den USA lehrt und als Hauptforschungsgebiet die US-Geschichte des 19. Jahrhunderts hat. Nicht nur an der Uni, auch in der Politik wächst nun die Sorge, das typische Profil der Göttinger Politologen könne mit der Berufung von Beckert verloren gehen oder an den Rand gedrängt werden. „In Zeiten, in denen die Politik insgesamt eine Vertrauenskrise erlebt, brauchen wir ein Institut wie das in Göttingen“, sagt Landtagspräsidentin Gabriele Andretta (SPD) dem Politikjournal Rundblick, „es leistet wertvolle Arbeit“. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Fritz Güntzler erklärt, das Institut sei „in seiner jetzigen Ausrichtung von enormer Bedeutung“.

Die Göttinger Politikwissenschaft ist sehr stark mit dem Namen Franz Walter verknüpft, auch mit dem seines 2007 emeritierten und 2016 verstorbenen Kollegen Peter Lösche. Beide Sozialdemokraten standen für eine sozial-liberal ausgerichtete Wissenschaft, die stärker an praktischen Fragestellungen interessiert ist als die Politologie an der Uni Hannover, die lange Zeit marxistisch dominiert war, das jetzt aber nicht mehr ist. Walter hatte mit dem 2010 gegründeten Institut die Tradition der Göttinger fortgesetzt, er schirmte seine Arbeit auch nie vor der Öffentlichkeit ab, suchte vielmehr den offenen Disput. Es gab große Untersuchungen etwa zu Pädophilie-Bestrebungen bei den Grünen, zur Krise der Volksparteien, zur Bedeutung der Piratenpartei oder auch zur politischen Landesgeschichte. Teresa Nentwig, die mit ihrer Biographie über den ersten Ministerpräsidenten Hinrich-Wilhelm Kopf Zeichen setzte, gehört auch dazu. Walter wollte die wissenschaftliche Arbeit aus dem Elfenbeinturm herausholen und den öffentlichen Diskurs beleben. Da ihm solche Debatten wichtiger waren als Beiträge im kleinen, geschlossenen wissenschaftlichen Kreis, erntete er auch im Wissenschaftsbetrieb Hohn und Spott. Als „Feuilleton-Wissenschaftler“ ist Walter zuweilen beschimpft worden.

Das gipfelte 2005 in einer Auseinandersetzung mit dem damaligen Göttinger Uni-Präsidenten Kurt von Figura, der die Politikwissenschaft ausdünnen und Walter offenbar verdrängen wollte. Figuras Pläne lösten damals einen Proteststurm aus, die mit der These verknüpft wurden, man wolle offenbar unbequeme Wissenschaftler ausgrenzen. Die damalige CDU-geführte Landesregierung unter Ministerpräsident Christian Wulff sicherte daraufhin Walters Verbleib in Göttingen, das neue Institut wurde 2010 gegründet und versuchte seither nicht ohne Erfolg, sich mit Aufträgen von verschiedenen Stellen, auch vom Land, zu behaupten. Da im Hochschulalltag die Einwerbung von DFG-Fördergeldern oft höher bewertet wird als die Suche nach anderen Geldquellen, geriet Walters Institut auch diesbezüglich in die Kritik.

Nun will die Uni offenbar mit der geplanten Berufung des neuen Professors Beckert eine Humboldt-Professur gewinnen – also neue Fördertöpfe öffnen und der Uni Göttingen damit bessere Startvoraussetzungen im Ringen um den Exzellenz-Status verschaffen. Damit könnte der Plan, dem Institut mit dem neuen Professor an der Spitze eine Neuausrichtung zu geben, Teil einer größeren Strategie sein, der Uni im bundesweiten Vergleich ein höheres Ansehen zu verschaffen. Nicht nur Andretta und Güntzler befürchten allerdings, dass dies auf Kosten einer lange in Göttingen gehegten und gepflegten Wissenschaftstradition gehen könnte. Das Wissenschaftsministerium erklärt, auf diese Prozesse wenig Einflussmöglichkeiten zu haben. Wie die Stiftungs-Universität Göttingen organisiert ist, entscheidet sie weitgehend autonom.