Die Affäre um den bisherigen Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen hat die Große Koalition offenbar bis an einen Abgrund geführt. Mit dem Kompromiss konnte wohl gerade noch der Fall in die Tiefe verhindert werden – aber nun leidet die SPD, denn sie steht nicht als die strahlende Siegerin da. Weil ihre Vorsitzende Andrea Nahles den Streit eskalieren ließ, obwohl sie hätte wissen müssen, dass CSU-Chef Horst Seehofer kurz vor der Landtagswahl in Bayern nie einen Gesichtsverlust hinnehmen würde, mehren sich Zweifel an Nahles‘ strategischem Geschick. Das nährt Spekulationen, Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil könne den Parteivorsitz der SPD übernehmen und die neue starke Figur der SPD wären. Doch unter welchen Umständen wäre ein solcher Schritt überhaupt denkbar? Wir zeichnen vier Szenarien.


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Variante 1: Koalitionsbruch. Nach der bayerischen Landtagswahl am 14. Oktober, die für die CSU mit einer Schmach enden könnte, erklärt die CSU womöglich ihren Austritt aus der Großen Koalition auf Bundesebene. Dies könnte zwar dazu führen, dass CDU, SPD und Grüne eine neue Regierung unter Angela Merkel bilden. Wahrscheinlich ist das jedoch nicht, da die Führungen von CDU und CSU bemüht sein dürften, ihre Fraktionsgemeinschaft im Bundestag zu erhalten – und das Hauptinteresse von Horst Seehofer im Sturz von Kanzlerin Angela Merkel bestehen dürfte. Denkbar ist, dass Merkel im Bundestag die Vertrauensfrage stellen und keine Mehrheit bekommen würde, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier dürfte daraufhin den Bundestag auflösen – vorgezogene Neuwahlen wären die Folge, womöglich zusammen mit der Europawahl am 26. Mai 2019. Dass Merkel erneut CDU-Spitzenkandidatin würde, ist höchst unwahrscheinlich, und die Berliner SPD-Führungsriege gilt als beschädigt. Denkbar wäre ein Kanzlerkandidaten-Zweikampf zwischen Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU/CSU) und Stephan Weil (SPD).

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Variante 2: Koalitionswechsel. Wenn die Niederlage der CSU in Bayern schwächer als vermutet ausfällt, könnte der Unmut in der SPD das Ende der Großen Koalition auslösen. Vorstellbar wäre, dass dann die Jamaika-Koalition aus CDU/CSU, Grünen und FDP doch zustande kommt – womöglich unter Merkel, vielleicht auch unter Kramp-Karrenbauer. Die neue Mehrheit stünde unter einem starken Druck von AfD, SPD, Linken und vielen Medien, sie habe keine Legitimation durch das Volk und müsse sich daher den Wählern stellen. Die Rufe nach vorgezogenen Neuwahlen würden Früchte zeigen. Doch in diesem Fall wäre der Weg über eine verlorene Abstimmung zur Vertrauensfrage nicht so einfach – denn eigentlich bestünde ja eine Mehrheit im Bundestag für die Kanzlerin. 1982 war es nach dem Bruch der sozialliberalen Koalition und dem Start von Helmut Kohl ähnlich, damals löste Bundespräsident Karl Carstens dennoch den Bundestag auf – und das Bundesverfassungsgericht urteilte später, dass dieser Weg beschritten werden dürfe in einer „echten Krise“. 2005 nutzte Gerhard Schröder ebenfalls die gescheiterte Vertrauensfrage, obwohl auch damals seine rot-grüne Mehrheit im Bundestag noch stabil war. Der hannoverschen Staatsrechtler Hans-Peter Schneider rügte damals, eine bewusst verlorene Vertrauensfrage habe „den Geruch der Manipulation“. Nun könnte dieser Weg dennoch ein drittes Mal angewandt werden. Wenn dann Neuwahlen Mitte oder Ende 2019 stattfänden, könnte die SPD Weil als Kanzlerkandidaten aufstellen – mangels Eignung der Spitzenpersonen Nahles, Olaf Scholz und Heiko Maas in Berlin.

Variante 3: Koalitionsbefriedung. Sollten Union und SPD bei den Landtagswahlen in Bayern und Hessen nicht so schlecht abschneiden wie befürchtet, könnte sich die politische Lage auch wieder beruhigen – vor allem dann, wenn auch die AfD-Werte in den Umfragen nach unten gehen sollten. Die SPD müsste sich dann nicht auf Neuwahlen vorbereiten, doch was bliebe, wäre die Führungsschwäche von Nahles, die in der Maaßen-Affäre mehr als deutlich geworden ist. Denkbar wäre, dass Nahles irgendwann die Brocken hinwirft und Weil als neuer Parteichef gerufen wird, um die unterschiedlichen Strömungen der Sozialdemokraten miteinander zu versöhnen – getreu seinem inoffiziellen Regierungsmotto in Niedersachsen: „Es ist doch alles nicht so schlimm. Ich habe die Lage im Griff, ihr müsst mir nur vertrauen.“

Variante 4: rascher Nahles-Rücktritt. Denkbar ist, dass sich nach der Affäre Maaßen das politische Klima in der Großen Koalition wieder beruhigt, der Druck in der SPD aber die Parteichefin Nahles kurzfristig zu Fall bringt. Dann wäre Weil als Vertreter eines starken SPD-Landesverbandes womöglich als Parteichef gefordert, weil Malu Dreyer nicht will, Olaf Scholz keine Mehrheit bekäme und Manuela Schwesig noch abwartet. In diesem Fall bliebe er daneben aber Ministerpräsident in Hannover – obwohl sich dort, erkennbar für alle Beobachter, zwei mögliche Nachfolge-Aspiranten um verstärkte öffentliche Profilierung bemühen, die Minister Olaf Lies (Umwelt) und Boris Pistorius (Innen). Lies, der Menschenfischer, hat derzeit klar die Nase vorn. Pistorius erntet mit seiner teilweise schroffen und polternden Art, etwa im Umgang mit der AfD im Landtag, auch in den eigenen Reihen Kritik. (kw)