Eigentlich hatten sich alle schon mit dem Namen des neuen Landrats in Hameln-Pyrmont abgefunden. Dirk Adomat, ein ruhiger und auf das Zuhören fixierter Politiker, erntet allgemein viele Sympathien, er ist eben vom Typ her ganz anders als sein hemdsärmeliger und polarisierender Vorgänger Tjark Bartels. Bald sind es schon 100 Tage, die Adomat die Kreisverwaltung leitet. Aber nun auf einmal mehren sich Zweifel, ob er überhaupt zu Recht im Kreishaus sitzen darf. Denn zwei Wahleinsprüche von Bürgern aus dem Kreis sorgen für mächtig Wirbel.

Allgemein war damit gerechnet worden, dass der Kreistag die Einsprüche in seiner Sitzung am Abend des 7. Juli zurückweist. Doch die Debatte darüber uferte aus, die Abstimmung wurde verschoben – und auch die förmliche Vereidigung von Adomat konnte nicht vorgenommen werden. Ein Eklat auf ganzer Linie. Am Rande sei bemerkt: Da die Sitzung abgebrochen wurde, entschied der Kreistag auch nicht über das Ansinnen des früheren Landrats Bartels, seine Burn-Out-Erkrankung als beruflich bedingt einzustufen.


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Landratswahl in Hameln: Stichwahl auf 5. April verschoben


Der ganze Streit hat viel mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie Mitte März zu tun. Am 8. März, als sich nur wenige schon ausgemalt hatten, was die Epidemie in Niedersachsen anrichtet, war der erste Durchgang der Landratswahl. Zwei Bewerber lagen vorn, Adomat von der SPD und der Grünen-Bewerber Torsten Schulte. Eigentlich sollte der Stichentscheid zwei Wochen später sein, am 22. März. Doch dann, zwischen dem 13. und 16. März, spitzte sich die Lage landesweit zu. Die Schulen in Deutschland wurden geschlossen, mehrere Geschäfte im Einzelhandel auch, Veranstaltungen wurden untersagt.

Im Hamelner Kreishaus überlegte man fieberhaft, was nun zu tun sei – und entschied sich nach Rücksprache mit dem Innenministerium für einen radikalen Schritt: Die Stichwahl wurde auf den 5. April verschoben und so organisiert, dass sie als verpflichtende Briefwahl laufen sollte. Zuhause, so die Überlegung, sei bei der Stimmabgabe die Ansteckungsgefahr viel geringer als beim Aufsuchen von Wahllokalen. Eigentlich hätte der Kreistag darüber befinden müssen, doch dieser konnte wegen der Pandemie nicht zusammentreten. Also übernahm die Kreisverwaltung die Regie für die Änderung. Bei der Stichwahl siegte Adomat dann mit 51,1 gegenüber Schulte mit 48,7 Prozent – bei einer Wahlbeteiligung von 45,7 Prozent. Alles schien geregelt zu sein, die Einschränkungen waren der Pandemie geschuldet und unumgänglich, lautete die allgemeine Erklärung für die Besonderheiten dieser Wahl.

Zwei Bürger legten Einsprüche ein

Doch zwei Bürger, Bernard Heyen aus Hessisch Oldendorf und Fritz Marter aus Hameln, wandten sich mit Einsprüchen an den Landkreis. Sie halten die Stichwahl für unzulässig, weil sie auf fragwürdigen Rechtsgrundlagen beschlossen sei. Heyen, ein aus Belgien stammender Unternehmensberater, argumentiert auf Rundblick-Anfrage so: Zum einen sei für die Organisation der Wahl der Kreistag zuständig, hier aber hätten zwei Beamte der Kreisverwaltung allein agiert. Zum anderen biete das Bundesinfektionsschutzgesetz dem Land und dem Landkreis zwar die Möglichkeit, zur Verminderung einer Ansteckungsgefahr „Veranstaltungen“ zu untersagen. Dass auch Wahlen dazu zählen können, sei aber sehr fraglich. Und wenn man Wahlen in diesem Sinne als „Veranstaltung“ einstufe, dann erlaube das Infektionsschutzgesetz den Behörden lediglich, diese zu beschränken oder abzusagen.

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Das Vorschreiben einer bestimmten Art der Wahl, nämlich in diesem Fall der Briefwahl, falle sicher nicht unter die möglichen Varianten. Die Art, wie eine Behörde eine Wahl organisiert, müsse ausdrücklich im Gesetz geregelt werden. Hier lobt Heyen nun die Bayern, denn die hatten – trotz der Pandemie – in aller Eile ihre Wahlgesetze angepasst. In Niedersachsen soll das zwar auch geschehen, aber das entsprechende Gesetz wird derzeit immer noch im Landtag beraten, ist also noch lange nicht in Kraft. Wenn man sich nun auf höhere Gewalt nach dem geltenden Wahlrecht berufen wolle, sagt Heyen, dann gebe es die Möglichkeit der Verschiebung der Wahl – aber nur diese. Die Anordnung einer verpflichtenden Briefwahl sei keine Variante, die man dann alternativ anweisen dürfe. Und noch etwas fügt der engagierte Bürger hinzu: Eine verpflichtende Briefwahl öffne Manipulationsvorwürfen Tür und Tor. Denn die Gefahr, dass Bürger bei der Wahl nicht selbst die Stimmzettel ankreuzen, sondern von Bekannten oder Verwandten beeinflusst werden, sei dann riesengroß.

Die Kreisverwaltung versuchte, den Argumenten von Heyen und Marter etwas entgegenzusetzen. Die Festlegung der Stichwahl als verpflichtender Briefwahl sei der beste Weg gewesen, sagte ein Mitarbeiter, denn der erste Wahlgang sei ja schon gelaufen gewesen – und insofern hätte eine gesamte Verschiebung der Wahl bedeutet, dass man die Willensäußerung der Bürger im ersten Wahlgang ignoriere, man hätte „den Wählerwillen entwertet“. Man habe sich in einem „Normenkonflikt“ befunden und so entschieden – zumal nach Interpretation der Kreisverwaltung das Bundesinfektionsschutzgesetz den Spielraum für diese Festlegungen auch biete. In der Kreistagssitzung muss diese Darstellung nicht für alle überzeugend gewesen sein, denn Rüdiger Zemlin (FDP) äußerte viel Verständnis für Heyens Argumentation, sodass CDU-Fraktionschef Hans-Ulrich Siegmund nachdenklich wurde. Ursprünglich wollte auch die CDU die Einsprüche zurückweisen, nun aber beantragte Siegmund ein Vertagen der Entscheidung. Als auch der unterlegene Landratskandidat Torsten Schulte (Grüne) zu wanken begann und seine Enthaltung ankündigte, drohte dem rot-grün-roten Mehrheitsbündnis eine Niederlage. Der Abbruch der Sitzung auf SPD-Antrag war die Folge.

Wie geht es nun weiter? Sollte der Kreistag in der nächsten Sitzung die Wahleinsprüche annehmen, dürfte wohl die Stichwahl zwischen Adomat und Schulte wiederholt werden – bisher sind seither erst vier Monate vergangen, maximal sechs wären wohl zulässig. Sollte der Kreistag die Einsprüche mehrheitlich zurückweisen, will zumindest Heyen den Klageweg beschreiten vor dem Verwaltungsgericht und wenn nötig auch vor dem Oberverwaltungsgericht. Am Ende könnte dann die gesamte Landratswahl noch einmal wiederholt werden, sollte die letzte Gerichtsinstanz den Klägern Recht geben. (kw)