Björn Försterling steht am Rednerpult des Landtages und zerreißt Din A4-Zettel. Fortbestand der Förderschulen, Langfristige Personalplanung, Sprachförderung in der Vorschule, Schreiben nach Gehör: das sind die Stichworte auf den Blättern, die der bildungspolitische Sprecher der FDP-Fraktion jeweils in der Mitte durchreißt. „SPD und CDU haben vor der Wahl viele Versprechungen gemacht. Davon wollen sie jetzt aber nichts mehr hören“, kritisiert Försterling.

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Nach vier Minuten kommt der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Wiard Siebels, nach vorne und stellt Försterling einen Papierkorb neben das Rednerpult. „Sie werfen ihre Versprechungen an die Wähler in den Papierkorb“, nutzt Försterling die Vorlage. Die Besucher auf den Tribünen finden das unterhaltsam, der stellvertretende Landtagspräsident Bernd Busemann, der gerade die Sitzung leitet, ist dagegen wenig amüsiert. „Solche Einlagen müssen nicht sein“, mahnt er nach Försterlings Rede von seinem Platz oben in den Plenarsaal.

Es geht um Bildungspolitik und damit wieder einmal hoch her im niedersächsischen Landtag. Aber halt: eigentlich geht es zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht um Bildungspolitik, sondern vielmehr um die Gepflogenheiten zwischen Regierung und Opposition. Die FDP im Landtag hat einen Gesetzentwurf zur Änderung des Schulgesetzes eingebracht, der von SPD und CDU im Kultusausschuss „binnen zehn Minuten weggestimmt“ worden sei, wie Julia Willie Hamburg von den Grünen bemängelt. „Wovor haben Sie eigentlich Angst?“, fragt die Bildungspolitikerin der Grünen. Das sei kein Umgang mit der Opposition, die Gesetze einbringe. Auch Harm Rykena von der AfD spricht von einer Missachtung von Gepflogenheiten. „Operettendemokratie“ nennt er das.

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Bei SPD und CDU versteht man die ganze Aufregung nicht. Der FDP-Gesetzentwurf sei lediglich ein „Sammelsurium aus Wahlkampfforderungen“, der völlig unausgegoren sei, meint Christoph Bratmann von der SPD-Fraktion. Mareike Wulf, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU, warnt vor einem „unüberlegten Katalog von Maximalforderungen“. Der FDP gehe es mit dem Gesetzentwurf darum, andere bloßzustellen, die Wähler aber verlangten nach Lösungen. Auch Kultusminister Grant Hendrik Tonne sieht im Gesetzentwurf nur einen Spaltpilz, den die FDP in die Regierungsfraktionen treiben wolle. Am Ende der Debatte im Landtag wird der FDP-Entwurf „weggestimmt“, wie die Opposition wohl sagen würde.

Jedes Kind in Niedersachsen, das inklusiv beschult werden möchte, wird auch inklusiv beschult. – Grant Hendrik Tonne

Gleich im Anschluss geht es erneut um das Schulgesetz, diesmal aber um den Entwurf von SPD und CDU. „Auf Antrag des Schulträgers kann die Schulbehörde genehmigen, dass bestehende Förderschulen im Förderschwerpunkt Lernen im Sekundarbereich I bis längstens zum Ende des Schuljahres 2027/2028 fortgeführt werden“, heißt es in dem Entwurf. Ist das jetzt der Rettungsanker für diese Form der Förderschule? Nein, meint Försterling. „Das ist nur die Verlängerung des Aussterbens der Förderschule Lernen.“ Während der CDU-Landesvorsitzende Bernd Althusmann verspreche, das keine dieser Förderschulen geschlossen werde, sehe die Wirklichkeit anders aus. Schulträger könnten vor Ort durchaus entscheiden, dass eine Schule geschlossen werde.

Kultusminister Grant Hendrik Tonne ist von der Argumentation des FDP-Politikers überrascht. Er sieht eine Rolle rückwärts bei der FDP. „Ansonsten stellen Sie immer auf die Bedürfnisse vor Ort ab, hier wollen Sie jetzt eine einheitliche landesweite Linie. Ich halte den hier gefunden Kompromiss, den Situationen vor Ort mit einer Auswahl an Möglichkeiten gerecht zu werden, für ausdrücklich richtig“, so Tonne. Auch die Kritik der Grünen, man schaffe damit Inklusion ab, sei eine völlig falsche Verlautbarung. „Jedes Kind in Niedersachsen, das inklusiv beschult werden möchte, wird auch inklusiv beschult.“  Von einem „Kompromiss, der Lösungen schafft“, spricht Mareike Wulf von der CDU. Die Inklusion werde mit Augenmaß weiter vorangetrieben. Zuvor hatte Julia Willie Hamburg der Landesregierung bei den Förderschulen eine „Vollbremsung in voller Fahrt“ attestiert. Die Große Koalition schaffe damit ein teures Parallelsystem und untergrabe die Inklusion. „Diese Schulgesetznovelle atmet den Geist fauler Kompromisse“, so die Grünen-Abgeordnete.

„Inklusion braucht Zeit. Es geht nicht um die einseitige Umsetzung eines gesellschaftlichen Plans“, sagte CDU-Vizefraktionschefin Mareike Wulf – Foto: MB.

Weiterer Streitpunkt in der Debatte ist die Sprachförderung. Die besonderen Sprachfördermaßnahmen vor der Einschulung könnten „künftig auch außerhalb schulischer Verantwortung durchgeführt werden“, heißt es unauffällig im Gesetzentwurf. Übersetzt bedeutet das: rund 450 Lehrer, die bisher für die Sprachförderung in Kindergärten eingesetzt wurden, werden dort abgezogen und den Schulen zugewiesen werden. Die Kommunen sollen dafür 11 Millionen Euro erhalten (der Rundblick hatte darüber berichtet). Für Julia Hamburg soll damit die schlechte Unterrichtsversorgung an den Grundschulen auf dem Rücken der ohnehin schon belasteten Erzieherinnen verbessert werden. Und Björn Försterling warnt: „Es gibt zu wenige Erzieherinnen und Erzieher in den Kitas und dennoch belastet die Große Koalition die Kitas jetzt auch noch zusätzlich mit der Sprachförderung. Mit Geld allein beseitigt man nicht die Sprachdefizite bei den Kindern.“

Am Ende der Debatte wird deutlich: Bildungspolitik bleibt im Landtag umstritten. Aber die Kampflinien haben sich geändert. Jahrelang standen sich Rot-Grün und Schwarz-Gelb unversöhnlich gegenüber. Jetzt rücken SPD und CDU zusammen, während FDP und Grüne nach themenbezogenen Gemeinsamkeiten suchen. Und die AFD sucht in diesem seit Jahren eingeübten Bildungs-Ping-Pong im Landtag noch nach ihrer Rolle. (MB.)