Von Martin Brüning

„Wir verschließen uns keiner Impfpflicht. Sie kann eine Ultima Ratio zur Sicherung eines Gesamtpakets zur Verbesserung des Impfschutzes sein“, sagt Sozialministerin Carola Reimann. Die Pflicht zur Masern-Impfung sei allerdings keine einfache Maßnahme. Sie dürfe nicht leichtfertig vorgegeben werden. Reimann macht am Mittwoch im Landtag damit deutlich, dass die Große Koalition in der Frage einer verpflichtenden Masern-Impfung nach wie vor nicht ganz auf einer Linie liegt. Sich nicht zu verschließen ist nicht gleichbedeutend mit der Aussage, dass eine Masern-Impfpflicht „jetzt umgehend geboten“ sei. So hatte es der niedersächsische CDU-Vorsitzende Bernd Althusmann Mitte April formuliert. Reimann liegt in der Frage eher bei Ministerpräsident Stephan Weil, der der Regierungssprecherin zufolge einer Impfpflicht „nicht abgeneigt“ ist. Eine Impfpflicht sei vorstellbar, wenn sie geeignet, erforderlich und angemessen sei, sagt Reimann am Mittwoch im Landtag. Dabei müssten allerdings die Rechtsgüter Gesundheitsschutz und Selbstbestimmung beziehungsweise körperliche Unversehrtheit gegeneinander abgewogen werden.

Gesundheitsministerin Carola Reimann (SPD) plant eine Info-Kampagne zur Masern-Impfung – Foto: sharryfoto

Auch für die Sozialministerin steht fest, dass die Krankheit vollständig eliminiert werden muss, wie es auch die Zielsetzung der Weltgesundheitsorganisation vorsieht. Man wollen einen „Herdenschutz“ erreichen. Bund und Land könnten nicht akzeptieren, dass es in einem Land mit umfassender Gesundheitsversorgung immer noch Masernausbrüche gebe. Reimann setzt dabei aber immer noch auf die Kraft der Aufklärung. Am wichtigsten sei es, Menschen zu informieren. „Überzeugung gilt mehr als Pflicht“, sagt die Ministerin. Um die Niedersachsen zu überzeugen, plant das Sozialministerium eine Kampagne mit dem Titel „Impfen. Klar.“ 70.000 Euro habe der Landtag dafür eingestellt. Mit dem Geld sollen sowohl die Ärzte als auch die Niedersachsen zusätzliche Informationen zur Masern-Impfung bekommen.

70.000 Euro für eine Informationskampagne zur Masern-Impfung

Aktuelle Zahlen machen Reimann zufolge deutlich, dass es keine grundsätzliche Ablehnung in der Bevölkerung gibt. Die Impfakzeptanz sei in den vergangenen Jahren gestiegen. Derzeit befürworteten 78 Prozent eine Impfung, nur noch fünf Prozent seien dagegen. Die Akzeptanz würde auch dadurch deutlich, dass 97 Prozent der Kinder die erste Masern-Impfung hätten. Vielen sei allerdings nicht bekannt, dass noch eine zweite Impfung nötig ist, weil das früher einmal anders gewesen ist. Dadurch fehlt einigen die zweite Impfung. Dadurch sinkt der Wert, wenn es um die Durchimpfung geht (also den zweifachen Schutz), unter die wichtige 95-Prozent-Marke. In Niedersachsen liegt der Wert bei 93 Prozent. Ein größeres Problem als fehlende Zweit-Impfungen bei Kindern sind Reimann zufolge mittlerweile vor allem die nach 1970 geborenen. „Masern treten inzwischen überwiegend bei Erwachsenen und nicht bei Kindern auf. Da spiegelt sich, dass in den Jahren von 1970 bis zur Jahrtausendwende noch nicht so konsequent geimpft wurde“, berichtet die Sozialministerin. Gerade Menschen mittleren Alters sollten beim Hausarzt ihren Impfstatus kontrollieren lassen.

https://soundcloud.com/user-385595761/reimann-einer-impfpflicht-verschliese-ich-mich-nicht

Mit ihrer Haltung, stärker auf Aufklärung und weniger auf Pflicht zu setzen, liegt Reimann auf einer Linie mit der EU-Kommission, die in einer Impfpflicht ebenfalls kein Allheilmittel sieht. Zwar könne das in einigen Ländern funktionieren, aber andere Organisationsformen des Impfens schienen genauso wirksam zu sein, meinte Vize-Kommissionspräsident Jyrki Katainen im April. Er sieht bei vielen EU-Bürgern vor allem ein Informationsdefizit. Bei einer Befragung von fast 28.000 EU-Bürgern waren zuvor große Impf-Wissenslücken festgestellt worden. Demnach glaubt fast die Hälfte, dass die Behandlungen häufig zu schweren Nebenwirkungen führen. Fast 40 Prozent waren der Ansicht, dass Impfungen die Krankheiten auslösen können, gegen die sie schützen sollen. In der Realität kommt das allerdings so gut wie nie vor.

Bund bereitet derzeit eine Impfpflicht vor

Landes-Kampagne hin, Selbstbestimmung her: Der Bund bereitet derzeit eine Impfpflicht vor. Umfragen zufolge hat ein Großteil der Bevölkerung auch kein Problem mit einer verpflichtenden Lösung. Geht es nach Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, müssen Kinder in Schulen, Kindergärten, Heimen und Ferienlagern ab März kommenden Jahres bald nachweislich geimpft sein. Das soll zum Beispiel auch für alle gelten, die in solchen Einrichtungen arbeiten. Lehrer, die keine Masern-Impfung nachweisen können, dürften dann nicht mehr ins Klassenzimmer. Bei Verstößen sollen Bußgelder von bis zu 2500 Euro drohen.

Dem kann man allerdings zuvorkommen, auch ganz ohne Zwang. Und man muss auch nicht bis März 2020 damit warten, den eigenen Impfschutz zu kontrollieren. „Ich kann alle nur ermuntern, ihre Impfpässe einmal zu checken“, sagt Reimann.


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