Die letzten Minuten im Leben eines Rindes führt man sich nicht so gern vor Augen. Steht man an der Fleischtheke, verdrängt man die Bilder am besten aus dem Kopf. Nach längerer Fahrt auf der Ladefläche eines Transporters laufen die Tiere in ein völlig unbekanntes Gebäude. Manch einer meint, sie könnten den Tod schon riechen, wenn sie den Schlachthof betreten. Zuerst haben die Rinder noch viel Platz und können beieinander sein, in der gewohnten Herde kurz zur Ruhe kommen.

Doch dann wird der gekachelte Gang immer schmaler, die Tiere werden vereinzelt und schließlich nacheinander in eine enge Metallvorrichtung geführt. Ein Mitarbeiter des Schlachthofes fixiert den großen Kopf, setzt ein Gerät an und betäubt das Tier mit dem gezielten Schuss eines Metallbolzens durch die Schädeldecke direkt ins Gehirn. Binnen Sekunden wird das bewusstlose Tier mit einer Seilwinde hochgezogen, der fachkundige Schlachter durchtrennt die Haut am Hals des Tieres und setzt gezielt einen Stich in die Hauptschlagader. Das Tier blutet aus und stirbt.


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Es sind diese Schritte zwischen Anlieferung und Tod des Tieres, die Herbert Dohrmann, Präsident des Deutschen Fleischer-Verbandes, kürzlich als die heikelste Phase seines beruflichen Alltags bezeichnete. Alles danach – das Abziehen der Haut, das Entfernen der Innereien, das Zerteilen des Körpers – sei Routine, Handwerk eben. Solange das Tier aber noch lebt, könne vieles schiefgehen. Quetschungen bei der Anlieferung, ein falsch angesetzter Bolzenschuss, ein missglückter Entblutungsschnitt – all das wäre fatal.

Über diese Risiken sprach Dohrmann kürzlich vor den Mitgliedern des Agrarausschusses des niedersächsischen Landtags. Denn dort wird gerade über eine Alternative zum Schlachten im Schlachthof beraten. Es geht um die Möglichkeit, künftig auch im Herkunftsbetrieb beziehungsweise auf der Weide schlachten zu dürfen. Zwei Entschließungsanträge in dieser Angelegenheit werden derzeit im Landtag verhandelt, das FDP-Papier datiert schon von 2019, die Große Koalition hat später mit einem eigenen Antrag nachgezogen.

EU erlaubt Schlachtung an der Weide

Ein Teil der diskutierten Maßnahmen hat sich derweil schon fast wieder erledigt. Die Europäische Union eröffnet bereits einen größeren Spielraum für Landwirte. Voraussichtlich im Juni sollen dazu die Hygienevorschriften bei der Lebensmittelerzeugung angepasst werden, um mehr Schlachtungen dann auch im Herkunftsbetrieb zu erlauben. Der Entwurf der EU-Kommission sieht vor, dann unter bestimmten Bedingungen zuzulassen, dass bis zu drei Rinder, sechs Schweine oder drei Pferde in einem Rutsch an Ort und Stelle geschlachtet werden können. Bislang gilt in der EU ein generelles Schlachthofgebot. Das bedeutet, dass gewerbliche Schlachtungen nur in einem EU-zertifizierten Betrieb stattfinden dürfen – also in einem geschlossenen Raum mit besonderen Hygieneanforderungen und Vorrichtungen zum Fixieren der Tiere.

Eine Ausnahme sieht das EU-Recht aktuell nur für Schalenwild vor, also etwa Rehe, Hirsche und Gämse, die in Wildfarmen leben, unter bestimmten Umständen auch für Bisons. In Deutschland ist eine Schlachtung jenseits des Schlachthofs zudem bei Rindern zulässig, die ganzjährig auf der Weide gehalten werden. Für eine Ausdehnung dieser Ausnahmen sprechen unterschiedliche Argumente. So wächst die gesellschaftliche Erwartung, den Nutztieren ein möglichst stressfreies Ableben zu ermöglichen – zudem wird dabei eine bessere Qualität des Fleisches erwartet. Ein langwieriger Transport in die immer weniger werdenden Schlachtbetriebe steht dem gemeinhin entgegen. Zudem kann ein Transport auch ein Risiko für Mensch und Tier bergen. Dem soll die geänderte Verordnung Rechnung tragen.

Fleischer-Verbandspräsident Dohrmann sieht diese Ausweitung kritisch. Er plädiert für eine strenge Trennung von Landwirtschaft und Schlachtung. Wann immer diese Trennung aufgehoben wird, bestehe eine größere Gefahr für einen Seucheneinfall, wie etwa der Listerien. Auch dass es dem Tier bei einer Weideschlachtung prinzipiell besser geht, will er nicht einfach so stehen lassen. Im Agrarausschuss des Landtags sagte Dohrmann, es sei zweifellos richtig, dass es für die Tiere angenehmer sei, wenn die Transporte wegfielen. Es könne aber nicht davon ausgegangen werden, dass mobile Schlachtungen per se tierschutzgerechter abliefen. Ob im Herkunftsbetrieb immer eine korrekte Fixierung der Tiere vor dem Bolzenschuss gewährleistet sein könne, stellte der Fleischermeister in Frage.

Es darf nicht übersehen werden, dass es noch zahlreiche kleine Betriebe gibt. Eine Fokussierung von Fördergeldern hätte aber zur Folge, dass regionale Betriebe schließen müssten.

Dohrmann hofft stattdessen auf eine bessere Förderung für kleine Schlachtbetriebe vor Ort. Diese würden dazu beitragen, dass die Tiere nicht über lange Strecken zur Großschlachterei transportiert werden müssen. Auch der kurzzeitige Ausfall eines einzelnen Betriebes hätte nicht eine solch verheerende Folge wie etwa die Corona-bedingte Stilllegung einer Großschlachterei im Jahr 2020 ausgelöst hatte. Damals fiel ein Großteil des landesweiten Schlachtkapazität von einem Tag auf den anderen weg und die Tiere stauten sich allmählich in den Ställen.

Die kleinen Betriebe können aber kaum noch mit den Großkonzernen mithalten, führt Dohrmann aus. Weil die Gebühren für Fleischuntersuchung und -entsorgung gestaffelt seien, würden gerade kleine Betriebe überproportional belastet. Wenn der Landtag sich nun auch noch dafür entscheiden würde, die Förderung einseitig für das mobile oder teilmobile Schlachten zu erhöhen und nicht die bestehenden aber schwächelnden Strukturen zu stärken, wäre das kontraproduktiv, mahnt der Fleischereipräsident: „Es darf nicht übersehen werden, dass es noch zahlreiche kleine Betriebe gibt. Eine Fokussierung von Fördergeldern hätte aber zur Folge, dass regionale Betriebe schließen müssten.“

Von Niklas Kleinwächter