Am Mittwoch haben die eigentlichen Koalitionsverhandlungen von SPD und Grünen begonnen, die in Wahrheit nur die Fortsetzung von Arbeitsgruppen-Gesprächen auf höherer Ebene waren. Es liegen also aus elf Arbeitskreisen schon Vorschläge für Formulierungen im Koalitionsvertrag vor – wobei die strittigen Punkte ausgeklammert und für die „große Runde“ aufgespart wurden. Diese „große Runde“ hat sich am Mittwoch mit dem Thema Wirtschaftspolitik befasst. „Wir wollen durchaus nicht mit den leichten Themen beginnen“, erklärte Weil und bestätigte damit Vermutungen, dass die härtesten Konflikte zwischen SPD und Grünen im Bereich der Infrastruktur-Gestaltung liegen.

Die SPD befürwortet Autobahnneubauten (Küstenautobahn, A33 Nord und A39), die Grünen lehnen sie ab. Die Grünen wollen Straßenneubauten auf das nötigste beschränken, die SPD steht zu Straßenneubauten. Bei der Vergabe öffentlicher Aufträge wollen die Grünen auch die realen CO2-Kosten ermitteln und berücksichtigen, die SPD hingegen bremst bei Rufen nach zu viel Auflagen und Vorgaben, damit Auftragsvergaben nicht zu kompliziert gestaltet werden.

Julia Hamburg und Stephan Weil stellen die Ergebnisse des ersten Verhandlungstages vor. | Foto: Kleinwächter

Ein Satz, den Weil zum Start der Gespräche aussprach, gibt nun Anlass für allerlei Mutmaßungen: „Die Grünen haben ihr Profil beim Klimaschutz, die SPD bei Arbeit und Wirtschaft“. Das kann schon als eine Wegweisung für die spannende Frage der Ressortverteilung verstanden werden, die erst ganz zum Schluss, also am 3. November, festgelegt werden soll. Bekannt ist, dass Umweltminister Olaf Lies gern wieder Wirtschaftsminister werden will und dafür aus der SPD breite Unterstützung erhält. Die Grünen haben aber wiederholt für ihre Spitzenkandidatin Julia Hamburg Anspruch auf das Wirtschaftsressort erhoben – neben den Ministerien für Umwelt (Christian Meyer) und Landwirtschaft (Miriam Staudte). Manche vermuten nun, die Grünen würden hoch pokern und Hamburg könnte sich am Ende – gegen weitere Entgegenkommen der SPD – mit dem Kultusressort begnügen. Derzeit gilt das Kultusressort als äußert unbeliebt bei beiden Parteien.

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Die andere Variante wäre, dass die Grünen sich stur stellen und das Wirtschaftsministerium geteilt werden müsste. Wirtschaft und Arbeit kämen zu Olaf Lies (SPD), Klimaschutz und Verkehr zu Julia Hamburg (Grüne). Die weitere SPD-Ministerliste könnte in der Folge so aussehen: Boris Pistorius (Innen), Daniela Behrens (Soziales), Hanna Naber (Wissenschaft), Grant Hendrik Tonne (Finanzen) und Immacolata Glosemeyer (Europa und Regionales). Für das Kultusministerin wird über die frühere GEW-Chefin Laura Pooth spekuliert, die früher der Linkspartei und jetzt der SPD angehört. Sie müsste dann dem SPD-Bezirk Braunschweig zugeordnet werden, was aber politisch einen Kraftakt voraussetzt, da sie mit ihrer Familie bisher noch in Oldenburg wohnt und wohl umziehen müsste.


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Die Grünen hätten dann neben Hamburg noch drei Minister: Christian Meyer (Umwelt ohne Klimaschutz), Miriam Staudte (Agrar) und der Rechtsanwalt Thomas Klein aus Osnabrück (Justiz). Die Grünen-Fraktionsspitze könnten Gerald Heere (Braunschweig) und Anne Kura (Osnabrück) bilden, SPD-Fraktionschef könnte Wiard Siebels (Aurich) werden, Landtagspräsidentin die hannoversche Abgeordnete Thela Wernstedt. Der Schönheitsfehler dieses Modells wäre indes, dass die neue Regierung dann gegenüber dem Jetzt-Zustand ein Ministerium zusätzlich hätte.

Foto: Wallbaum

Aus den Verhandlungsgruppen von SPD und Grünen hört man, dass die Gespräche durchaus nicht immer konfliktfrei gewesen seien. So sind die Vertreter der Grünen wohl aufgefallen durch drastische Forderungen bei Tierschutz-Vorgaben in der Landwirtschaft ebenso wie durch den Ruf nach einem Anti-Diskriminierungsgesetz, mit dem ein Netz von staatlichen Beschwerdestellen aufgebaut werden soll. In der SPD hält man das für wenig praxisnah. Auch ein „Informationsfreiheitsgesetz“, das bisher von den Kommunen auch wegen des damit nötigen bürokratischen Aufwands kritisch gesehen wird, steht oben auf der Wunschliste der Grünen.



Klimaziele werden verschärft: Weil sagte nach der ersten Verhandlungsrunde, dass die Klimaschutzziele verschärft werden sollen: Bis 2030 soll erneuerbare Energie zu 75 Prozent genutzt werden, bis 2035 zu 90 Prozent und bis 2040 vollständig. Bisher sind die Ziele der CO2-Vermeidung im Klimagesetz maßvoller – 65 Prozent bis 2030, 76 Prozent bis 2035 und 80 Prozent bis 2040. SPD und Grüne seien sich einig, eine Landesinfrastrukturgesellschaft zu gründen, die Gewerbeansiedlungen steuern soll. Es könne auch eine andere Gesellschaft umgewidmet werden. Eine Landeswohnungsbaugesellschaft solle sozialen Wohnungsbau fördern, neben dem 49-Euro-Ticket solle es für Schüler und Auszubildende ein 29-Euro-Ticket geben. Hamburg sagte, die Pflicht zum Einbau von Solaranlagen solle auf bestehende Immobilien ausgeweitet werden. Weil erklärte, die zwischen SPD und Grünen umstrittenen Autobahnbauvorhaben lägen in der Zuständigkeit des Bundes, hierzu werde man im Koalitionsvertrag eine für beide Seiten verträgliche Formulierung finden.