Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) rät im Umgang mit dem Corona-Virus dazu, einen „typischen niedersächsischen Charakterzug“ wirksam werden zu lassen – man solle einen kühlen Kopf bewahren und Gelassenheit an den Tag legen. Im Interview mit der Redaktion des Politikjournals Rundblick äußert sich der Regierungschef außerdem zum Klimaschutz-Konzept, zu den großen Aufgaben für die Zukunft und zur Frage, wie er die Arbeit des Bundespräsidenten einschätzt.

Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil mit Klaus Wallbaum (li.) und Marin Brüning (re.) vom Politikjournal Rundblick – Foto: RB

Rundblick: Herr Weil, was raten Sie den vielen Mitarbeitern in den niedersächsischen Behörden, die wegen der Corona-Debatte jeden Morgen zur Arbeit gehen und beispielsweise in Großraumbüros tätig werden?

Weil: Zunächst rate ich zu einem vernünftigen und vorsichtigen Verhalten, gepaart mit einer Portion Gelassenheit als typisch niedersächsischer Mentalität: Wer husten oder niesen muss, sollte sich das in Gegenwart anderer Menschen verkneifen oder die Armbeuge nutzen, nicht die Hand. Den Händedruck und die Umarmung zur Begrüßung sollte man vermeiden, und man sollte einen Meter Abstand halten zum Rest der Menschheit. Wer sich oft die Hände wäscht, hat gute Aussichten, nicht angesteckt zu werden. Ich würde nicht dazu raten, Büros und Fabriken lahm zu legen, das wäre die falsche Reaktion. Aber es gibt gerade in den Behörden die Chance, viele Arbeiten per Homeoffice zu erledigen. Das kann man in Anbetracht der Corona-Ereignisse stärker nutzen als bisher schon. Die einzelnen Teile der Landesverwaltung können das bislang selbst entscheiden. In der Staatskanzlei gibt es ganz generell den Maßstab, dass bei entsprechender technischer Ausrüstung bis zu 40 Prozent der Arbeit zuhause geleistet werden kann. Bei Bedarf können wir diesen Anteil natürlich erhöhen.

Rundblick: Stellen Sie eine Hysterie fest?

Weil: Bisher haben wir die Einschätzung, dass ein großer Teil der Erkrankten das Virus nach ein paar Wochen überstanden haben wird und wieder gesund ist. Aber es gibt auch andere Fälle und eine große Besorgnis in der Bevölkerung – und das nehmen wir auch sehr ernst. Nach jetzigem Stand kann ich sagen, dass wir die Herausforderung in Niedersachsen hier bislang gut lösen. Irritiert hat mich das Verhalten mancher Organisatoren von größeren Veranstaltungen, die genau wissen, dass diese jetzt nicht vertretbar sind, dennoch aber lieber auf eine behördliche Absage setzen – in der Erwartung, dann Regressansprüche geltend machen zu können.

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Rundblick: Kommen wir zum Klimaschutz. Demnächst muss ein Maßnahmenplan vom Kabinett entwickelt werden. Müssen wir damit rechnen, dass in alle Behördenbauten neue Heizungen eingebaut werden, Solaranlagen auf die Dächer kommen und die Wärmeschutzverglasung erneuert wird?

Weil: Der Maßnahmenplan wird mit Geld unterlegt, das wir aus den Mehreinnahmen im Jahr 2019 schöpfen. Es geht um mehr als Behördenbauten oder den Fuhrpark der Landesverwaltung. Ich befürworte beispielsweise ein Programm zur Wiederaufforstung niedersächsischer Wälder, denn der Wald ist ein großer CO2-Speicher. Gleiches gilt für die Wiedervernässung von Mooren. Auch die Elektromobilität spielt eine große Rolle in diesem Zusammenhang, wir brauchen für die E-Autos ausreichend Ladestationen – im ganzen Land.

Alle Beteiligten in der SPD haben ihre Lehren aus dem miserablen Jahr 2019 gezogen.

Rundblick: Das Kabinett hat bald Halbzeit – dann stehen noch weitere zweieinhalb Jahre bis zur nächsten Landtagswahl bevor. Was planen Sie mit Blick auf die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse von Stadt und Land?

Weil: Der ländliche Raum hat für uns grundsätzlich eine sehr hohe Bedeutung. Wir wollen das Giganetz bis 2025 flächendeckend im ganzen Land erreicht haben, derzeit liegen wir etwa bei zwei Dritteln der Fläche. Auch die ärztliche Versorgung ist wichtig, mit mir wird es keine Konzentration auf landesweit nur wenige Krankenhäuser geben. Die gute allgemeinärztliche Versorgung im ländlichen Raum ist eine hochpolitische Angelegenheit. Es darf nicht der Eindruck entstehen, die Menschen in den Städten hätten hier bessere Angebote als die im ländlichen Raum. Dazu hilft auch die Landarztquote. Sie ist bestimmt kein Allheilmittel, aber sie bietet die Chance für Menschen, die vielleicht keinen Abiturschnitt von 1,0 haben und trotzdem den Arztberuf erlernen wollen – weil sie ihn mit Leidenschaft erfüllen möchten. Diese Menschen sind herzlich willkommen bei uns, und die Ausweitung der Medizin-Studienplätze in Oldenburg geschieht ja auch bereits.

Rundblick: Die beiden neuen SPD-Vorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans wirken für viele Beobachter wie ein Fremdkörper in der SPD-Spitze. Vor der Hamburger Bürgerschaftswahl wollten die Genossen die beiden gar nicht sehen. Wie klappt die Kooperation mit ihnen?

Weil: Alle Beteiligten in der SPD haben ihre Lehren aus dem miserablen Jahr 2019 gezogen. Die SPD ist  in den Umfragen auf einem Niveau angekommen, das wir uns alle nicht hätten vorstellen können. So konnte es nicht weitergehen. Wichtige Lehren wurden gezogen, nehmen Sie mal den Koalitionsgipfel in Berlin am vergangenen Sonntag. Wir erlebten ein konstruktives, gutes Zusammenwirken an der Parteispitze – die beiden Vorsitzenden, der Vizekanzler und der SPD-Bundestagsfraktionsvorsitzende. Sorgen macht mir aktuell eher die Entwicklung in der Union, und ich hätte mir nicht träumen lassen, dass ich mal eine Krise der Union mit so unguten Gefühlen verfolge. Wir merken, dass ein jahrzehntelang sehr erfolgreiches und stabilitätsbildendes Modell – eine starke Volkspartei links der Mitte, eine andere rechts der Mitte – massiv unter Druck gerät. Selbst wenn Armin Laschet gewinnt, wird er zur Integration des Merz-Lagers seine Partei wohl tendenziell eher nach rechts führen müssen. Unter diesen Umständen ist die SPD geradezu verpflichtet, verstärkt Angebote für die gesellschaftliche Mitte zu machen.

Rundblick: Wären Sie bereit zur Kanzlerkandidatur?

Weil: Wir haben uns alle zu dieser und ähnlichen Fragen auf dieselbe Antwort verständigt: Zu dieser Frage werden die beiden Parteivorsitzenden zu geeigneter Zeit einen Vorschlag unterbreiten.

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Rundblick: Würden Sie Frank-Walter Steinmeier ermuntern, sich für eine weitere Amtszeit als Bundespräsident zur Verfügung zu stellen?

Weil: Unser Bundespräsident ist für die aktuelle Situation genau der Richtige: er ist hochgradig vertrauenswürdig, er denkt nach, bevor er sich äußert und er arbeitet mit großer Überzeugung für unsere Demokratie. Von mir aus sollte er sich herzlich gern für eine weitere Amtszeit bereit erklären. Aber das muss er selbst wissen. Generell ist es ja leider nicht so, dass die SPD in der Bundesversammlung eine Mehrheit hätte. Aber Steinmeier genießt auch über Parteigrenzen hinweg ein hohes Ansehen und bis zu der Wahl vergehen noch zwei Jahre.