Eigentlich wollten Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) und sein Stellvertreter, Wirtschaftsminister Bernd Althusmann (CDU), eine Bilanz der vergangenen zweieinhalb Jahre ziehen. Doch die aktuellen Ereignisse sind so überragend, dass die entsprechende Pressekonferenz gestern einen neuen Charakter bekam: Weil und Althusmann demonstrierten Einigkeit in der Haltung Niedersachsens bei den anstehenden Lockerungen der Corona-Beschränkungen. „Wir haben uns aus der Debatte der Bundesländer in jüngster Zeit herausgehalten“, betonte der Ministerpräsident und fügte hinzu: „Wir wollen weder Lockerungsmeister werden noch der lockerste Lockerer. Die Menschen sollen wissen, woran sie in Niedersachsen sind.“

Nach seiner Auffassung müsse man „noch mindestens ein Jahr lang“ besondere Rücksicht nehmen, Masken tragen und Abstand halten. Althusmann stimmte zu und ergänzte, die Maske sei gegenwärtig auch „ein ganz wichtiges psychologisches Element“, da sie Respekt vor dem Mitmenschen und Bereitschaft zur Vorsicht signalisiere.

Halbzeit ’72: Damals mit Kultusminister von Oertzen, Finanzminister Heinke und Ministerpräsident Kubel – es gab allerdings keine Große Koalition, die SPD konnte alleine regieren- Foto: Rieger

In der Betrachtung der aktuellen Corona-Herausforderungen demonstrierten die beiden Politiker, die auch Landesvorsitzende von SPD und CDU sind, überwiegende Einigkeit:

Ja zur Tracking-App: Wie Althusmann, der sich schon vor längerer Zeit äußerte, befürwortet auch Weil die sogenannte Tracking-App, ein Angebot an Handy-Nutzer, das freiwillig sein soll und ermöglicht, die Kontakte zu anderen Handy-Nutzern der vergangenen Wochen nachzuvollziehen. Sollte ein Handy-Nutzer in die Nähe eines Corona-Infizierten gekommen sein, wird mit diesem Mittel automatisch eine Warnung verschickt. „Das ist eine gute Möglichkeit“, lobte Weil. Althusmann ergänzte, in der Kombination der App mit dem in Braunschweig entwickelten System „Sormas“ könnte der Datenaustausch noch verbessert werden. Das könne die Gesundheitsämter entlasten.

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Skepsis beim Sparprogramm: Zur Finanzpolitik äußerte sich Althusmann nicht, Weil aber meinte, trotz der wegbrechenden Steuereinnahmen halte er eine Überprüfung der Landesausgaben gegenwärtig für nicht angebracht. Einsparungen würden die Nachfrage schwächen, die derzeit gerade gestärkt werden müsse. Viel effektiver als Kürzungen staatlicher Ausgaben seien höhere Steuereinnahmen über eine florierende Wirtschaft – und die Bereiche Bildung, Polizei und Hochschulen seien „sicher keine Steinbrüche für die Haushaltspolitik“, fügte er hinzu.

Ansprüche an Altmaiers Pläne: Althusmann übte Kritik an Details des Plans der Bundesregierung, 25 Milliarden Euro für Betriebe bis zu 249 Mitarbeiter zur Verfügung zu stellen – maximal 50.000 Euro monatlich je Betrieb. Am 3. Juni soll dieser Plan fertig sein. Bisher seien die Antragsbedingungen viel zu detailliert und zu kompliziert, die N-Bank in Niedersachsen werde das kaum administrieren können. „Wir brauchen ein schlankes Verfahren“, fordert der niedersächsische Wirtschaftsminister.

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Zukunftsinvestitionen geplant: Im zweiten Nachtragshaushaltsplan, der Mitte Juli im Landtag beschlossen werden soll, sollen Steuerausfälle aufgefangen und Wirtschaftshilfen gegenfinanziert werden (etwa der Landesanteil zum Bundesprogramm). Weil sagte, man werde dann klären, ob das Land einen Anteil zum Bundesbonus von 1000 Euro für die Pflegekräfte leistet und ob Sonderprogramme, etwa für die Erwachsenenbildung, aufgelegt werden.

Auch Kommunalzuschüsse könnten Bestandteil des Plans werden. Althusmann forderte als Folge der Corona-Krise, die Bau- und Vorhabenplanungen müssten in ganzer Breite beschleunigt werden, die Digitalisierung müsse noch zielstrebiger ausgebaut werden – eine 100-Prozent-Gigabit-Versorgung bis 2025 wird angepeilt, dazu sollten in diesem Jahr die Kräfte gebündelt werden. Die geltende EU-Richtlinie, wonach in Gebieten mit maximal 30 Mbit pro Sekunde gefördert werden darf, sei ein „Treppenwitz“ und müsse entschärft werden.

Wir wollen weder Lockerungsmeister werden noch der lockerste Lockerer.

Untersuchung in Schulen: In mehreren Schulen soll jetzt eine Modell-Studie der Mikrobiologin Prof. Stefanie Heiden (Uni Hannover) starten, in der die Frage untersucht wird, ob Schüler Corona-Infektionsträger sind – oder ob die Ansteckungsgefahr bei ihnen eher gering ist. Übertragen Kinder das Virus schneller, weil sie mehr Kontakte haben als ältere Menschen? In den Modell-Schulen (vermutlich in Hannover) wird es dafür umfangreiche Tests geben. Binnen weniger Stunden sollen die Testergebnisse vorliegen und eine wichtige Datenbasis liefern. 2,9 Millionen Euro an Fördermitteln des Landes fließen in diese Untersuchung. Prof. Heiden gehört zum Beraterkreis von Althusmann, der diese Modell-Studie ausdrücklich unterstützt.

Großveranstaltungen bleiben tabu: Weil erklärte, es sei heute überhaupt noch nicht klar, wann größere Zusammenkünfte wie Konzerte, Theateraufführungen oder Fußballspiele vor zehntausenden Menschen wieder stattfinden könnten. Die Virologen würden raten, mit derartigen Treffen, in denen die Ansteckungsgefahr besonders hoch ist, solange zu warten, bis ein Impfstoff gegen das Corona-Virus entwickelt worden ist. Bis Ende August, wie bisher schon festgelegt, werde das Verbot solcher Großveranstaltungen auf jeden Fall bestehen bleiben. (kw)