Von Martin Brüning

Stellen Sie sich folgendes Szenario vor: Sie wachen am Morgen auf und haben Kopfschmerzen. Ihr Smartspeaker, zum Beispiel ein Amazon-Echo- oder Google-Home-Gerät, stellt fest, dass es Ihnen nicht gut geht und lässt Ihre Symptome mit einem Online-Programm prüfen. Das System bietet Ihnen anschließend an, Tabletten zu bestellen, die Versandriese Amazon bereits zwei Stunden später liefern kann, in London kommt das Medikament inzwischen sogar mit der Lieferdrohne. Sollte die Diagnose ernster sein, würde das Gerät eine Videovisite mit einem Arzt vereinbaren. Vielleicht müssen Sie danach doch noch direkt in einer Arztpraxis vorbeischauen, auch diesen Termin kann Ihnen Ihr Smartspeaker gerne vermitteln. Sie steigen nicht ins Taxi, sondern in ein „Uber Health“-Auto, das Sie direkt in die Praxis fährt.

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„Eine schöne Vernetzung, gut aufeinander abgestimmt, alles aus einer Hand“, konstatierte Professor Wolfgang Greiner von der Universität Bielefeld. Der Gesundheitsökonom, der auch Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen ist, präsentierte diese Abfolge auf einer Veranstaltung der Techniker-Krankenkasse in Niedersachsen. Greiner sprach von einer  wunderbaren Wertschöpfungskette, die den Gesundheitsökonomen fröhlich mache.

„Wir haben ein hohes Sicherheitsbedürfnis und tun uns schwer, maßgebliche Veränderungen mutig voranzutreiben.

Alles Zukunftsmusik? Keinesfalls. Alle von Greiner beschriebenen einzelnen Vorgänge gibt es bereits – nur noch nicht in diesem Zusammenhang. „Meine Sorge ist, dass wir uns das zu passiv anschauen, statt es aktiv mitzugestalten“, erklärte Greiner. Dabei würden die Pläne von Google oder Amazon im Gesundheitssektor bereits jetzt angesichts ihrer Investitionen deutlich. „Es gibt eine ganze Reihe neuer Player, und wenn wir nicht aufpassen, kommen sie an den kontrollierbaren Spielern vorbei ins System“, mahnte der Hochschulprofessor.

Die Veranstaltung der Techniker Krankenkasse – Foto: picture alliance/imagemoove

Greiner sprach von einer neuen Plattform-Ökonomie, die das Ganze mehr oder weniger übernehme, wenn die Akteure im Gesundheitswesen nicht selbst aktiv würden. Für die Patienten böten die neuen Systeme auch Vorteile, zum Beispiel, wenn sie digital auf einen gestiegenen Blutdruck hingewiesen würden. „Wir haben mehr Wettbewerb und Qualität. Wir haben aber auch eventuell eine interessengeleitete externe Steuerung, die nicht ganz transparent ist.“

Die wissenschaftliche Begleitung der neuen Apps ist schwierig

Bei allem, was man einführe gehe es immer um Zusatznutzen für Patienten und nicht um eine Technikverliebtheit, einen Hype. Dieser Zusatznutzen sei bei vielen Anwendungen noch nicht ganz klar. Dabei geht es immer zunächst einmal um risikolose Produkte gehen. Ganz anders wird die Diskussion dann noch einmal verlaufen, wenn es um Therapie und Diagnostik geht. „Wie wir damit umgehen, wissen wir noch nicht“, sagte Greiner und nannte als Beispiel eine App, die dabei unterstützen soll, Depressionen zu erkennen und zu behandeln. „Da geht es auch einmal um Leben und Tod, wenn das Programm nicht richtig funktioniert.

Die Wissenschaft ist sich noch nicht einig, wie man das in den Griff bekommen kann.“ Gerade die wissenschaftliche Begleitung solcher Programme sei schwierig, weil es durch Updates ständig Änderungen daran gebe. Aber was genau soll man dann eigentlich überprüfen und wissenschaftlich fundiert bewerten, fragt sich Greiner. „Wir haben noch nicht alle Antworten dafür, wie wir wissenschaftlich hinterherkommen.“

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Es ist eine neue Welt, auf die das deutsche System noch nicht eingerichtet ist. Eine Welt, in der junge Ärztinnen möglicherweise nicht mehr im Krankenhaus oder in der eigenen Praxis arbeiten wollen, sondern als Tele-Ärztin am Laptop – und das funktioniert von jedem Strand der Welt aus. Budgets werden neu verteilt werden müssen. Neben den Begriffen ambulant und stationär dürfte der Begriff digital hinzukommen.

Die Frage sei noch, aus welchem Topf was bezahlt werden wird. Eine weitere Frage dürfte aber sein: Mit welchen Telemedizinern macht Amazon Verträge, die der Smartspeaker dem Patienten zuhause anbieten wird. Und wie wird das eigentlich im deutschen Gesundheitswesen abgerechnet?

Viele Fragen sind immer noch offen. „Wir haben ein hohes Sicherheitsbedürfnis und tun uns schwer, maßgebliche Veränderungen mutig voranzutreiben“, meinte Inken Holldorf, Leiterin der Landesvertretung der Techniker-Krankenkasse in Niedersachsen. Dieses Verhalten habe aber auch viel mit den Erfahrungen zu tun. Das Gesundheitssystem sei über viele Jahrzehnte eine Erfolgsgeschichte. Für die Zukunft der Gesundheitsversorgung plädierte sie aber für Optimismus: „Seien wir mutiger, und trauen wir den Menschen zu, dass sie bestimmte Entscheidungen bewusst treffen können.“