Das Wort „Wahlversprechen“ kann in der politischen Praxis durchaus eine unterschiedliche Bedeutung haben. Gemeinhin sind damit Ankündigungen von Parteien gemeint, nach einer kurz bevorstehenden Wahl bestimmte Schritte zu unternehmen oder zu unterlassen. Die Erhöhung der Mehrwertsteuer war wiederholt ein solches Thema. Später kann man die Wahlsieger dann daran messen, ob sie ihr Versprechen gehalten oder gebrochen haben. So war es dann 2005 nach der Bundestagswahl, als eine der späteren Regierungsparteien das Gegenteil von dem tat, was sie vorher in Aussicht gestellt hatte.

In der diesjährigen parlamentarischen Sommerpause des Landtags haben Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) und sein Herausforderer, Wirtschaftsminister Bernd Althusmann (CDU), ein Wahlversprechen anderer Art abgegeben: Sie kündigten ein staatliches Hilfsprogramm im Umfang von 100 Millionen Euro an, in dem ein „Härtefallfonds“ in Höhe von 50 Millionen Euro enthalten ist. Das Besondere ist nur: Die Rechnung reichen Weil und Althusmann weiter an die neue Regierung, die vom neuen Landtag gewählt werden muss – denn sie muss den Nachtragshaushaltsplan aufstellen, der vom nächsten Parlament beschlossen werden muss.

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Danach gefragt, ob das schwierig werden könnte, reagieren Staatskanzlei und Wirtschaftsministerium achselzuckend: Es sei doch klar, dass den Menschen in der Gaspreis- und Energiepreiskrise im Herbst geholfen werden muss. Aber da die Zeit für einen Nachtragshaushaltsplan noch in dieser Wahlperiode zu knapp sei – schließlich gibt es nur noch Ende September eine Landtagswoche – müsse man die Finanzierungsgrundlage eben auf den nächsten Landtag verschieben.

Regierungssprecherin Anke Pörksen wiederholte in diesem Zusammenhang eine Mitteilung von Ministerpräsident Weil, die er in einer Pressekonferenz Anfang August abgegeben hatte: Er stehe „persönlich dafür ein“, dass der nächste Landtag die 50 Millionen Euro für den Härtefallfonds in einen Nachtragsetat schreiben werde. Beobachter schildern, Althusmann habe bei dieser Gelegenheit in der Pressekonferenz auffällig genickt. Mit anderen Worten: Sollte Althusmann neuer Ministerpräsident werden, garantiert auch er, dass diese Entscheidung so fällt.

Wie ist das zu verstehen? Regierungssprecherin Pörksen bemühte sich am Mittwoch hinzuzufügen, dass ja auch Grüne und FDP ihr grundsätzliches Einverständnis mit diesem Kurs erklärt hätten. Mit anderen Worten: Es gibt ja gar keinen Dissens und deshalb auch „kein Problem“. Alle seien sich ja in der Sache einig.

Tatsächlich gibt es drei gravierende Probleme – ein demokratietheoretisches, ein zeitliches und ein praktisches.

Das Demokratieproblem:

Jeder Partei steht es frei, bestimmte Entscheidungen für die kommende Wahlperiode anzukündigen. Dabei handeln die Politiker aber als Wahlkämpfer, nicht als Amtsträger. In der Runde mit Energieversorgern und Kommunen, die Anfang August tagte, waren Weil und Althusmann aber als Ministerpräsident und Minister dabei, also als Amtspersonen. Sie verkündeten anschließend auch eine regierungsamtliche Festlegung auf eine Landesbeteiligung, das war kein bloßes Wahlversprechen. Vielleicht hätten Weil und Althusmann diesen Weg so noch gehen können, wenn wenigstens eine finanzielle Basis in Form einer „Verpflichtungsermächtigung“ im Landeshaushalt vorhanden gewesen wäre, also eine bindende Festlegung für die Zukunft. Doch diese fehlt. Pörksen erklärte, Weils Ansage, er stehe „persönlich dafür ein“, könne als Hinweis auf die guten Kontakte des Ministerpräsidenten zur SPD-Landtagsfraktion gewertet werden. Das mag sein, überzeugt hier aber nicht. Tatsächlich klingt die Erklärung sogar etwas anmaßend. Denn der aktuelle Landtag kann nicht die Bezugsgröße des Wahlversprechens sein, da er in dieser Sache gar nicht mehr gefragt werden soll. Und wie die Kräfteverhältnisse im neuen Landtag sind, ob dort noch die SPD die stärkste Kraft sein wird, entscheiden allein die Wähler als Souverän am 9. Oktober. Dort verbieten sich Vorfestlegungen der Amtsinhaber.

Das Zeitproblem:

Selbst wenn eine Mehrheit im neuen Landtag den Härtefallfonds-Plan gutheißen sollte, kann es dauern, bis ein dafür nötiger Nachtragsetat vom nächsten Parlament beschlossen wird. Die November-Sitzung des Landtags ist für die Konstituierung, womöglich auch schon die Wahl des Ministerpräsidenten reserviert. Ob dann Mitte Dezember, in der letzten Sitzung dieses Jahres, ein Nachtragsetat schon verabschiedet werden kann, ist doch fraglich. Denn zunächst müsste der neue Finanzminister (der frühestens im November ins Amt kommt) einen Entwurf erarbeiten, danach müssten sämtliche Ausschüsse des neuen Landtags beteiligt werden, ebenso die neuen Fraktionen. So etwas dauert in normalen Zeiten rund zwei Monate. Gut möglich wäre es, dass erst im Januar oder Februar, trotz der Eilbedürftigkeit, das endgültige Okay des Landtags für den Plan erteilt werden kann. Je schwieriger die Regierungsbildung wird, desto länger dürfte sich die Gesetzgebung hinziehen.

Das Praxisproblem:

Das Land will in den Kommunen die regionalen Härtefallfonds der dortigen Energieversorger finanziell unterstützen. Laut Pörksen sollen Energieversorger, Kommunen und Land je ein Drittel der Kosten tragen. Nach welchen Kriterien jemand hilfsbedürftig ist, soll zwischen Landesregierung, Kommunen und Energieunternehmen noch abgeklärt werden. Entscheidend ist nun die Frage, wann Geld aus dem Härtefallfonds ausgezahlt werden kann. Ein Sprecher des hannoverschen Unternehmens Enercity sagte dem Politikjournal Rundblick, die Jahresrechnungen an die Kunden würden „das ganze Jahr über versendet“, nicht erst zum Jahresende. So könnten also die Briefe mit den kräftigen Gaspreiserhöhungen schon im September, Oktober und November in den Briefkästen der Bürger landen. Entsprechend könnten dann die ersten Kunden schon um Geld aus dem Härtefallfonds nachfragen. Sollten es viele sein, könnten die Energieversorger womöglich das Geld nicht mehr ausreichend vorstrecken und wären darauf angewiesen, dass der Landesanteil rasch gezahlt wird. Hier spitzt sich die Lage zu: Das Land kann erst Geld für diese Zwecke zusagen und am Ende auch zusteuern, nachdem der Landtag den Nachtragsetat mit entsprechenden Beträgen beschlossen hat. Es kann also passieren, dass viele Anträge über Härtefälle im Herbst wegen der noch ausstehenden Landtagsentscheidung noch nicht beschieden werden können.

So gut es die amtierende Landesregierung mit ihrer Zusage für die Härtefall-Regelung auch gemeint hat – weil sie erst damit im August um die Ecke kam, also sehr spät, erscheint die Aufstellung und Verabschiedung eines Nachtragshaushaltsplans noch bis Ende September in der letzten regulären Landtagssitzung dieser Legislaturperiode als ausgesprochen schwierig durchsetzbar. Die Vertagung auf das nächste Parlament indes dürfte umständlicher werden als gedacht. Grüne und FDP erneuern derweil ihren Ruf, der Nachtragshaushalt müsse doch schon vom alten Landtag beschlossen werden. Bisher verhallt das in der Landesregierung ungehört.