Eine Ministerin kommt etwas später zum vereinbarten Termin, alle anderen stehen schon im repräsentativen „Leibniz-Saal“ des Landtags und warten auf den Start der Zeremonie. Als Birgit Honé dann zur Tür hereinkommt, stimmen die anderen fröhlich „Happy Birthday, liebe Birgit!“ an. Das ist ein ganz besonderes Ständchen für die scheidende Ministerin für Bundes- und Regionalangelegenheiten, die zu Tränen gerührt ist. Alle singen sie gemeinsam: Bernd Althusmann und Reinhold Hilbers von der CDU, Christian Meyer und Miriam Staudte von den Grünen und Olaf Lies und Boris Pistorius von der SPD.

Hanna Naber wurde einstimmig zur neuen Landtagspräsidentin gewählt. I Fotos: Link

Von wegen Polarisierung, von wegen Blockbildung: In diesem Moment, bei der Übergabe der Entlassungs- und Ernennungsurkunden an die bisherigen und die neuen Minister, strahlen die politischen Akteure fast vollendete Harmonie aus. Sie drücken es in einer liebevollen Geste an Birgit Honé aus. So überwiegt an diesem Tag das Positive: Die scheidenden CDU-Minister hadern nicht mit ihrem Schicksal, die bleibenden SPD-Minister sind guter Dinge und die neuen Minister von SPD und Grünen wirken ganz aufgeregt und ergriffen von der Feierlichkeit des Tages.

Ökumenischer Gottesdienst in der Marktkirche

Alle fünf Jahre hat der Landtag eine konstituierende Sitzung, dann treffen die neugewählten Volksvertreter auf die alten Hasen, es werden nachdenkliche Reden gehalten und es gibt erste Positionsbestimmungen zwischen den politischen Lagern. Diesmal findet sich die CDU nach fünf Jahren an der Macht in der Opposition wieder, die Grünen sind jetzt Regierungspartei, die FDP ist nicht mehr da und die AfD hat sich am rechten Rand verdoppelt. In einer sehr eindringlichen, mit tiefer Stimme vorgetragenen Botschaft an die Politiker hatte im ökumenischen Gottesdienst zu Beginn des Tages in der Marktkirche der Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode gemahnt: Das zunehmende Freund-Feind-Denken in der Gesellschaft müsse „durch eine positive und wertschätzende Politik überwunden werden“.

„Ich werde immer auf der Seite des Parlamentes stehen, selbst wenn das zur Missstimmung in der Regierung führen wird.“

Die neue Landtagspräsidentin Hanna Naber greift das Thema später auf, als sie von der „Mäßigung als Tugend der Demokratie“ spricht und davon, dass „Zorn von der Demokratie wegführt, während Mäßigung sie bestehen lässt“. Die Abgeordneten müssten die Ohnmacht, die viele Menschen spürten, „aufnehmen und in Macht verwandeln“, indem sie neue Lösungen entwickeln oder das Tempo für Lösungen erhöhen. In diesem Sinne werde sie „immer auf der Seite des Parlamentes stehen, selbst wenn das zur Missstimmung in der Regierung führen wird“. Naber, die in ihre Rede mehrere Sätze zur Würdigung ihrer Vorgängerin Gabriele Andretta einbaut, woraufhin die Abgeordneten sich erheben und stehend applaudieren, wird am Vormittag bei offener Abstimmung einstimmig zur neuen Präsidentin gewählt.

Alterspräsident Jozef Rakicky von der AfD leitete die Sitzung bis zur Wahl der Landtagspräsidentin.

Dabei wäre es verkehrt, wenn man diesen Tag als konfliktfrei oder gar langweilig beschreiben würde. Es liegt im Gegenteil viel Spannung in der Luft, wenn sich diese auch überwiegend positiv auflöst. Viele hatten erwartet, der Alterspräsident Jozef Rakicky von der AfD, ein in der Slowakei geborener Radiologe aus Helmstedt, würde mit provokanten Bemerkungen einen Eklat herbeiführen. Doch der 66-Jährige, der schon eine halbe Stunde vor Beginn der Sitzung oben auf dem Präsidentenstuhl Platz genommen hat, hält dann eine sehr würdevolle und nachdenkliche Rede.


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Er sei 1956 in der damaligen tschechoslowakischen Republik geboren worden, habe dort erlebt, dass die Menschen unter dem kommunistischen Regime ihre Meinung nicht frei sagen konnten, dass Andersdenkende diffamiert und ausgegrenzt worden seien. Gesellschaftlicher Friede entstehe dadurch, dass keine Meinung absolut gesetzt, sondern ein Dialog über verschiedene Ansichten offen geführt werde.

Alterspräsident Rakicky hält Ansprache

Eine Richtung aussperren zu wollen, tue der Demokratie nicht gut. Rakicky erinnert an die Rede des Alterspräsidenten Klaus-Peter Bruns in der Landtagssitzung 1986, der damals auf die Gefahr einer Verführung des Volkes aufmerksam gemacht habe. Es sei immer schon so gewesen, habe Bruns damals gesagt, dass die Völker keine Kriege führen wollten – die Herrschenden es aber stets vermocht hätten, die Völker ins Verderben zu führen. „Dürfen wir uns darauf verlassen, dass diese Wirkung von früher jetzt nicht mehr eintritt?“, fragt der Alterspräsident Rakicky. Obwohl Abgeordnete der anderen Fraktionen später meinen, dass Rakicky eine sehr kluge und angemessene Ansprache gehalten habe, verweigern SPD, CDU und Grüne den Beifall am Ende, lediglich seine eigene AfD applaudiert kräftig.

Erste Belastungsprobe für neues Parlament

Gleich nach Rakickys Rede und Nabers Wahl folgt eine erste Belastungsprobe für das neue Parlament. Da jede Wahlperiode ihre eigene Geschäftsordnung braucht, ist es bisher Übung gewesen, zunächst einmal die Geschäftsordnung der vorherigen Legislaturperiode zu übernehmen – als vorläufige Basis. Das hätte auch diesmal geschehen können, wenn sich alle Fraktionen über den Inhalt einig gewesen wären. Doch SPD, CDU und Grüne peilen an, die Zahl der Landtagsvizepräsidenten von bisher vier auf künftig fünf auszuweiten – allerdings erst in der nächsten Landtagswoche Ende November.

AfD-Landtagsabgeordneter Klaus Wichmann beantragt Änderung der vorläufigen Geschäftsordnung.

Die AfD soll in diesem Personaltableau nicht mit einem Vizepräsidenten berücksichtigt werden, und die AfD ist es denn auch, die schon in der konstituierenden Sitzung ihren deutlichen Widerspruch zu diesem Plan ankündigt. So prescht ihr Abgeordneter Klaus Wichmann vor und beantragt, bereits in der vorläufigen Geschäftsordnung die Vizepräsidentenzahl auf vier festzuschreiben und damit die Pläne der anderen abzulehnen. Als er sich in einer von ihm beantragten Geschäftsordnungsdebatte rhetorisch ins Zeug legt und argumentiert, wird er von der frisch gewählten Landtagspräsidentin unterbrochen und darauf hingewiesen, dass er „nicht zur Sache reden“ dürfe. Darauf Wichmann: „Wenn ich nicht zur Sache rede, kann ich meinen Antrag gar nicht begründen.“

Die neue CDU-Landtagsabgeordnete Carina Hermann beeindruckte in der Sitzung.

Einige Sekunden lang wirkt Naber ratlos, dann eilt Carina Hermann zur Hilfe, die neue Parlamentarische Geschäftsführerin der CDU. Wichmann dürfe jetzt seinen Antrag noch gar nicht begründen, sondern erst beim folgenden Tagesordnungspunkt, klärt sie auf – denn auch in einer Geschäftsordnungsdebatte könne man Anträge zur Änderung der Geschäftsordnung nicht inhaltlich diskutieren. Das trägt Hermann als Landtagsneuling überzeugend vor und beeindruckt damit jene, die ihr das nicht zugetraut hatten. Kurz danach ist der Disput beendet, denn die Mehrheit votiert für eine Geschäftsordnung, die das strittige Thema Landtagsvizepräsidenten zunächst einmal ausklammert.

82 Abgeordnete stimmen mit Ja für Stephan Weil als Ministerpräsidenten.

Nach einer längeren Unterbrechung wird am Nachmittag die Landtagssitzung fortgesetzt – mit der Vereidigung der Minister. Ein Teil des neuen Kabinetts, darunter Ministerpräsident Stephan Weil, spricht die Eidesformel mit dem Zusatz „so wahr mir Gott helfe“. Das trifft auch für die Minister Olaf Lies (Wirtschaft), Kathrin Wahlmann (Justiz), Falko Mohrs (Wissenschaft), Miriam Staudte (Landwirtschaft) und Wiebke Osigus (Regionales) zu.

Die Minister Julia Hamburg (Kultus), Gerald Heere (Finanzen), Boris Pistorius (Inneres) und Daniela Behrens (Soziales) verzichten auf diesen religiösen Zusatz. Bei der Wahl zum Ministerpräsidenten hatte Weil kurz vor Beginn der Mittagspause 82 Ja-Stimmen erhalten – eine mehr, als SPD und Grüne Mandate im Landtag haben. Einer von den Abgeordneten der CDU oder der AfD muss damit für Weil gestimmt haben.