Die Entscheidung fiel Ende Februar im Landtag, und die Mehrheit dafür war groß: Die Abgeordneten von SPD und CDU, Grünen und FDP änderten das Gesetz über die „Stiftung niedersächsischer Gedenkstätten“: In den Stiftungsrat, der die Arbeit der Geschäftsführung begleitet, darf künftig nicht – wie bisher – jede Landtagsfraktion einen Vertreter entsenden. Es sollen nun aus der Mitte des Landtags vier Vertreter gewählt werden. In der Aussprache vor dem Landtagsbeschluss hatten die Sprecher von SPD und CDU ziemlich offen verkündet, warum sie diese Reform beschließen: Sie wollten verhindern, dass ein Vertreter der AfD in dieses Gremium einzieht. Denn, so betonte der CDU-Politiker Jens Nacke damals, für diesen Fall hätten Vertreter der Holocaust-Überlebenden ihre Mitarbeit in der Stiftung aufgekündigt, und diese Gefahr wolle man nicht riskieren. In der offiziellen Gesetzesbegründung indes fehlte diese Zuspitzung eines gezielten Beschlusses gegen eine politische Gruppierung, dort war die Verkleinerung von fünf auf vier Mitglieder lediglich mit „der Arbeitsfähigkeit des Gremiums“ begründet worden.

Peer Lilienthal, Dana Guth, Prof. Karl Albrecht Schachtschneider w und Klaus Wichmann (v.l.n.r.) – Foto: kw

Die AfD jedenfalls schäumt, sie will juristisch gegen die Landtagsentscheidung vorgehen und spricht von einem Beispiel weltweit geächteter Diskriminierung. „Dieses Gesetz ist eine ,Lex AfD‘, sie stellt für uns einen Rechtsbruch dar“, sagt der Parlamentarische Geschäftsführer der Fraktion, Klaus Wichmann. Der Nürnberger Staatsrechtler Prof. Karl Albrecht Schachtschneider wurde für ein Gutachten engagiert, und er erläuterte gestern seine Thesen: Das Gesetz verstoße gegen das demokratische Repräsentationsprinzip, wie es in Artikel 20 des Grundgesetzes zum Ausdruck komme – und auch in Artikel 19 der Landesverfassung. Dort ist formuliert, dass die Landtagsfraktionen „das Recht auf Chancengleichheit im Parlament und in der Öffentlichkeit“ haben. Daraus folgert Schachtschneider, dass auch in sehr kleinen Gremien jede Fraktion „zumindest einen Sitz“ haben müsse, nämlich aus Gründen der Chancengleichheit.

Das gelte vor allem dann, wenn der Landtag in die staatliche Verwaltung einbezogen werde. Und für den Stiftungsrat für die Gedenkstätten treffe das auch zu. Der Rechtsprofessor spricht vom „Prinzip der Spiegelbildlichkeit“ und meint, die Mehrheitsverhältnisse im Parlament müssten auch in allen Gremien erkennbar sein. Wenn diese zu klein sind, müsse eben jede Fraktion mindestens einen Gesandten benennen dürfen. Ob sich das – wie Schachtschneider meint – aus der Verfassung tatsächlich ableiten lässt, kann indes bezweifelt werden, denn in der Landtags-Geschäftsordnung sind teilweise Zählverfahren erwähnt, die bei sehr kleinen Gremien und konsequenter Anwendung nicht für jede Fraktion einen Sitz vorsehen würden. Es ist nur deshalb gegenwärtig in den Landtagsausschüssen nicht so, weil die Ausschüsse groß genug sind für eine Vertretung aller Landtagsfraktionen.

Wie geht die AfD nun vor? Der klassische Weg, das Gesetz beim Staatsgerichtshof überprüfen zu lassen, wäre ein Normenkontrollverfahren. Dafür müsste aber ein Fünftel des Landtags zustimmen – das ist wenig wahrscheinlich, auch wenn Wichmann meint: „SPD und CDU haben doch angeboten, die Oppositionsrechte zu stärken, also müssen wir sie beim Wort nehmen.“ Genau genommen hatte die Große Koalition eine Unterstützung für die Opposition in Wirklichkeit eher auf Grüne und FDP begrenzt gesehen und nicht die AfD gemeint. Tatsächlich empfiehlt Schachtschneider aber noch einen zweiten Weg, in Bückeburg zu klagen – und dies könnten sogar einzelne AfD-Abgeordnete allein tun, ohne Unterstützung anderer Parteien: Sie müssten darlegen, dass ihre Fraktion in ihren Rechten beschnitten wurde. Als Voraussetzung dafür wäre es aber nötig, dass der Staatsgerichtshof die Argumentation von Schachtschneider übernimmt und jeder Landtagsfraktion das Recht zuspricht, in dem Stiftungsrat (der eine Beteiligung des Parlaments an der Landesverwaltung darstellt) vertreten zu sein. Diese These dürfte jedoch einen Juristenstreit entfachen.

Immerhin scheint es gegenwärtig nicht ausgeschlossen zu sein, dass am Ende tatsächlich eine Klage der AfD wegen angeblich verletzter Rechte der Fraktion in Bückeburg landet. Und wenn die AfD damit Erfolg hätte, würde ihr Gesandter im Stiftungsrat nicht die Vertreter der Holocaust-Überlebenden vergrätzen und riesigen Schaden anrichten? Wichmann betont, dass es in der AfD-Landtagsfraktion keine Leugner und Verharmloser des NS-Unrechts gäbe. Die AfD-Fraktionsvorsitzende Dana Guth macht dazu noch eine Ergänzung: Als man anfangs versucht habe, mit der Geschäftsführung der Stiftung eine einvernehmliche Lösung zu erreichen, habe die AfD auch signalisiert, dass sie auf ihren Sitz im Stiftungsrat womöglich verzichten wolle – als Friedenssignal an die Holocaust-Überlebenden. „Wir wollten, dass daraus kein Politikum wird“, sagt Guth. Dann aber hätten die anderen Parteien gehandelt, die Gesetzesänderung angeschoben – „und die Gelegenheit genutzt, uns auszugrenzen“. Nun, fügt Guth hinzu, wolle die AfD zeigen, dass sie nicht alles widerspruchslos hinnehme. (kw)