Die typisch deutsche Vorstellung vom Häuslebauer ist recht traditionell: Man kauft ein Grundstück, lässt sein Heim darauf setzen – und richtet diese Investition gleich auf die kommenden Generationen aus. Wenn die Eigentümer später im Altersheim sind, so die gängige Planung, sollen die Kinder das Gebäude übernehmen. Und danach deren Kinder, und so weiter. Aber ist das noch aktuell? Die Klosterkammer Hannover, die seit vielen Jahren Grundstücke in Erbbaurecht vergibt, also verpachtet statt verkauft, stellt einen Mentalitätswandel fest. Klosterkammerpräsident Hans-Christian Biallas, der im Ehrenamt Präsident des deutschen Erbbaurechtsverbandes ist, spricht von einem wahren „Boom“ in dieser Organisation: „Als ich vor fünf Jahren dieses Ehrenamt übernommen habe, waren wir bundesweit acht Institutionen, die sich zum Erbbaurecht bekannt haben. Mittlerweile sind es mehr als 60.“

In diesem Jahr feiert die Klosterkammer, die säkularisierten Kirchenbesitz im alten Königreich Hannover verwaltet und die Erlöse für kirchliche, soziale, und bildungsbezogene Zwecke einsetzen muss, ihr 200-jähriges Bestehen. Sie betreut den „Allgemeinen Hannoverschen Klosterfonds“ und darf dies frei von jeder Einflussnahme des Landtages tun – als Behörde, die der Rechtsaufsicht des Wissenschaftsministeriums untersteht. 18 Klostergüter, 25.000 Hektar Wald und rund 12.000 Kunstgegenstände zählen zum Eigentum dieses Fonds, mehr als 800 Gebäude, darunter zahlreiche Baudenkmale, müssen gehegt und gepflegt werden. Damit dies geschieht, unterhält die Kammer eine Vermögensverwaltung. Eine wichtige Einnahmequelle sind die Erbbaurechte mit 17.000 Vertragspartnern in Niedersachsen. In manchen Städten, Goslar und Wennigsen (Region Hannover) beispielsweise, gehört der Grund und Boden eines Großteils der dort stehenden Häuser der Klosterkammer. Diese Form des Erbbaurechts  sichert der Kammer regelmäßige, monatlich oder jährlich entrichtete Einnahmen – und das ist wichtig, damit die regelmäßigen Ausgaben zum Erhalt des Vermögens des Klosterfonds gedeckt werden können.

Nun war das Verhältnis der Klosterkammer zu den Erbbaurechtsnehmern nicht immer so entspannt wie heute. Noch vor zehn Jahren hatte es immer wieder Ärger gegeben, der meistens dann hochkochte, wenn die auf 80 Jahre angelegten Erbbaurechtsverträge ausliefen und bei Neuabschlüssen wegen der inzwischen gestiegenen Bodenrichtwerte eine sehr viel höhere Pacht verlangt wurde. Nicht selten wurden die Hausbesitzer von dieser Nachricht überrascht – und viele waren verärgert und protestierten. Einige zogen gar vor Gericht, blieben aber erfolglos. Präsident Biallas sagt, dass die Kammer inzwischen ihr Verhalten geändert habe – man sei auf die Vertragspartner zugegangen und habe einiges geändert. Dabei ist die Ausgangssituation wegen der wirtschaftlichen Lage gar nicht so einfach für die Kammer. In der Niedrigzinsphase sind Baukredite für 1,8 Prozent Zinsen zu bekommen, während der Erbbau-Zins in der Regel bei fünf Prozent liegt, bei gewerblichen Vertragspartnern bei sechs Prozent und bei gemeinnützigen bei vier Prozent. Allerdings: Da es sich um die Vergabe eines Erbbaurechts und nicht um einen Kauf handele, sei die zugrundeliegende Summe weitaus geringer – die Kosten im Vergleich zum Kauf also auch. Wer Erbbaurechte in Gegenden mit niedrigen Bodenpreisen nutzt, kann ein recht großes Grundstück zum günstigen Preis bekommen. Ein größerer Teil des Kredits, den er aufnimmt, könnte er für das Gebäude auf dem Grundstück verwenden.


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Die Klosterkammer versucht, es den Vertragspartnern noch etwas schmackhafter zu machen. Die Verträge laufen meistens für 80 Jahre, und wenn ein Hausbesitzer noch 20 Jahre Laufzeit hat, aber einen Kredit für die Sanierung seines Gebäudes braucht, kann er bei seiner Bank schnell an Grenzen stoßen. Damit das nicht geschieht, kann der Erbbaurechts-Vertrag vorzeitig um 80 Jahre verlängert werden – und die Klosterkammer gewährt dafür auch noch einen Rabatt. Biallas erklärt, dass das neue, im Vergleich zu früher wesentlich kooperativere Auftreten der Kammer Früchte zeige – von Ärger über die Erbbaurecht-Verträge höre man wenig. Immer mehr Institutionen würden ihre Flächen in Erbbaurecht vergeben – Hansestädte wie Lüneburg und Lübeck etwa, auch die Stadt Frankfurt mit ihrem Flughafengelände. In Hafenstädten sei es klug und richtig, auf diese Weise vorzugehen, denn wenn irgendwann zur Hafenentwicklung größere Investitionen nötig sind, kann eine verpachtete Fläche schnell wieder in das Nutzungsrecht des Landes kommen, eine verkaufte hingegen nur über den Weg von Verkauf oder Enteignung. Die neue Bundesregierung will das Erbbaurecht fördern, weil sich so sozialer Wohnungsbau mit gedeckelten Mieten am ehesten rechnet, und sogar für gewerbliche Nutzer, lohnt sich dieser Weg – da der Erbbauzins (anders als der Kaufpreis) als Betriebsausgabe steuerlich abgesetzt werden kann. Der bekannteste gewerbliche Erbbaurechtsnehmer der Klosterkammer ist die Firma Bahlsen. Sie produziert seit mehr als 60 Jahren in Barsinghausen ihre Kekse.

Das alles würde aber nicht funktionieren, wenn sich nicht auch die Einstellung zu Grund und Boden geändert hätte. Wer sich auf Erbbaurecht einlässt, wird sich meistens von der Vorstellung entfernt haben, das Grundeigentum über Generationen in der eigenen Familie halten zu wollen – vielleicht in der Erkenntnis, dass die Kinder heute, anders als im vorigen Jahrhundert, meistens doch eigene Wege gehen und die Gegend verlassen. Und dass heute im Leben der Menschen weit mehr Flexibilität, auch bei der Wohnortwahl, verlangt wird. (kw)