Darum geht es: Gegen eine Verfassungsänderung, mit der die Oppositionsrechte gestärkt würden, wehrt sich trotz anfänglicher Bereitschaft inzwischen die Große Koalition. Stattdessen wird ein Vertrag vorbereitet – SPD und CDU sichern FDP und Grünen Unterstützung zu, wenn sie etwa einen Untersuchungsausschuss einberufen wollen. Dazu ein Kommentar von Klaus Wallbaum.

Es heißt, SPD und CDU in Niedersachsen würden vor dem großen Schritt, den eine Verfassungsänderung darstellen würde, zurückschrecken. Dass die notwendige Mindestzahl etwa zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses künftig bei nur einem Sechstel und nicht – wie bisher – bei einem Fünftel der Landtagsabgeordneten liegen könnte, sei viel zu riskant. Nicht mal in der Weimarer Republik, so sagt man, hätte es ein so niedriges Quorum gegeben. Da schwingt die Sorge vor einem Parlament mit, in dem eine kleine Minderheit die Mehrheit vor sich hertreibt. Deshalb wollen Sozial- und Christdemokraten an der Verfassung nicht rütteln und diesen Sechstel-Vorschlag, den Freidemokraten und Grüne inzwischen in einen Antrag geschrieben haben, zurückweisen.


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Das bedeutet nun aber in der Praxis: Wenn FDP und Grüne als größte Oppositionsfraktionen die parlamentarische Aufklärung eines Vorgangs gegen den Protest der Mehrheit aufhellen wollten, bräuchten sie immer auch die Unterstützung der AfD. Denn ohne die AfD-Stimmen wäre das Fünftel nicht erreicht, die nötige Mehrheit würde also fehlen. Wie gut aber kann ein Parlament funktionieren, in der so höchst unterschiedliche Fraktionen wie AfD, FDP und Grüne zur Zusammenarbeit verdammt sind, wenn sie überhaupt etwas gegen die übergroße Machtfülle von SPD und Union ausrichten wollen?

Ein Vertrag soll es richten

Inzwischen reift bei SPD und CDU eine Ausweichlösung für dieses Problem: Sie wollen mit FDP und Grünen einen Vertrag schließen. Der Inhalt lässt sich verkürzt so beschreiben: Immer dann, wenn sich Freidemokraten und Grüne festgelegt haben, einen Untersuchungsausschuss einzuberufen, helfen SPD und CDU ihnen mit fünf „Leihstimmen“ aus – so wird das notwendige Fünftel der Abgeordneten (das sind 28) erreicht. SPD und CDU und betonen dann, inhaltlich den Untersuchungsausschuss zwar abzulehnen, ihn gleichwohl wegen der Oppositionsrechte auf den Weg bringen zu wollen, aus staatspolitischer Verantwortung also. An einer ähnlichen Abmachung wird für den Fall gewerkelt, dass FDP und Grüne in einem Landtagsausschuss Akten vorgelegt haben wollen – denn dafür bräuchten sie in den meisten Gremien drei Stimmen, sie haben jedoch nur zwei.

https://soundcloud.com/user-385595761/landtag-die-minderheiten-grune-fdp-wollen-mehr-rechte

Welcher Weg ist nun besser – der einer Verfassungsänderung, den Bedenken von SPD und CDU zum Trotz, oder der eines rot-schwarz-grün-gelben Vertrages? Zunächst ist der Hinweis erlaubt, dass die Ängste von SPD und CDU gegenüber gestärkten Minderheitenrechten übertrieben sind. Was spräche dagegen, wenn das Quorum für Untersuchungsausschüsse, Akteneinsichtsnahmen und Normenkontrollklagen vor dem Staatsgerichtshof abgesenkt wird? Wir hätten dann vielleicht mehr Klagen und Untersuchungsausschüsse, aber wenn diese vordergründig, populistisch und inhaltsschwach wären, würden sie im Parlamentsbetrieb ins Leere laufen und nicht viele Kräfte binden. Ein wenig mehr von diesen typischen oppositionellen Mitteln könnte sowieso nicht schaden, denn auch in den vergangenen Wahlperioden wurden sie nur sehr sparsam eingesetzt. Deshalb ist das Horrorgemälde, das manche aus der Großen Koalition von dieser Verfassungsänderung malen, völlig übertrieben.

Wenige echte Liebe zwischen SPD und CDU

Auf der anderen Seite aber ist der Charakter des Vertrages der vier Fraktionen – unter Ausschluss der AfD – auch nicht unproblematisch. Im Grunde ist das ein politischer Beistandspakt: Die Koalition signalisiert den größten Oppositionsparteien, ihnen in der Not unter die Arme zu greifen. Genauer: die SPD zeigt sich großzügig gegenüber ihrem langjährigen Partner, den Grünen, die CDU gegenüber ihren alten Freunden von der FDP.

Damit wird schon einmal die Basis gelegt für zwei mögliche Bündnisse nach der nächsten Landtagswahl – und einmal mehr wird damit deutlich, wie wenig echte Liebe zwischen den gegenwärtigen Regierungspartnern besteht. Die spannendere Frage ist aber, ob eine Opposition noch eine überzeugende Opposition sein kann, wenn sie sich an den Gegner, die Regierungskoalition, mit einem derartigen Beistands- oder Hilfs-Koalitionspakt bindet. Bei einer Verfassungsänderung wäre das eindeutig – es werden Rechte festgelegt und zugeordnet, jeder kann sie nutzen und sich darauf berufen. Ein Vertrag aber, der auf dem guten Willen der Beteiligten beruht, ist nur so viel Wert wie das Vertrauen zwischen den Vertragspartnern. Aber darf das überhaupt sein, ein enges Vertrauensverhältnis zwischen der Regierung und den beiden größten Oppositionsparteien? Braucht die Kontrollaufgabe nicht mehr Distanz?

Die saubere Lösung wäre die Verfassungsänderung, ganz so, wie sie von Grünen und FDP im Landtag vorgeschlagen wurde. Alles andere ist problematisch.

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