Über das allgemeine Ziel herrscht große Einigkeit: Es muss etwas dagegen getan werden, dass sich der Wolf weiter ungehindert ausbreitet und eine Weidehaltung in Niedersachsen unmöglich macht. Auch hat man von den groben Wegen, die zu diesem Ziel führen könnten, bereits eine gewisse Vorstellung in den Mehrheitsfraktionen des niedersächsischen Landtags. Doch in das Dickicht der Bundes- und Landesgesetze sowie der EU-Richtlinien muss erst noch ein gangbarer Pfad geschlagen werden. Dass die Regierungsfraktionen von SPD und CDU nun bereit sind, sich aufzuraffen, zeigten sie gestern mit der Einbringung ihres gemeinsamen Antrags, der unter anderem dazu führen soll, dass der Wolf ins Jagdrecht aufgenommen wird.

Wie umgehen mit dem Wolf? Niedersachsen will sich ein Beispiel an Frankreich nehmen. – Foto: GarysFRP

Dass der beste Pfad allerdings noch nicht präzise festgelegt wurde, sieht man daran, dass in den kommenden Wochen im Umweltausschuss des Landtags nicht etwa über ein Gesetz diskutiert wird, das den Wolf ins Jagdrecht aufnimmt – sondern über einen Entschließungsantrag, der die Landesregierung dazu auffordert, ein entsprechendes Gesetz zu erarbeiten. Der Unterschied klingt banal. Doch ist es bildlich gesprochen der Unterschied zwischen dem Schnüren der Wanderschuhe und dem tatsächlichen Loslaufen. Am Ende braucht es vor allem noch deutlich mehr Zeit, bis das gewünscht Ziel, den Wolf besser einzuhegen, endlich erreicht werden kann. Der Landtag mag diese Zeit vielleicht noch haben – zahlreiche Landwirte in den wolfgeplagten Regionen Niedersachsens glauben sie aber nicht mehr zu haben.


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Symbolpolitik mit dem Wolf


Dass der Antrag noch nicht die gewünschte Lösung parat hält, wussten wohl auch die Fraktionen, die ihn einbrachten. Neben einer detaillierten Problembeschreibung verhielten sie sich deshalb auch gleichzeitig defensiv. „Man wird uns Symbolpolitik vorwerfen, aber wer sich nicht auf den Weg begibt, wird nicht ankommen“, sagte Frank Schmädeke von der CDU-Fraktion verteidigend in seiner Rede im Landtag. Der Antrag sei aber ein Signal an die Landwirte, und noch viel mehr „auch ein unmissverständliches Signal an Berlin, den Weg zu ebnen für ein Wolfsmanagement.“ Von einem „Signal, aber einem klugen Signal“ sprach auch Marcus Bosse von der SPD-Fraktion. Der Antrag könne die Grundlage sein für weitere Schritte.

Man wird uns Symbolpolitik vorwerfen, aber wer sich nicht auf den Weg begibt, wird nicht ankommen.

Zur gemeinsamen Problembeschreibung führten die beiden aus, dass die Zahl der Wolfsrudel in Niedersachsen in den vergangenen drei Jahren enorm angestiegen sei. Von zehn Rudeln 2017, als sich dieser Landtag konstituierte, auf insgesamt 35 Rudel heute. „Der Wolf fühlt sich sehr wohl und breitet sich aus“, sagte Bosse beinahe auch stolz. Doch 1000 getötete Nutztiere pro Jahr führten eben auch dazu, dass die Akzeptanz in der Bevölkerung für den Wolf immer weiter sinke. Das Problem werde innerhalb Niedersachsens aber sehr unterschiedlich wahrgenommen. Rein rechnerisch habe fast jeder Landkreis in Niedersachsen ein eigenes Wolfsrudel und umgerechnet 30 Nutztierrisse pro Jahr, wie der Abgeordnete Schmädeke deutlich machte. Doch diese Zahl täusche. Denn die Akzeptanz für den Wolf sinke nicht überall gleich, sondern vor allem in den ländlichen Regionen, die besonders unter dem Wolf zu leiden haben. Er selbst habe in seinem Wahlkreis einen Ort, in dem in den vergangenen Jahren immer mehr Nutztierhalter aufgegeben hätten – Weidetierhaltung sei dort schlichtweg nicht mehr möglich, berichtete Schmädeke merklich angefasst von der emotionalen Notlage mancher Familien. Die Frage, wie mit dem Wolf verfahren werden soll, ist also auch eine Frage der Solidarität mit der ländlichen Bevölkerung.

Doch wie mit dem Problem nun umgehen? Der Wolf bleibt streng geschützt, auch nach der Aufnahme ins Jagdrecht, konstatierte noch einmal Bosse. Es habe auch niemand die Absicht, den Wolf wieder auszurotten. Die Regierungsfraktionen wünschen sich aber, dass man sich am französischen Modell orientiert. Dort ist seit 2018 eine Jagd auf den Wolf unter bestimmten Bedingungen möglich. Es wurde zunächst eine Untergrenze festgelegt – weniger als 500 Wölfe darf es in Frankreich nicht geben, sonst besteht die Gefahr, dass die Population gänzlich zusammenbricht. Sind es mehr Wölfe, regelt eine Jagdquote, wie viele Tiere maximal getötet werden dürfen. Allerdings darf es keine normale Jagd geben. Vielmehr dürfen auch in Frankreich die Tiere nur dann getötet werden, wenn es in einer Region zu Problemen kommt – also, wenn ein Problemwolf Nutztiere reißt. Dann ist der Abschuss auf Basis der Quote erlaubt.

Umweltminister will den Rechtsrahmen ausnutzen

Diese Regelung decke sich auch mit dem strengen EU-Recht, das für Deutschland und Frankreich identische Schutzvorschriften für den Wolf vorsieht, erläuterte Umweltminister Olaf Lies (SPD). In manchen skandinavischen Ländern sei das aufgrund ihres späteren Beitritts zur EU anders geregelt worden – mit denen kann sich Deutschland also nicht vergleichen. Lies möchte nun, dass sich Deutschland am Beispiel Frankreichs orientiert und den Rahmen des Möglichen, den die EU-Richtlinie für Flora-Fauna-Habitat (FFH) vorgibt, auch entsprechend ausschöpft. Ohne Änderungen auf Bundesebene wird es aber schwierig. Im niedersächsischen Landtag sieht ein Großteil nun also auch Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) am Zuge.

Freudig konnte Umweltminister Lies gestern noch einmal bekräftigen, dass er die Jäger nun auf seiner Seite weiß. Lange Zeit hatte sich die Landesjägerschaft dagegen gesträubt, die Zuständigkeit für den Wolf zu übernehmen. Im Landtag erinnerte Christian Meyer (Grüne) noch einmal an die bisherige Haltung der Weidmänner, die fürchteten, künftig für Wolfsrisse zahlen zu müssen. Meyer vertrat auch die Position, dass Revierpächter künftig der Besenderung oder Entnahme eines Wolfes zustimmen müssten und dass der ganze Vorgang dadurch nur noch komplizierter würde. Ein Beispiel für dieses Problem sei Sachsen. Seitdem der Wolf dort im Jagdrecht steht, sei kein einziger Wolf mehr getötet worden. Auch stehe die Sorge im Raum, dass künftig über die Jagdabgabe das Wolfsmonitoring bezahlt würde. Den Sorgen widersprach allerdings Helmut Dammann-Tamke, CDU-Abgeordneter und zeitgleich Präsident der Landesjägerschaft. Der Gesamtvorstand der Landesjägerschaft habe kürzlich beschlossen, seine Position neu auszurichten und dem CDU-Vorschlag zu folgen. „Wir werden uns der Aufgabe, die an uns herangetragen wird, aktiv stellen.“ Zudem verwies Dammann-Tamke darauf, dass der Verband bereits seit längerem aus eigenen Mitteln die Stelle eines Biologen bezahle und das Wolfsmonitoring betreibe.

Wenn der Wolf ins Jagdrecht kommt, muss es so gestaltet sein, dass es nicht schwieriger wird, einen Wolf zu entnehmen.

Obwohl mit der Überführung des Wolfes ins Jagdrecht auch das Landesagrarministerium eine Mitverantwortung übertragen bekommt, war für Umweltminister Lies aber klar, dass er auch künftig zuständig ist. „Der Wolf bleibt im Umweltministerium, daran wird auch das Jagdrecht nichts ändern“, betonte er. Bei der Gelegenheit verteidigte Lies auch seine am Montag vom Landeskabinett gebilligten Wolfsverordnung. Dem Vorwurf der Grünen, diese werde nichts ändern, widersprach er. Durch die Verordnung werde EU-Recht präzisiert und mehr Rechtssicherheit hergestellt, dabei habe man sich auch an den Gerichtsurteilen orientiert, die zu der Thematik der Ausnahmegenehmigungen zur Entnahme von Problemwölfen gefällt wurden.

Da mit der Wolfsverordnung nun ein wesentlicher Baustein fertiggestellt wurde, werden sich die Rechtsexperten des Umweltministeriums künftig wohl der Jagdrecht-Problematik widmen können. Für Lies ist das der logische nächste Schritt: Nachdem der Bund festgestellt hat, wo die Untergrenze liegt, muss das Land schauen, wie der Vollzug organisiert werden kann. Beim Wolfs-Management käme man dann zu den Jägern und dem Jagdrecht. „Wenn der Wolf ins Jagdrecht kommt, muss es so gestaltet sein, dass es nicht schwieriger wird, einen Wolf zu entnehmen“, führte Lies aus. „Wir müssen das besser machen, auch besser als in Sachsen, wo jetzt nachgebessert wird.“ Deshalb sei es wichtig, in der nächsten Phase in einer engen Partnerschaft mit den Jägern und mit den Naturschützern die Details und die Rahmenbedingungen zu klären. Noch weiß aber offenbar auch der Umweltminister noch nicht, wie diese Details am Ende ganz genau aussehen sollen und müssen, damit das, was der Landtag gestern andiskutiert hat, schlussendlich auch Wirkung entfalten kann.

Von Niklas Kleinwächter