Ulrika Engler, Leiterin der Landeszentrale für politische Bildung, zieht nach einem Jahr Bilanz – und diese fällt überwiegend positiv aus. Sie äußert sich im Interview mit dem Politikjournal Rundblick.

Soll gezielt Impulse geben: Ulrika Engler, neue Chefin der Landeszentrale für politische Bildung

Rundblick: Frau Engler, seit einem Jahr sind Sie mit der wiedergegründeten Landeszentrale für politische Bildung aktiv. Sie stammen aus Baden-Württemberg, haben vorher lange Zeit in Nordrhein-Westfalen gearbeitet – und haben auch Auslandserfahrung. Was ist in Niedersachsen anders als in den anderen Orten, wo Sie tätig waren?

Engler: Es sind zwei Dinge. Zunächst die enorme Zustimmung für unsere Tätigkeit, und zwar aus allen politischen Lagern. Damit hatte ich so nicht gerechnet. Und dann ist mir aufgefallen, wie sehr das Land Niedersachsen doch in die Fläche geht – wie weit die Wege sind und wie klein manche Orte, zu denen man kommt.

Rundblick: Sie starten mit acht Mitarbeitern und einigen freien Kräften. Kann man damit überhaupt umfassend politische Bildungsarbeit leisten?

Engler: Nein. Wir konzentrieren uns auf bestimmte Themen und Ansätze. So suchen wir Kontakt zu Organisationen, die wir unterstützen und stärken. Zum Beispiel die Einrichtungen der Erwachsenenbildung wie etwa die Volkshochschulen und viele freie Träger. Ich muss sagen, dass die bisherigen Angebote der politischen Bildungsarbeit wirklich gut und umfangreich sind. Das ist oft besser als das, was viele erwarten. In einer „Tour durch Niedersachsen“ haben wir als Landeszentrale versucht, auch bestimmte Brennpunkte anzusteuern – durchaus auch Gegenden, in denen nicht viele Akademiker leben. Wir waren in der Hildesheimer Nordstadt unterwegs und in Gifhorn, wir haben Workshops angeboten etwa zum Thema Fake-News. Und wir waren immer bemüht, auch Jugendliche anzusprechen – und die brauchen eine besondere Form der Ansprache.

Jugendliche lesen keine langen politischen Texte

Rundblick: Wie sieht diese Ansprache aus?

Engler: Junge Leute, die es gewohnt sind, sich ständig mit ihrem Handy zu beschäftigen, neigen oft nicht dazu, längere politische Texte zu lesen – wenn sie es nicht müssen. Ich denke, es kommt darauf an, die Jugendlichen dort abzuholen. Wir haben beispielsweise eine elektronische Schnitzeljagd für Jugendgruppen, über Handys gesteuert, entwickelt. Das spricht den Spieltrieb an. Wer mitmachen will, lernt unterwegs auch politische Botschaften und Fragestellungen kennen.

Rundblick: Das sind dann Botschaften mit dem Zeigefinger? Nach dem Motto „Du solltest…“?

Engler: Nein, eben nicht. Wir wollen zum Nachdenken und Diskutieren anregen. Bei dieser Gelegenheit wollen wir auch vermitteln, was Demokratie bedeutet. Unser Ansatz ist strikt überparteilich, das ist ganz wichtig. Aber wir ergreifen schon Partei für die Demokratie – wobei das ein sehr weitgefasster Begriff ist. Unser Auftrag ist es, überzeugend für das demokratische System der Bundesrepublik einzutreten.

Wir werden die Chancen der Digitalisierung nutzen

Rundblick: Erreichen Sie die Menschen, vor allem die jungen Leute?

Engler: Ich sehe zwei große Herausforderungen. Erstens ist es der Wunsch, stärker in die Breite zu gehen, also mehr Erwachsene und Jugendliche ansprechen zu können. Wir gehen so oft es geht raus aus Hannover – aber das ist mit acht Mitarbeitern nicht optimal zu leisten. Verstärkt werden wir die Chancen der Digitalisierung nutzen, auch zu dem Zweck, die Beteiligung der Menschen an politischen Diskussionsprozessen zu verstärken. Zweitens sehe ich eine große Aufgabe in der Sprache und in den Formen, wie wir auf die Leute zugehen.

Rundblick: Schreckt die Politiker-Sprache die Menschen ab?

Engler: Die Vorgänge einfacher zu erklären, ist eine große Aufgabe. Aber das geht noch weiter. Zunächst hatte sich die Kommunikation auf Facebook verlagert, da ging es immerhin noch um Texte, wenn auch um kurze. Nun kommt Instagram hinzu – und dort funktioniert der Meinungsaustausch fast nur noch über Bilder. Das müssen wir im Blick behalten, denn die veränderten Formen, wie Menschen kommunizieren, haben Rückwirkungen auch auf die Frage, wie wir sie für politische Vorgänge interessieren können. Ein Beispiel: Wir sind dabei, eine „App gegen Parolen“ zu entwickeln. Wenn sich jemand über verkürzte oder aggressive Botschaften politischer Extremisten aufregt, kann er in der App Hinweise erhalten, wie man mit derlei Auftreten umgehen kann.

Wir spürten die kulturelle Grenze

Rundblick:  Sie sprachen anfangs über die weiten Wege in Niedersachsen. Stellen Sie ein „Stadt-Land-Gefälle“ fest, haben Menschen in ländlichen Regionen politische Vorbehalte gegenüber „denen in Hannover“, fühlen sie sich benachteiligt?

Engler: Mir ist aufgefallen, dass die Regionen in Niedersachsen alle ihre Eigenheiten haben und auch pflegen. Vorher war ich in Nordrhein-Westfalen. Das ist auch ein großes Flächenland – aber es ist dichter besiedelt. Als wir auf unserer Niedersachsen-Tour in Vechta waren und anschließend in der nicht weit davon entfernt liegenden Samtgemeinde Barnstorf, die zum Kreis Diepholz gehört, spürten wir richtig, dort auch eine kulturelle Grenze zu überschreiten. Das heißt: Das regionale Bewusstsein ist sehr ausgeprägt. Oft hören wir bei unseren Besuchen in ländlichen Gegenden auch den Satz, es sei ja „schön, dass sie zu uns kommen“ oder es wird die Bitte geäußert, dass „wir bitte nicht vergessen werden“. Im Übrigen ist es hier schwieriger als in Hannover, Göttingen, Oldenburg oder Lüneburg, Mitwirkende für politische Bildungsarbeit zu finden.

Rundblick: Und wie helfen Sie sich da?

Engler: Zum Beispiel finde ich es gar nicht verkehrt, politische Bildungsarbeit auch in Sportvereine oder Ortsfeuerwehren einzubringen. Auch hier kommt es vor allem auf die Form an, die für junge Menschen ansprechend sein muss.