Eine erkrankte Sau verreckt jämmerlich, weil Betäubung und Kehlschnitt nicht korrekt durchgeführt wurden. Eine Kuh leidet Qualen, während sie brutal auf einen Laster gezogen wird. Ein ganzer Stall voller Ferkel muss notgedrungen abgeschlachtet werden, weil sich der Landwirt nicht mehr um sie gekümmert hat. Puten mit Wunden an Kopf und Brust stehen im Dunkeln eng an eng in einem riesigen Käfig, auf dessen Boden überall Kot klebt.

Foto: DQM/Archiv

Solche Bilder sind nur schwer zu ertragen, doch sie tauchen immer wieder auf und führen dem Verbraucher dann schmerzhaft vor Augen, wie kaputt das System doch eigentlich ist, in dem wir es uns gemütlich eingerichtet haben. Wer das sieht, kann schnell zum Vegetarier werden. Doch an den Umständen, die zu solchen Bildern führen, ändert das am Ende auch noch nichts. Einzelfälle? Bedauerliche Ausnahmen? Manchmal vielleicht, in der Summe aber kann das nicht sein. Der Fehler steckt im System und der Wunsch nach einer Veränderung wächst von Jahr zu Jahr – jeder vermeintliche Einzelfall stärkt das Lager derjenigen, die nur noch mit Unverständnis auf die aktuelle Situation auf den Höfen blicken.


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Fest steht: Nachdem sich in diesem Jahr die Landwirtschaft in Niedersachsen sowohl mit den Umwelt- und Artenschützern als auch mit den Klimaschützern intensiv und meistenteils konstruktiv auseinandergesetzt hat, liegt nun in den kommenden Wochen und Monaten schon der nächste riesige Brocken vor ihnen. Es geht dabei um die drängende Menschheitsfrage, wie mit den Mitgeschöpfen umgegangen werden soll. Ganz sicher ist das Gros der Bauern daran interessiert, dass es den eigenen Tieren gut geht, dass sie gesund sind und bleiben und am Ende von ihrer Schlachtung nichts mitbekommen. Doch zwischen der Realität im Mastbetrieb und der Vorstellung der Verbraucher klaffen inzwischen enorme Gräben. Der moderne Mensch hat das Leben und Leiden von Schweinen, Rindern und Hühnern weitgehend ausgeblendet. Es wird Zeit, dass diese Sphären wieder zusammengeführt werden.

Wie soll das gelingen? In 2021 wird auf drei verschiedenen Ebenen daran gearbeitet:

Bauernbewegung belagert den Einzelhandel: Kommt man mit Demos weiter als mit Deliberation? Während die Politik noch Gesprächskreise einberuft, die in Gruppen und Untergruppen stabile Kompromisse formulieren sollen, prescht das Bauern-Protestbündnis „Land schafft Verbindung“ (LsV) einfach voran. Seit über einem Jahr vertritt die Bauernbewegung die Belange der Landwirtschaft auf unkonventionelle Weise. Zuerst gab es die Trecker-Massendemos, dann die spontanen Blockaden vor Zentrallagern des Lebensmitteleinzelhandels. Damit erregte sie Aufmerksamkeit und setzten den Handelsriesen zu. Mitte Dezember präsentierten die Blockade-Bauern und der Lebensmittel-Handelsverband schon einen Deal. Mehrere Tage musste an dem Wortlaut der Absichtsbekundung gefeilt werden, doch am Ende standen fünf Punkte auf dem Papier. Eine Ombudsstelle soll eingerichtet werden, eine Herkunftskennzeichnung soll kommen und die Qualität der heimischen Landwirtschaft soll besser beworben werden. Zudem setzt man nun auf Arbeitsgruppen, die die Preise für Milch und Fleisch verbessern sollen. Zu guter Letzt einigte man sich auf einen Sofort-Hilfsfonds, mit dem die Härten durch Corona und die „afrikanische Schweinepest“ abgemildert werden sollen. Ob die Vereinbarung das Papier wert ist, auf dem sie geschrieben steht, wird sich in den ersten Monaten des neuen Jahres zeigen. Sicher ist: Schert der Handel wieder aus, sind die Bauern wieder auf der Straße.

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Otte-Kinast arbeitet am Gesellschaftsvertrag für die Landwirtschaft: Ob der Ad-hoc-Kompromiss der Bauernbewegung auch wirklich nachhaltig ist? Agrarministerin Barbara Otte-Kinast (CDU) verfolgt ein anderes Ziel und pflegt auch einen anderen, weniger konfrontativen Stil. Ihr geht es darum, den Wandel so zu gestalten, dass er auch lange hält und möglichst wenig Schaden anrichtet. Das braucht mehr Zeit, ist mühseliger – aber am Ende vielleicht besser für alle Beteiligten? Die Ministerin verfolgt seit geraumer Zeit die Vision eines neuen Gesellschaftsvertrags für die Landwirtschaft. Damit knüpft sie an den Artenschutzpaket des „niedersächsischen Weges“ an. Als nächstes sollen Verbraucher und Handel in das Bündnis integriert werden. Doch womöglich werden Gespräche allein am Ende nicht ausreichen. Geht es etwa um den zielgerichteten Abbau von Tierbeständen, bedarf es eines koordinierten Vorgehens. Wenn es den gesellschaftlichen Konsens dafür geben sollte, dürfte sich auch eine CDU-Politikerin, die ungern in das Marktgeschehen eingreifen möchte, diesem Schritt nicht verwehren. Perspektivisch hat sie sich für dieses Projekt bis zum Ende der Legislaturperiode Zeit gegeben. Im nächsten Jahr sollte es also deutlich vorangehen, damit dann spätestens 2022 auch der Tierhaltungs-Pakt stehen kann.

Borchert-Kommission ersinnt eine Landwirtschaft ohne Massentierhaltung: Knapp ein Jahr früher muss hingegen Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) fertig werden. Im September 2021 wird im Bund neu gewählt, bis dahin sollen die Ergebnisse der sogenannten Borchert-Kommission umgesetzt werden. Grob zusammengefasst ist es das Ziel der Agrar- und Tierschutzexperten, die Massentierhaltung in Deutschland abzuschaffen und in den nächsten Jahrzehnten in einem moderierten und subventionierten Verfahren die Haltungsbedingungen deutlich zu verbessern. Schon in diesem Jahr hat das Bundesagrarministerium ein Förderprogramm für den Stallbau auf den Weg gebracht, das de facto eine Verringerung der Tierbestände mit sich bringt. Das Modell der Borchert-Kommission geht dieses Projekt noch umfassender an. Es ist zwingend erforderlich, dass verschiedene Schritte zugleich gegangen werden, sonst verpufft der Effekt. Damit die Ställe umgebaut werden können, müssen auch die „Technischen Anleitungen“ (TA) Luft und Lärm angepasst werden. Baugenehmigungen und die Zulassung offener Stallkonzepte müssen deutlich vereinfacht werden. Und damit die Bauern auch noch von ihrer Arbeit leben können, muss der Preis für Fleisch, Milch und Eier steigen. Sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene wirbt man für eine Tierwohl-Abgabe. Der grobe Plan steht, die Details werden zurzeit verhandelt – 2021 kann das Jahr sein, in dem es gelingt, ein aus dem Gleichgewicht geratenes System wieder ins Lot zu bringen.

Von Niklas Kleinwächter