Von Niklas Kleinwächter

Es ist ein Projekt von noch nicht abzusehendem Ausmaß. Vor zehn Jahren wurde die Rückholung von knapp 1300 Fässern mit schwach und mittelradioaktiven Abfällen aus dem Atommülllager Asse bei Wolfenbüttel ins Auge gefasst. In zehn Jahren soll damit spätestens begonnen werden. Doch wie genau das ablaufen soll, wie lange es dauern wird und wo der Atommüll anschließend hinkommen soll – all diese Fragen sind noch immer ungeklärt.

Ein Schaubild von den Kammern der Asse. Rot sind jene Kammern, in denen Atommüll lagert. Foto: Christian

Fest steht nur, dass gehandelt werden muss. Denn der Schacht ist nicht stabil und Experten befürchten, dass durch eindringendes Wasser eine radioaktive Salzlauge in das Grundwasser gelangen könnte. Eine Bürgerinitiative fordert deshalb, den Atommüll am besten noch schneller zu bergen. Doch die Planungen und Genehmigungen dauerten viel zu lange, beklagen sie schon seit Jahren. Gestern Abend nahm Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies (SPD) erneut an einer Diskussion mit den Bürgern vor Ort teil. Erörtert werden sollten dabei die Perspektiven des gewagten Unterfangens – aber welche Perspektiven gibt es?


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Dass der Atommüll aus der Schachtanlage geborgen werden soll, wurde 2013 per Gesetz beschlossen. Vorangegangen war ein Vergleich von drei verschiedenen Optionen, der Bericht dazu war 2010 vorgestellt worden. Dabei wurde untersucht, ob die Fässer geborgen und anderswo eingelagert werden sollen, ob sie an eine tiefere Stelle im früheren Salzbergwerk Asse verbracht werden können oder ob man die Hohlräume im Bergwerk komplett mit Beton verfüllen soll, also den Müll „einmauert“. Damals war man zu dem Ergebnis gekommen, dass „eine langfristige Sicherheit von Mensch und Umwelt nach derzeitigem Kenntnisstand nur durch die Rückholung der Abfälle aus der Asse gewährleistet“ werden könne.

Der Plan der zuständigen Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) sieht grob wie folgt aus: Um an das radioaktive Material heran zu kommen, wird ein neuer Schacht angelegt, der sogenannte Bergungsschacht mit der Nummer fünf. Doch zuvor müssen noch einige Daten erhoben werden, denn so ganz genau weiß man nicht, wie es sich mit den Gesteinsformationen verhält. Zurzeit sendet die BGE dazu mit speziellen Vibrationsfahrzeugen Druckwellen in den Boden und vermisst so den Untergrund. Anschließend sollen vom neu angelegten Bergungsschacht aus Zugänge zu den drei Kammern in 511, 725 und 750 Metern Tiefe gebohrt werden, in denen sich der Atommüll befindet. Roboter sollen dann irgendwann die Fässer mit den radioaktiven Abfällen bergen, denn für Menschen wäre die Strahlung nicht zumutbar.

Im letzten Jahr sollte endlich ein Rückholungsplan vorgelegt werden. Dieses Versprechen haben Ministerin Schulze und die Bundesgesellschaft für Endlagerung aber nicht gehalten.

Doch inzwischen mehren sich die Vermutungen, dass das zuständige Bundesumweltministerium und die BGE diese Maßnahme verzögern wollen – weil ihnen ein klarer Plan fehle. Kritiker über die Parteigrenzen hinweg beklagen zum Beispiel, dass die BGE eine für das dritte Quartal 2019 angekündigte „Rückholskizze“ bislang noch nicht vorlegen konnte. Eigentlich hatte man mit dieser bei der Sitzung der Begleitgruppe zur Asse-Bergung Ende November 2019 fest gerechnet. Stattdessen erklärte der BGE-Geschäftsführer Stefan Studt, er wisse noch gar nicht, wann genau diese Skizze vorgelegt werden könne.

„Im letzten Jahr sollte endlich ein Rückholungsplan vorgelegt werden. Dieses Versprechen haben Ministerin Schulze und die Bundesgesellschaft für Endlagerung aber nicht gehalten“, kritisiert der Linken-Bundestagsabgeordnete Victor Perli auf Rundblick-Nachfrage. „Dafür gibt es weder eine stichhaltige Begründung noch eine Entschuldigung. Es festigt sich der Eindruck, dass das Bundesumweltministerium das Projekt Asse II nicht im Griff hat.“

Kreistag Wolfenbüttel fordert mehr Tempo bei der Rückholung

Nicht nur im Bundestag, auch im Kreistag von Wolfenbüttel betrachtet man die Asse-Bergung kritisch. Dort sollte gestern Abend zum Beispiel eine Resolution beschlossen werden, die alle beteiligten Behörden dazu auffordert, die Rückholung des Atommülls durch „geeignete Maßnahmen“ „deutlich zu beschleunigen“. Als Beispiel wird angeführt, dass der Austausch einer defekten Überwachungskamera in einer Kammer des Schachts schon seit Jahren nicht genehmigt wird, weil eine benötigte Umweltverträglichkeitsprüfung nicht vorgelegt werden kann.

Frank Oesterhelweg (CDU), Landtagsvizepräsident und zugleich Mitglied des Kreistags von Wolfenbüttel, möchte zudem eine Sondersitzung des Kreistags anregen, damit die Politik umfassend informiert werden kann. Er betrachtet das Projekt mit Skepsis, sagt er im Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick. Immer wieder habe es Hinweise gegeben, dass die Bergung der Fässer womöglich zu kompliziert sein könnte.

Heike Wiegel vom Bürgerbündnis „Asse II Koordinationskreis“ glaubt hingegen, dass der tatsächlichen Bergung der Fässer am Ende nur rechtliche Hürden im Weg stehen werden. „Technisch ist das möglich“, sagt die Maschinenbautechnikerin, „aber rechtlich kann es Probleme geben.“ Sie fürchtet, dass der bergrechtlich vorgesehene Sicherheitsabstand von 150 Metern zu Sicherheitspfosten nicht eingehalten werden kann.

Eine Frage bleibt unbeantwortet: Wohin mit den geborgenen Fässern?

Doch selbst wenn die Bergung der Fässer gelingen sollte, bleibt die dringendste Frage noch immer unbeantwortet: Wohin mit dem Atommüll? Die wahrscheinlichste Variante ist, dass in direkter Nähe zur Asse eine Konditionierungsanlage und ein Zwischenlager errichtet werden. Für Heike Wiegel kommt das allerdings eigentlich nicht in Frage. Sie verweist auf eine Parameterstudie, der zufolge bei Störfällen die Belastung erst nach vier Kilometern nicht mehr gefährlich wäre. Die Dörfer rund um die Asse befänden sich aber nur in einem Radius von etwa einem Kilometer.

Dass sich die BGE bislang nicht um die Zwischenlager-Frage gekümmert hat, kritisiert Wiegel scharf. „Die sollen endlich Klartext reden“, sagt sie. Dann könne man immerhin mit der Situation umgehen. So entstehe zurzeit der Eindruck, man wolle etwas verheimlichen. Hinter vorgehaltener Hand wird von manchen betroffenen Politikern auch über Standorte in der Lüneburger Heide gesprochen oder auch über frühere Militärlager, vielleicht in den neuen Bundesländern. Doch eigentlich glaubt daran niemand. Dass der Atommüll – wenn er denn geborgen wird – in Landkreis Wolfenbüttel bleibt, scheint für alle schon klar.

Doch wirkliche Klarheit bleibt zum Leidwesen aller Betroffenen noch immer aus. Was bleibt, ist bei vielen das ungute Gefühl, dass da etwas verheimlicht wird.