Eine gewisse Spannung liegt in der Luft, es hat ein bisschen etwas von Vorwahlkampf – obwohl das Wort hier absolut unpassend wäre. Heute in zwei Wochen treffen sich die derzeit 26 Diözesanbischöfe aus Deutschland und die 41 Weihbischöfe zu ihrer nächsten Konferenz in Mainz, und sie wählen einen neuen Vorsitzenden, einen Sprecher – einen, der das Gesicht der katholischen Kirche in Deutschland sein wird.

Hildesheims Bischof Heiner Wilmer könnte Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz werden. – Foto: Bistum Hildesheim

Dieser Repräsentant wird öffentlich auftreten und Positionen vertreten, und er wird auch nach Rom wirken, denn von ihm hängt ab, welche Signale aus der Bundesrepublik in Richtung Vatikan gesendet werden. Der bisherige Amtsinhaber, Reinhard Kardinal Marx (66, Erzbischof von München und Freising), verkörperte in seiner Leibesfülle die barocke Art: klar in der Formulierung, manchmal wenig diplomatisch im Auftreten, häufig auch aneckend und provokativ.

Nun will Marx nicht mehr, ein Jüngerer soll es machen, sagt er. Immer wieder wird nun der Name des Hildesheimer Bischofs Heiner Wilmer (58) genannt, ein Mann, der seit 2018 sein Bistum führt und dabei mit mutigen und klugen Entscheidungen bundesweit für Aufsehen gesorgt hat. Der „Spiegel“ sieht in ihm schon den Favoriten.


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Wilmer ist nun gar kein Typ wie Marx, er tritt ganz anders auf: eher zurückhaltend, fast schüchtern, sehr nachdenklich, aber nicht vergeistigt. Begleiter nennen ihn „spirituell“ und meinen damit eine besonnene, demütige Art des Auftretens. In Hildesheim hat er sich bescheiden eingerichtet, es wirkt dort fast protestantisch. Vom Prunk und überbordenden Selbstbewusstsein der katholischen Kirche in Süddeutschland, wo diese Glaubensrichtung noch dominant ist, hält der gebürtige Emsländer nicht viel.

Längst ist Wilmer in katholischen Kreisen und darüber hinaus so etwas wie ein „Hoffnungsträger“ geworden. Das hat zwei Ursachen. Erstens stammt er von außen, hat keinen hierarchischen Aufstieg zurückgelegt wie viele andere Bischöfe. Nach dem Studium der französischen Philosophie und der Promotion in Theologie arbeitete er als Seelsorger in Toronto, war zwei Jahre lang Schulseelsorger und Religionslehrer in Vechta, ging für ein Jahr in die USA und war in der New Yorker Bronx tätig, wurde Generaloberer einer Ordensgemeinschaft in Rom. Er engagierte sich für zahlreiche Sozialprojekte. Ein „Ordensmann“ wie er gilt als jemand von außen, der nicht vorbelastet ist durch innere Konflikte oder Grüppchenbildung im katholischen Klerus.

Zweitens hat Wilmer ein paar Wochen nach der Amtsübernahme in Hildesheim den Missbrauchsskandal in seinem Bistum öffentlich gemacht, eine Kommission eingesetzt und die Aufarbeitung angeschoben – verbunden mit einer deutliche Distanzierung vom Wirken des früheren, inzwischen verstorbenen Bischofs Heinrich Maria Janssen (1957 bis 1982), dem selbst sexueller Missbrauch vorgeworfen wird.

Kein Revolutionär aber jemand, der Anstöße gibt

Wenn es um dieses Thema geht oder auch um ein anderes, die Förderung von Frauen in leitenden Positionen der katholischen Kirche, setzt Wilmer immer wieder Zeichen: Die frühere Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz unterstützt ihn bei der Aufarbeitung der Missbrauchsfälle, auch die ehemalige Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer berät ihn. Vor einem Jahr erregte der Bischof Aufsehen, als er offen „die männerbündischen Zirkel“ in seiner Kirche angriff. Im Rundblick-Interview distanzierte er sich vergangenen Oktober ganz deutlich von rechtspopulistischen Tendenzen: „Wer Katholik ist, kann nicht zugleich Nationalist sein. Als Christen sind wir Patrioten, aber gleichzeitig auch Weltbürger.“


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Da Wilmer auch ganz bewusst mediale Auftritte nutzt, um eigene Haltungen zu vertreten, zieht er große Aufmerksamkeit auf sich. Dabei ist er bestimmt kein Revolutionär, der einen Streit um des Streites Willen anfachen oder gar die Spaltung der Kirche in Kauf nehmen würde. Er gibt Anstöße für Reformen, auch nachdrücklich – ist sich aber bewusst, dass in der Weltkirche Veränderungen nur langsam voranschreiten und vieles eben doch vom Papst abhängt.

Das Attribut „konservativ“ passt auch für ihn, aber er knüpft das, anders als die Hardliner, nicht an alle überlieferten Regeln an, sondern an die jüdisch-christlichen Ursprünge des Glaubens. Das Zölibat, sagte er einmal, halte er für richtig – aber man könne die Vorzüge der Ehelosigkeit der Priester „stärker zum Strahlen bringen“, wenn es freiwillig wäre und keine Verpflichtung.

Wahl des Vorsitzenden der Bischofskonferenz ist wie eine kleine Papstwahl

Was heißt das alles nun für Wilmers Zukunft? Manche meinen, dass der Hildesheimer Bischof ungern neuer Vorsitzender würde, da im Bistum Hildesheim, das eine flächenmäßige Ausdehnung von der Größe Belgiens hat, genügend Aufgaben auf ihn warten – und er nach anderthalb Jahren im Amt dort noch viel gestalten will. Ein Nebenamt als Stimme seiner Amtsbrüder würde bedeuten, dass er viel stärker außerhalb des Bistums gefordert wäre. Aber würde er im Fall seiner Wahl einen solchen Ruf ablehnen können (und wollen)?

Die Wahl des Vorsitzenden der Bischofskonferenz ist ein bisschen wie eine kleine Papstwahl: In Betracht kommen nur die 27 Diözesanbischöfe, die 41 Weihbischöfe stimmen mit ab, dürfen aber nicht kandidieren. Nominierungen gibt es nicht, Vorstellungsrunden auch nicht: Jeder Teilnehmer der Konferenz schreibt einen Namen auf einen Zettel. Im ersten und zweiten Wahlgang ist gewählt, wer die Zweidrittelmehrheit errungen hat, im dritten Wahlgang reicht die einfache Mehrheit.

Nun ist es so, dass auch mehrere andere Diözesanbischöfe im Gespräch sind – etwa Kardinal Woelki in Köln oder Rudolf Voderholzer in Regenburg, die als erzkonservativ gelten, auch die Bischöfe Franz-Josef Overbeck (Essen), Karl-Heinz Wiesemann (Speyer), Georg Bätzing (Limburg) oder Peter Kohlgraf (Mainz). Mancher von ihnen, heißt es, trete derzeit durchaus ehrgeizig auf und biete sich als Kandidat an.

Aber ob sie auch wie Wilmer den Anspruch erfüllen können, in einer Mischung aus Mut, Klarheit und diplomatischen Geschick die katholische Kirche in die Zukunft zu führen? In 14 Tagen werden wir es wissen. (kw)