Die Corona-Pandemie hat viele Wirtschaftszweige arg getroffen und in Existenznöte gebracht. Es gibt aber auch Professionen, die in dieser Zeit richtig aufblühen – auch und gerade in Niedersachsen.

Die Corona-Krise treibt die Staatsverschuldung in die Höhe – Foto: TomPhotos/GettyImages

Eine davon ist die Zunft der volkswirtschaftlichen Gesprächskreise. Schon seit vielen Monaten tritt die Regionalgruppe Nord der Keynes-Gesellschaft verstärkt in Erscheinung, geleitet vom rührigen früheren Chefvolkswirt der Nord/LB, Torsten Windels. Er vertritt die These, dass die im Grundgesetz und in der Landesverfassung verankerte Schuldenbremse notwendige Investitionen behindere, dass der Staat wesentlich mehr investieren und dabei auch die Niedrigzinsphase nutzen müsse.

Der DGB-Landesvorsitzende Mehrdad Payandeh unterstützt das vehement, die niedersächsische SPD lässt auch stetig mehr und mehr Sympathie für diese Haltung erkennen. Für die Gegenposition steht in Niedersachsen vor allem ein Name, der des Finanzministers Reinhold Hilbers von der CDU. Er warnt vor einer ausufernden Verschuldung und betont bei jeder passenden Gelegenheit: „Die vielen Kredite, die Bund und Länder zur Bewältigung der Corona-Krise aufgenommen haben, müssen irgendwann auch zurückgezahlt werden. Daher müssen wir sorgfältig darauf achten, was wir uns künftig noch leisten können und was nicht.“

Wie ein kleiner Staatssektor zu einem starken Aufschwung führt

Während Windels regelmäßig zu virtuellen Diskussionsrunden einlädt, vorzugsweise gemeinsam mit dem Lüneburger Wirtschaftswissenschaftler Arno Brandt, hat Hilbers jetzt gegengehalten: Er organisierte ein Treffen mit dem früheren Chefvolkswirt des Bundesfinanzministeriums, Ludger Schuknecht, der demnächst als Wirtschaftsberater nach Singapur geht.

Schuknecht hat die aktuelle weltwirtschaftliche Situation analysiert und kommt zu wenig schmeichelhaften Erkenntnissen. In den vergangenen 150 Jahren habe die Gruppe der westlichen Industrieländer die Staatstätigkeit bis 1960 allmählich ausgebaut, dann seien 20 Jahre eines rapiden Anstiegs gefolgt, die sogenannte „keynesianische Revolution“. Von 1980 bis 2000 sei die „Gegenrevolution“ mit Kürzungen und Konsolidierungen gekommen, seit 2020 erlebe man nun wieder eine Zunahme der Staatstätigkeit. Die Sozialausgaben seien zwischen 1960 und 2017 von 8 auf 25 Prozent gestiegen.

In den Ländern, die konsequent eine „Austeritätspolitik“ angewandt hatten, also eine Sparpolitik, sei entgegen der Behauptung der Keynesianer die Schere zwischen Arm und Reich nicht größer geworden. „Das liegt vor allem daran, dass die Folge eine höhere Beschäftigung war – und eine hohe Beschäftigung ist die beste Sozialpolitik“, betont Schuknecht.

Die vielen Kredite, die Bund und Länder zur Bewältigung der Corona-Krise aufgenommen haben, müssen irgendwann auch zurückgezahlt werden. Daher müssen wir sorgfältig darauf achten, was wir uns künftig noch leisten können und was nicht.

Der Volkswirtschaftler widerspricht der Hypothese, ein großer Anteil der Staatsausgaben am Bruttoinlandsprodukt bedeute auch eine gerechtere Politik. So zeigten Singapur und Südkorea, wie sehr ein sehr kleiner Staatssektor zu einem starken Aufschwung führe – weil viele Bereiche dem Wettbewerb der Ideen und Anbieter geöffnet seien. Südkorea etwa beschränke die Sozialausgaben nur auf die wirklich Bedürftigen.

Viele der in Deutschland eingeführten Wohltaten, von Grundrente über die Rente mit 63, kämen nicht Bedürftigen zugute, sondern seien das Resultat erfolgreicher Lobbypolitik von Interessengruppen. „Die Einkommensverteilung ist aber in Korea ähnlich wie in Deutschland oder Frankreich – trotz der erheblich geringeren Staatsquote.“ Die Corona-Zeit mit den kräftig gestiegenen Staatsausgaben sieht Schuknecht mit Sorge. In Deutschland etwa steige die Staatsquote auf mehr als 55 Prozent, in Italien und Frankreich noch höher. „Es gibt aber kein Land, dass nachhaltig mehr als 53 Prozent tragen konnte“, betont er. Der Weg in die Verschuldung sei beschritten, er drohe unter diesen Verhältnissen zur „Schuldenexplosion“ zu werden.

Nur kleine Staaten können sich mit einem Schuldenschnitt retten

Was er damit meint, schildert Schuknecht an einer Beispielrechnung: Im Durchschnitt der G7-Industriestaaten habe man 2007 einen Schuldenanteil am BIP von 82 Prozent gehabt, der sei bis 2019 auf 116 Prozent gestiegen und liege jetzt bei 136 Prozent, 2021 könnten 140 Prozent erreicht werden. „Das ist so hoch wie nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs – und zwar ohne Krieg“, betont der Volkswirtschaftler. Nur eine geringe Anhebung der Zinsen könne dann schnell dazu führen, dass Staaten ihren Schuldendienst nicht mehr leisten können.

Was dann geschehe, wird Schuknecht gefragt. Seine Antwort: Kleine Staaten könnten sich mit einem Schuldenschnitt retten, Griechenland sei dafür das letzte Beispiel gewesen. Bei den anderen drohe eine Zunahme der Inflation, stärker noch als „die schleichende Inflation“, die derzeit über das Aufzehren der Sparguthaben geschehe. Wenn man das vermeiden wolle, „dann führt an richtigen Reformen kein Weg vorbei“, mahnt der frühere Chefvolkswirt des Bundesfinanzministeriums.

Was meint er? Auf jeden Fall solle man sich vor Protektionismus bewahren und vor der künstlichen Lebensverlängerung eigentlich längst unwirtschaftlicher Branchen und Firmen. Überlegungen, alle wichtigen Produktionen ins eigene Land zu verlagern, seien nicht klug, sondern zeugten von Angst. Dann müssten Staatsausgaben konsequent überprüft und gekürzt werden – zugunsten von Privatinitiative, Wettbewerb und der Innovationskraft des Unternehmergeistes. Auf Deutschland komme es hier besonders an, weil man von Deutschland immer noch eine Vorbildrolle erwarte. Dabei gehe es um mehr als nur um gutes Wirtschaften und eine stabile politische Lage, es gehe um die eigentliche Frage, ob die demokratischen und freiheitlichen Gesellschaften im Wettbewerb etwa mit China noch beweisen könnten, dass sie eine solche Krise besser bewältigen als autoritäre Staaten.

Niedersachsens Finanzminister Hilbers unterstützt diese Linie. Er zieht den Vergleich zur Kapitalmarktkrise von 2007. Damals habe man es in zehn Jahren geschafft, wieder auf die Beine zu kommen – aber geholfen habe damals auch die regelmäßige Absenkung der Zinssätze, die ein Ausufern der Staatsverschuldung begrenzt habe. Heute nun seien die Zinsen schon auf einem Tiefststand, und das mache die Sache nicht einfacher. Für Hilbers ist wichtig: „Wir brauchen Wachstum der Wirtschaft, weniger Staatswirtschaft und weniger Regulierung. Nur so können wir die Wirtschaft wieder in Gang bringen.“ (kw)