Der Plan der rot-schwarzen Koalition in Niedersachsen, die sogenannte „Schuldenbremse“ in die Landesverfassung zu schreiben, ist bei Wissenschaftlern nicht unumstritten. Drei Wirtschaftsexperten raten dringend dazu, die bisher vorgesehenen Vorschriften noch zu verschärfen und zu konkretisieren. So sollten mögliche „Schlupflöcher“, die in den Konzepten enthalten seien, noch geschlossen werden.

In einer Anhörung vor dem Haushaltsausschuss des Landtags hatten sich die Volkswirtschaftler Prof. Stefan Homburg (Hannover) und Prof. Niklas Porafke (München), sowie der Wirtschaftshistoriker Prof. Stefan Bajohr (Düsseldorf) geäußert. Kritische Einschätzungen gab auch Landesrechnungshof-Präsidentin Sandra von Klaeden ab. Der Rechnungshof regte an, nicht nur die Hürden für die Neuaufnahme von Krediten höher zu legen, sondern auch einen verbindlichen Plan zum Abbau des gegenwärtige Schuldenstandes Niedersachsens, der mehr als 60 Milliarden Euro beträgt, vorzusehen.

Erwähnt wird als Vorbild die Regelung in der bayerischen Haushaltsordnung, wonach die Verschuldung am Kreditmarkt bis 2030 abgebaut werden solle. Für Niedersachsen schlägt von Klaeden nun vor, das Land solle bis 2030 den Schuldenstand um insgesamt 5 Milliarden Euro verringern – wobei die konjunkturelle Lage berücksichtigt werden müsse. Das heißt, in Zeiten von Konjunkturkrisen kann die Tilgung ausgesetzt werden. „Nach Ablauf von zehn Jahren könnte sich das Land eine neue Zielvorgabe geben“, heißt es in einem Rechnungshof-Papier, das entsprechende Überlegungen der FDP lobt.

Ausnahmen bei außergewöhnlichen Situationen…

Im bisherigen Regierungskonzept für eine Schuldenbremse ist ein solcher Abbau indes nicht enthalten. Der Gesetzentwurf sieht vielmehr einen Doppelschlag vor: Erstens soll die Landesverfassung das schon im Grundgesetz für alle Bundesländer ab 2020 geltende Neuverschuldungsverbot aufgreifen. Zweitens soll in einem dazu passenden Landesgesetz geregelt werden, wie das Land Ausnahmen von dieser Vorgabe regeln kann. Nach Ansicht von Rechtsexperten ist eine solche Übertragung in das Landesrecht dann erforderlich, wenn Niedersachsen tatsächlich vom Neuverschuldungsverbot des Grundgesetzes in begründeten Sondersituationen abweichen will.

Vorgesehen ist nun, dass bei außergewöhnlichen Situationen, die sich der Kontrolle des Landes entziehen, sowie in Katastrophenfällen doch neue Kredite aufgenommen werden können – sofern zuvor eine Zweidrittelmehrheit des Landtags zustimmt. Die zeitnahe Rückzahlung soll gleichzeitig festgelegt werden. Außerdem ist eine „Konjunkturkomponente“ geplant: Wenn die Konjunkturentwicklung unterhalb einer „Normallage“ liegt, soll die Kreditaufnahme ebenfalls erlaubt sein. Liegt sie oberhalb der „Normallage“, so muss ein Geldbetrag für Notfälle zur Seite gelegt werden – ein Teil des Haushaltsüberschusses wird dann also für spätere schlechte Zeiten reserviert.

…bringen neue Schlupflöcher ins Gesetz

Der hannoversche Volkswirtschaftler Homburg erwähnte das Bild vom Odysseus, der sich an einen Mast kettet, um den verlockenden Rufen der Sirenen zu widerstehen. Ähnlich wirke die Schuldenbremse, sie solle das Demokratieprinzip garantieren, indem die Politiker im Interesse der nachfolgenden Generationen auf Ausgaben mit Folgewirkungen verzichten. Früher, schildert Homburg, habe man pauschal Investitionen für vertretbar gehalten, weil damit dauerhafte Werte geschaffen würden. Das aber sei aber trügerisch gewesen: Investitionen in Militärgüter wie Kriegsschiffe seien ungeeignet für die Schaffung neuer Werte. Auch kommunale Schwimmbäder, wie sie in den siebziger Jahren massenhaft gebaut worden seien, hätten den Städten Folgekosten und keinen Nutzen beschert.

Homburg lobt deshalb den Plan der Schuldenbremse, kritisiert aber am Gesetzentwurf, dass keine Frist für die Rückzahlung der in Notlagen aufgenommenen Kredite verankert worden sei. Der Landtag solle beispielsweise „innerhalb von acht Jahren“ ins Gesetz schreiben. Falsch sei auch, dass es Schlupflöcher gebe: So steht im Entwurf, dass Kredite, die das Land „zum Erwerb von Beteiligungen“ aufnimmt, vom Neuverschuldungsverbot ausgenommen sein sollen. Das bringt auch den FDP-Politiker Grascha und den Grünen-Finanzexperten Stefan Wenzel ins Grübeln: Mit diesem Passus könne das Land beispielsweise die Milliarden-Investitionen zur Stützung der Nord/LB, die über die landeseigene HannBG abgewickelt werden, rechtfertigen.

Auch Homburg sieht dieses Detail skeptisch und rät, „Umgehungsmöglichkeiten“ auszuschließen. So sind im bisherigen Entwurf auch Bürgschaften und Gewährleistungen erlaubt, möglich wäre auch ein PPP-Modell: Man verkauft ein Behördengebäude und erhöht so scheinbar seine Einnahmen, mietet es dann aber zurück. Das solle besser unterbunden werden. Auch Homburgs Kollege Prof. Potrafke plädiert hier für eine Verschärfung der Schuldenbremse. Er hat eine Übersicht vorgelegt, wonach in den acht Bundesländern, die bereits eine Landesregelung haben, der Rückgang des Schuldenstandes größer sei als in den acht anderen, die noch keine solche Vorschriften kennen.

Vor allem der Grünen-Politiker Wenzel äußert Bedenken, die auch der Wirtschaftshistoriker Prof. Bajohr teilt: Wenn geregelt werden soll, dass bei einem Unterschreiten der „konjunkturellen Normallage“ neue Schulden erlaubt sind, dann hänge sehr viel davon ab, wie diese „Normallage“ definiert wird. Vorgesehen ist ein langfristiger Blick auf die Konjunkturentwicklung, außerdem eine Beurteilung des Auslastungsgrades der Volkswirtschaft, also des „Produktionspotenzials“. Hier sei viel Raum für Manipulation gegeben – wenn man die Hürden niedrig lege, könne man so leicht eine zusätzliche Verschuldung rechtfertigen. Prof. Homburg teilt diese Sorge nicht, auch die Abgeordneten Ulf Thiele (CDU) und Frauke Heiligenstadt (SPD) weisen Wenzels und Bajohrs Bedenken ebenfalls zurück.