Ein Jahr lang ist der neue Vorstand der niedersächsischen Linken jetzt im Amt. Das junge Führungsteam mit der Doppelspitze Heidi Reichinnek (Osnabrück) und Lars Leopold (Alfeld) spürt allmählich, wie schwierig es ist, als außerparlamentarische Kraft die Aufmerksamkeit zu finden. Wo sollen nun die Schwerpunkte gesetzt werden – eher bei landespolitischen Fachfragen oder doch lieber in bewährten Themen wie der Friedenspolitik?

Der diesjährige Landesparteitag diente in einer „Zwischenbilanz“ auch der Selbstbestimmung. Dabei waren zwei Lager erkennbar. Die einen wünschen sich mehr Engagement in der Sozialpolitik, die anderen möchten auf ein nahendes Großereignis alle Kräfte konzentrieren und so die alte Friedensbewegung wieder auferstehen lassen. Im April und Mai ist eine Nato-Großübung „Defender“ geplant, zehntausende Soldaten – auch aus den USA – sollen von Deutschland aus nach Polen und in die baltischen Staaten gebracht werden. Die „Kommunistische Plattform“ (KPF) innerhalb der Linkspartei wirbt auf dem Parteitag vehement dafür, den Kampf gegen dieses Manöver in den Mittelpunkt der Linken-Kampagne der nächsten Wochen und Monate zu stellen. „Diese Übung stellt eine Provokation gegenüber Russland da“, ruft Agnes Hasenjäger (Hannover). Arne Brix (Oldenburg) spricht „von einer großen Herausforderung für unsere Partei“.

Wir müssen dem Antikommunismus die rote Karte zeigen!

Am Ende einigen sich Landesvorstand und KPF, den Protest gegen „Defender“ in der Prioritätenliste weit nach vorn zu setzen. Die Formulierung im KPF-Antrag lautete noch, man wende sich „gegen die Unverfrorenheit der Nato-Strategen, die, im Bemühen die Weltherrschaft zurückzugewinnen, den Untergang (nicht nur Europas) in Kauf nehmen“. Tatsächlich wird die KPF-Wortwahl nicht vom Parteitag übernommen, doch in der Debatte wird schon manche verbale Radikalität in diesem Zusammenhang laut.


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Immerhin wird das Manöver Niedersachsen stark betreffen, ein großes Unterstützungszentrum ist offenbar auf dem Truppenübungsplatz Bergen geplant, in Osterholz soll nach Brix‘ Worten ein Lager für 2000 Soldaten gebaut werden. Soll man sich jetzt mit ganzer Energie wieder als Friedenspartei profilieren? Er sei skeptisch und wende sich gegen diese „Symbolpolitik“, sagt Hans-Georg Hartwig aus Braunschweig. Diether Dehm, Bundestagsabgeordneter und Urgestein der Partei, widerspricht: „Wir müssen den Kampf gegen die Nato und den US-Imperialismus auch geistig vorbereiten“, fordert Dehm und spitzt seine Position zu: „Wir müssen dem Antikommunismus die rote Karte zeigen!“

Forderung nach Mindesterzeugerpreisen für Agrarprodukte

So stellt die friedenspolitische Debatte auf dem Parteitag die anderen Themen in den Schatten. Mehrere Politiker sehen die Linke ganz vorn in der Sozialpolitik. „Wir sind die Partei der Pflegerebellion“, sagt Viktor Perli (Wolfenbüttel), Katrin Otte (Lüneburg) vergleicht die Gründung der Pflegekammer mit dem Polizeigesetz – „die Regierung ist in beiden Fällen ähnlich aggressiv vorgegangen“. Andere sehen den Mietendeckel als das Alleinstellungsmerkmal der Linken, und Hans-Henning Adler (Oldenburg) empfiehlt, die Linke solle auch ein Angebot an die vielen konventionellen Bauern machen, die derzeit auf die Straße ziehen: „Das kann doch nur heißen, Mindesterzeugerpreise für Agrarprodukte festzulegen.“

So richtig indes dringt Adler damit nicht durch. Selbst die neue Chefin der Bundestagsfraktion, Amira Mohamed Ali aus Oldenburg, erntet für ihr Grußwort keine längeren Reaktionen. Die CDU, sagt sie, müsse aus dem Debakel in Thüringen lernen und sich endlich für Kooperationen mit der Linkspartei öffnen. Eine „Mentalität des kalten Krieges“ erlebe sie derzeit im Bundestag, wenn sich CDU und CSU dort weigerten, jeglichen Antrag zu unterstützen, den auch die Linken befürworten. Eine Erklärung dafür hat die Linken-Fraktionsvorsitzende: „Sie wollen das nicht, weil sie das System erhalten wollen, das wir in Frage stellen“.

Damit meine sie eine Steuerpolitik, die Multimillionäre schone, und eine Energie- und Gesundheitspolitik, die auf Privatisierung statt auf Daseinsvorsorge richte. Den stärksten Applaus bekommt Mohamed Ali, als sie zum Ende ihrer Rede auch auf das Friedensthema eingeht. „Die Koalition von CDU/CSU und SPD braucht Russland als Feind, um weiter aufrüsten zu können.“ Deutschland müsse „zum Kriegsdienstverweigerer werden“, ruft die Fraktionschefin.

Wir sind die Partei der Pflegerebellion.

In Braunschweig wird damit ein eher unspektakulärer Parteitag überschattet von der Friedenspolitik. Das globale Thema verdrängt sogar interne Konflikte, die sich zwar zunächst in einigen Anträgen niederschlagen, dann aber doch nicht beraten werden: Die Mitgliederzahlen (rund 3000) stagnieren. So erfreulich es sei, dass die Hälfte der Neueintritte aus jüngeren Menschen unter 30 bestehen, so ärgerlich sei es, dass ein Fünftel davon im ersten Jahr die Partei wieder verlässt. Mit einer „Mitgliederzeitung“ will man jetzt die Bindung verstärken – auch als Beitrag zur Vorbereitung der Kommunalwahl im Spätsommer 2021.

Heftiger Ärger in zwei Kreisverbänden

In zwei Kreisverbänden gibt es zudem heftigen Ärger: In Osnabrück-Land fühlten sich einige Funktionäre vom Landesvorstand überrumpelt, weil dieser die rasche Aufnahme eines früheren AfD-Mitglieds in die eigene Kreistagsfraktion gerügt hatte. Der Streit eskalierte, eine Befriedung lässt noch auf sich warten. Was den Kreisverband Wesermarsch angeht, wird sogar über eine Auflösung des Verbands diskutiert. Mehrere Mitglieder kämpfen dort mit allen Mitteln gegeneinander, die Staatsanwaltschaft beschäftigt sich mit Verleumdung, übler Nachrede, Bedrohung, Beleidigung, Zeugenbeeinflussung und auch Unterschlagung. Versuche der Landesschiedskommission, die Situation zu beruhigen, blieben bisher ohne Erfolg. Der innerparteiliche Frieden ist bei der Linken eben nicht überall stark ausgeprägt. (kw)