Wenn eine Gewerkschaft unmittelbar vor einer wichtigen Landtagswahl gegen die Landesregierung klagt, kann das schnell als Kampfansage verstanden werden. Doch der Führung der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) liegt momentan nichts ferner als ein neuer Angriff gegen Kultusministerin Frauke Heiligenstadt (SPD), die sowieso schon seit Monaten im Kreuzfeuer der Kritik steht. Deshalb bleibt die gestrige Ankündigung, wegen der Arbeitszeitbelastung für Lehrer vor Gericht ziehen zu wollen, auch relativ nebulös. Wie viele Lehrer tatsächlich eine Klage einreichen und vor welchen Verwaltungsgerichten das der Fall sein wird, deutet der von der GEW beauftragte Anwalt Ralph Heiermann lediglich an. „Es werden mehrere Gerichte sein, Hannover gehört sicher dazu“, meint er. Und GEW-Sprecher Christian Hoffmann verkündet, es seien „um die zehn Kläger“, die von der Gewerkschaft unterstützt werden. Man sei „noch in der Prüfung“.

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Die Zögerlichkeit verrät: Ganz so ideal sind die Umstände für die GEW derzeit nicht, einer Gewerkschaft, der noch dazu in diesen Tagen ein wichtiger Führungswechsel bevorsteht. Der langjährige Vorsitzende Eberhard Brandt tritt am 25. September ab, seine Stellvertreterin Laura Pooth übernimmt die Führung. Ein zentrales Anliegen, das vor allem Brandt immer verfochten hatte, war die Arbeitszeitfrage. Grundschullehrer haben eine Unterrichtsverpflichtung von 28 Stunden in der Woche, Oberschullehrer von 25,5 Stunden und Gymnasiallehrer von 23,5 Stunden. Aus allen Schulformen werden Beschwerden laut, die Belastung sei zu hoch. Eine Arbeitszeitstudie der Uni Göttingen im Auftrag der GEW kam im vergangenen

Jahr zu dem Schluss, dass Gymnasiallehrer je Woche mehr als drei Stunden zu viel arbeiten, Grundschullehrer mehr als eine Stunde. Dass hier ein Ansatz wäre, vor Gericht eine Neuberechnung zu verlangen, ist der Gewerkschaft spätestens seit Sommer 2015 klar. Damals hatte das Oberverwaltungsgericht Lüneburg die von der rot-grünen Landesregierung beschlossene Anhebung der Unterrichtsverpflichtung für Gymnasiallehrer von 23,5 auf 24,5 Stunden gekippt – und gleichzeitig eine Überprüfung der Regeln für die Dienstzeiten verlangt. Die Antwort der Regierung darauf war die Einsetzung einer Regierungskommission, die seit vielen Monaten intern abwägt, rechnet und diskutiert. So lange dieses Gremium tagt, ist die Regierung jedenfalls vor einer breiten öffentlichen Debatte geschützt.

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Wie soll nun die GEW vorgehen? Einerseits feilt sie am Rechtsweg und stützt Lehrer, die ihre hohe Arbeitsbelastung anprangern, andererseits verteidigt Pooth die von Rot-Grün eingesetzte Kommission, die bisher planmäßig ihr Ergebnis im Februar 2018 vorstellen will – also nach dem ursprünglich geplanten Landtagswahltermin. Man hört, dass das vom früheren Rechnungshofpräsidenten Richard Höptner geleitete Gremium schon in der zweiten Oktoberhälfte erste Thesen präsentieren will. Was könnte dieser Expertenkreis, in dem für die GEW auch Brandt sitzt, vorschlagen? Ein Abbau der Unterrichtsverpflichtungen für Grundschullehrer? Das wäre im Sinne der GEW. Ein Vorrat an Lehrerstunden für jede Schule, mit dem diese individuell Lehrer unterstützen kann? Auch das wäre möglich. Wie immer man das dreht und wendet, am Ende käme ein Mehrbedarf an Lehrerstellen heraus. Wie aber soll man das auffangen, da doch der Lehrermarkt leergefegt ist? Denkbar wäre ja, dass man Lehrern vorübergehend Mehrarbeit abverlangen wird und ihnen verspricht, dafür später, wenn die Pensionierungswelle abgeebbt ist, Ausgleich zu verschaffen. Derartige unkonventionelle, teilweise provozierende Ideen könnten also laut werden. Wenn die neue Regierung in den Koalitionsverhandlungen das eine oder andere dann aufgreifen würde, hätten alle Lehrergewerkschaften wohl einen großen Erfolg erzielt. Wenn nicht, könnten die angedrohten Klagen der GEW entsprechenden Druck entfalten, sich dem Thema Lehrer-Arbeitszeit auf jeden Fall zu widmen. Was aus Sicht der künftigen GEW-Vorsitzenden Pooth nun aber gar nicht geht, ist die von CDU-Spitzenkandidat Bernd Althusmann ausgegebene Linie: Nach der Landtagswahl eine neue Überprüfung der Lehrer-Arbeitszeit in Gang zu setzen und die Vorschläge der bestehenden Kommission zu ignorieren. „Das ist Verzögerungstaktik. Die Kommission zur Arbeitszeit ist für uns ein Erfolg – und den lassen wir uns von niemandem kaputtmachen.“

Der Lehreralltag hat sich nun mal gründlich verändert, und die GEW hat ein Beispiel dafür parat. Der Leiter der Grundschule Fuhsestraße in Hannover-Leinhausen, Frank Post (61), soll einer der Kläger werden. Er sagt, dass er die gesetzliche Lehrerarbeitszeit von 40 Stunden je Woche hat, tatsächlich aber durchschnittlich 53 Stunden arbeite – Ferienzeiten seien mitgerechnet. In seiner Schule sind 249 Schüler, 23 Lehrer und 13 pädagogische Mitarbeiter. Eine Konrektorin stehe ihm zur Seite, aber alle wichtigen Fragen müsse er selbst regeln und koordinieren: Er muss die Deutschkurse im Kindergarten für die bald Schulpflichtigen abstimmen, den täglichen Unterricht bis 13 Uhr und die Betreuung bis 16 Uhr sicherstellen, Angebote für behinderte Kinder und für Migranten organisieren und Eltern über weiterführende Schulen beraten, um nur einige Aufgaben zu nennen. Für die künftige GEW-Chefin Laura Pooth ist klar: „Die alte Arbeitszeitverordnung ist seit 20 Jahren unverändert geblieben. Sie entspricht nicht mehr den veränderten Aufgaben, die in der Schule heute geleistet werden müssen.“ (kw)