Darum geht es: Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius nutzt derzeit jede Gelegenheit, sich bundesweit als konsequenter Verfechter der inneren Sicherheit darzustellen. Damit sticht er aus dem Kabinett heraus, meint Klaus Wallbaum.

Wen fragt man, wenn am Sonntagabend in der ARD bei „Anne Will“ ein deutscher Innenminister zum Verhältnis Deutschland-Türkei etwas sagen soll? Boris Pistorius. Welcher Landespolitiker wird wiederholt in der Tagesschau gezeigt, sobald über türkische Bespitzelungsvorwürfe geredet wird? Boris Pistorius. Wer wird als Beispiel für eine konsequente Anwendung des bestehenden Ausländerrechts gelobt, beispielsweise in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, aber auch in anderen bundesweiten Medien? Boris Pistorius.

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Wo immer man in diesen Tagen das Fernseh- oder Radiogerät anschaltet, der 57-Jährige niedersächsische Innenminister ist in aller Munde – verbunden mit positiven Nachrichten. Pistorius reagiert schnell, er reagiert sicher, er reagiert durchsetzungsstark. Vor Monaten, als noch über Sigmar Gabriel als nächsten SPD-Kanzlerkandidaten spekuliert wurde, hieß es immer, Pistorius könne sein Schatten-Bundesinnenminister werden. Und klar war auch: Einem solchen Ruf hätte sich der Jurist aus Osnabrück nicht verweigert. Dann kam es anders, und beim neuen Spitzenkandidaten Martin Schulz kann man Zweifel haben, ob ein Schatten-Bundesinnenminister Pistorius in Betracht käme, und zwar aus Gründen des Regionalproporzes: Gabriel, ein Niedersachse, ist gesetzt als Bundesaußenminister, Thomas Oppermann, der Fraktionschef, will als Niedersachse auch etwas werden. Ob da noch Raum bliebe für einen dritten Mann aus diesem Bundesland? Momentan kann Pistorius das egal sein, denn de facto ist er schon das Gesicht der sozialdemokratischen Innenpolitik. Ralf Jäger, sein Kollege aus NRW, galt früher lange Zeit als der stärkste der sozialdemokratischen Innenminister. Doch nach den Kölner Silvesterereignissen Anfang 2016 und den Ermittlungspannen im Fall Anis Amri ist Jäger angeschlagen, er wirkt zunehmend defensiv. Auch Pistorius hat daheim in Hannover Pannen zu verantworten, etwa im Fall Safia S. Doch das belastet ihn nicht annähernd so stark, wie Jäger wegen Anis Amri unter Druck steht – vielleicht auch, weil die Landtagswahl in NRW nahe liegt, die in Niedersachsen aber noch relativ weit weg. Und Pistorius schafft es im Gegensatz zu Jäger auch immer wieder, in die Offensive zu kommen.

Dass er nach der Festnahme der beiden Göttinger Gefährder, auf die kein Haftbefehl folgte, eine Abschiebung nach Paragraph 58 des Aufenthaltsgesetzes anordnete, war mutig. Es hätte schief gehen können, doch das Bundesverwaltungsgericht segnete seinen Weg ab. Seither ist Pistorius in der Fachwelt der Held, der juristisches Neuland betrat und siegte. Dass er öffentlich machte, wie der türkische Geheimdienst eine Liste regimekritischen Türken in Deutschland an die deutschen Behörden übergab, war auch mutig. Normalerweise gehört sich das im Umgang zwischen Nachrichtendiensten immerhin noch befreundeter Staaten nicht. Doch der instinktsichere Pistorius ahnte früh, dass die Türken hier viel zu weit gegangen waren und man darauf auf Distanz gehen musste. Nun wird  er auch hier für sein Vorpreschen gefeiert.

Ob er nun der Schatten-Bundesinnenminister der SPD wird oder nicht – auf jeden Fall zeigt Pistorius der deutschen Öffentlichkeit sein Politiktalent. Er sticht auch aus der niedersächsischen Landesregierung positiv hervor. Pistorius scheint ein Gen zu haben, das einst verbreitet war in der niedersächsischen Landespolitik: bei einem Ernst Albrecht, Gerhard Schröder, Christian Wulff, Sigmar Gabriel und Jürgen Trittin. All diese Politiker hatten stets den Ehrgeiz, auch bundesweit mit politischen Botschaften aufzufallen. Einige taten es, um irgendwann in der Bundespolitik Karriere zu machen. Wie auch immer ihre Motive waren, dieser Drang über den Rand der Landespolitik hinaus hat den Personen und der Politik nicht geschadet. Für wen trifft das neben Pistorius in der Landespolitik derzeit zu? Wohl auf niemanden. Ministerpräsident Stephan Weil und Wirtschaftsminister Olaf Lies haben gerade vergangene Woche, als auch sie bundesweit beeindrucken wollten, die Grenzen ihres Wirkens vor Augen geführt bekommen. Die vollmundigen Ankündigungen, die Pkw-Maut im Bundesrat aufhalten zu wollen, endeten für sie im Debakel – da die Bayern das Machtspiel in der Länderkammer offensichtlich wesentlich besser verstehen.