Die Zeiten waren schon mal besser für die Grünen, viel besser. In der Woche vor dem Landesparteitag am vergangenen Wochenende in Osnabrück häuften sich die schlechten Nachrichten. Am Montag gab es das Bund-Länder-Treffen in Berlin, dabei verständigten sich die Teilnehmer auf eine wesentliche Verschärfung des Asylrechts. Murrend tragen es die Grünen mit, wenigstens einige Teile davon. Geplant sind auch Kürzungen der Leistungen für Asylbewerber.

Die niedersächsischen Grünen haben sich zu einem Landesparteitag in Osnabrück getroffen. | Foto: Wallbaum

Am Mittwoch im Landtag erlebten die Grünen, wie Ministerpräsident Stephan Weil diese Verabredungen vehement verteidigte. Da gab es in der Debatte Szenen, in denen SPD, CDU und AfD Applaus spendeten – die Grünen aber reglos im Saal saßen. Derweil rückt ihr bisheriges Kernthema, der Klimaschutz, immer mehr in den Hintergrund, weil Hamas-Gewalt, Antisemitismus und Zuwanderung alles andere überlagern. Am Donnerstag schoss die SPD als Teil des rot-grünen Bündnisses der Landeshauptstadt gegen die verkehrspolitischen Pläne des grünen Oberbürgermeisters. Dann kam der Freitag, an dem die CDU im Nachbarland Hessen die zehnjährige Koalition mit den Grünen beendete zugunsten eines Bündnisses mit der SPD. Sind die Grünen, die vor zwei Jahren noch die Lieblingspartei in Deutschland war, jetzt auf dem Weg, ein Außenseiter zu werden?

„Wer in uns als Grüne den Hauptgegner sieht, dem sagen wir: Wir lassen uns nicht in eine Nische drängen.“

Omid Nouripour, Bundesvorsitzender der Grünen

Der Landesparteitag in der Osnabrücker Stadthalle ist so etwas wie ein Mutmacher-Treffen. Der Slogan lautet „HIER mit UNS“, das klingt schon wie der Ruf nach Aufmerksamkeit und Teilhabe. Als Hauptredner spricht der Bundesvorsitzende Omid Nouripour, und er erreicht sein Ziel, die Delegierten aufzurütteln und anzustacheln. Für ihn als Hesse, sagt er, sei die Nachricht über den Koalitionswechsel in Wiesbaden „nicht schön“ gewesen. Dann folgt ein Kernsatz an die Delegierten, und der wirkt fast beschwörend: „Wer in uns als Grüne den Hauptgegner sieht, dem sagen wir: Wir lassen uns nicht in eine Nische drängen.“

Omid Nouripour (rechts) spricht bei der Landesdelegiertenkonferenz. | Foto: Wallbaum

Am Ende von Nouripours Rede ertönt donnernder Applaus von den rund 200 Teilnehmern des Parteitags. Er ruft die Mitglieder der Partei dazu auf, sich angesichts der AfD-Höhenflüge in den Umfragen aufzuraffen und in den Wahlkämpfen nächstes Jahr in den neuen Ländern mitzuhelfen. „Die Verunsicherten brauchen von uns Orientierung. Ziehen wir los und weisen wir die Nazis zurück in ihre Löcher, denn da gehören sie hin!“ Da wird der Beifall so groß, dass die Worte des Bundesvorsitzenden fast darin untergehen. Als Nouripour von den „neuen Ländern“ sprach, hatte das Göttinger Grünen-Urgestein Jürgen Trittin das Wort „Dunkeldeutschland“ dazwischengerufen. Die Grünen spielen in den neuen Ländern, glaubt man den Umfragen, derzeit kaum noch eine Rolle. Dort ist es für die Partei also besonders dunkel.

Die Delegierten feiern die Rede von Omid Nouripour mit stehenden Ovationen. | Foto: Wallbaum

Die Rede von Nouripour ist aber nur eine von mehreren Therapien auf diesem zweitägigen Delegiertentreffen, mit denen die geschundene grüne Seele geheilt werden soll. Eine weitere ist das sogenannte „Wellness-Team“, das zu Beginn des Treffens vorgestellt wird: Sechs Grünen-Mitglieder, die besonders gekennzeichnet sind und sich zu Beginn auch gleich vorstellen. Ihre Aufgabe ist, Notfallsanitätern gleich, den Delegierten unterstützend zur Seite zu stehen. „Wenn sich jemand unwohl fühlt – ihr könnt Euch immer an mich wenden“, sagt einer von ihnen bei seiner Vorstellung. Die nächste Therapie ist die Generaldebatte zur einjährigen Beteiligung der Grünen an der Landesregierung. Die Diskussion steht unter der Überschrift „Grün macht den Unterschied“ – und damit ist die Zielrichtung schon vorgegeben. Mehrere Anwesende melden sich zu Wort, prominente und weniger prominente.

Umweltminister Christian Meyer verkündet, wie stark künftig der Ausbau der Windenergie im Lande vorankommt. Niedersachsen werde demnächst sogar die Parkplatz-Nachweispflicht bei Neubauten abschaffen, verkündet er. Der Entwurf der neuen Bauordnung sehe das vor. Der Wolfenbütteler Delegierte Leonhard Pröttel beschreibt, wie ermüdend jahrelang das Ringen um mehr Umweltschutz in der Kommunalpolitik gewesen sei: „Nun aber spielt die Klimaneutralität bei jedem Bauvorhaben eine wichtige Rolle. Allmählich werde ich mit dieser Arbeit glücklich.“ Alle Reden klingen freundlich und anerkennend.

Alaa Alhamwi und Greta Garlichs eröffnen den Parteitag in Osnabrück. | Foto: Wallbaum

Am stärksten reibt sich noch Felix Hötker von der Grünen Jugend (GJ) an der aktuellen Regierungspolitik der Grünen. Die Sparpolitik, meint er, „verstärkt die soziale Ungerechtigkeit“. 2024 müsse die Abschaffung der Schuldenbremse oben auf der Tagesordnung stehen – „und die Verteilungsfrage gehört ins Zentrum der Politik“. Die Grünen sollten daher die Gewerkschaften im Tarifstreit des öffentlichen Dienstes unterstützen. Applaus ertönt, Finanzminister Gerald Heere in der ersten Reihe klatscht nicht. Nach Hötkers Worten „bröckelt die gesellschaftliche Mehrheit für den Klimaschutz“, das liege daran, dass die soziale Frage nicht thematisiert werde. Später lässt er sich noch dazu hinreißen, Olaf Scholz einen „Abschiebekanzler“ zu nennen, und der sei „ein Gegner der Grünen“.

Jürgen Trittin (links) und Omid Nouripour hören in der Osnabrücker Stadthalle ihren Parteikollegen zu. | Foto: Wallbaum

Es gibt noch einen Feindbegriff bei diesem Parteitag: die „Groko“. Nouripour schimpft als erster darauf, als er die aktuelle Umorientierung der hessischen CDU zugunsten der SPD erwähnt. Die Grünen, meint er, seien doch nicht Schuld an den gegenwärtigen Krisen. „Das waren vielmehr die zahlreichen Grokos des Stillstands, die wir in den vergangenen Jahren erlebt haben.“ Die Osnabrücker Landrätin Anna Kebschull greift das auf. Sie schildert eine Albtraum-Vorstellung: „Die Menschen hängen sich an einen Baum, während unter ihnen das Wasser steigt. Sie glauben dann, dass der Klimawandel und die Energiewende einfach aufhören, wenn sie die Grünen zur Seite geschoben haben.“

Der Landesvorsitzende Alaa Alhamwi (rechts) spricht zu den Delegierten. | Foto: Wallbaum

Ein Thema, das gegenwärtig wie ein großer Schatten über allen politischen Veranstaltungen in Deutschland liegt, ist auch in Osnabrück ständig präsent – der Hamas-Angriff auf Israel. Der Vorsitzende Alhamwi, geboren in Damaskus, nennt den Antisemitismus „unerträglich“. Der Bundesvorsitzende Nouripour, geboren in Teheran, betont: „Unser Platz muss jetzt an der Seite Israels sein.“ Wer für Palästinenser demonstriere, müsse immer betonen, dass Hamas eben nicht unterstützt werden dürfe, denn das sei eine Terrororganisation.

Kultusministerin Julia Hamburg wiederholt das später noch einmal. Solche Sätze sind gerade bei den Grünen sehr bemerkenswert. Denn viele linke Gruppierungen, mit denen Politiker der Partei sympathisieren, ziehen keinen klaren Trennungsstrich zum linksorientierten Antisemitismus. Es war bisher immer die Linie der Grünen, sich im Zusammenhang mit der Ablehnung des Antisemitismus auch stets vom Rechtsextremismus scharf abzugrenzen. Ein Antrag zum Parteitag indes, der von mehreren linken Kräften der Partei unterstützt wird, unter anderem von Umweltminister Meyer und vom Göttinger Abgeordneten Michael Lühmann, zielt auf die Sicherung dieser gewohnten, im Selbstverständnis der Grünen fest verankerten Sichtweise. Darin heißt es, vom Rechtsextremismus gehe „die größte Bedrohung für die Demokratie“ aus. Mit großer Sorge werde gesehen, „dass die Welle antisemitischer Äußerungen, Aufmärsche und Übergriffe politisch dafür genutzt wird, um Ressentiments gegen Muslim*innen zu schüren und so zu tun, als sei der Antisemitismus immer nur der Antisemitismus der anderen.“ Das ist ein Ansatz, der im Unterschied zur Nouripour-Rede dann doch einen anderen Schwerpunkt hervorhebt.



Am Sonntag steht eine „migrationspolitische Debatte“ auf der Tagesordnung des Parteitags. Tatsächlich gibt es zum Leitantrag des Landesvorstandes einen Änderungsantrag der „Realos“, der auch von drei Landtagsabgeordneten unterstützt wird. Darin steht, dass das Asylrecht wichtig sei. „Wer aber ein besseres Leben sucht, so sehr es auch verständlich ist, der hat keinen Anspruch darauf, von uns aufgenommen zu werden.“ Die Parteitagsregie sorgt dann dafür, dass es zu keiner Debatte über diese These kommt – denn der Antragsteller zieht seinen Vorstoß am Sonntagmorgen plötzlich zurück. So taucht dieser Hinweis der Realos im endgültigen Beschluss nicht mehr auf. Stattdessen hält die Vorsitzende Greta Garlichs eine kurze Rede, in der sie betont, die Beschlüsse der Ministerpräsidentenkonferenz seien „teilweise kompletter Nonsens“. Auch darüber gibt es dann keine Debatte. Die früher so diskussionsfreudigen Grünen haben einmal mehr die innere Geschlossenheit über den Streit in der Sache gestellt.