…hat nun schon zum zweiten Mal in einem politisch höchst umstrittenen Punkt eine Festlegung getroffen – und damit für Aufsehen unter den politischen Entscheidungsträgern gesorgt. Es ging, wieder einmal, um eine Wahlanfechtung. Gemeint ist, dass Bürger sich beschwert haben und vor das Gericht gezogen sind, weil sie nach einer kommunalen Wahl der Meinung waren, nicht alles sei dort mit rechten Dingen zugegangen. Der Niedersachse der Woche heißt…

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…Sven-Marcus Süllow, ist 49 Jahre alt und arbeitet als Vorsitzender Richter beim Verwaltungsgericht Hannover. Das heißt: Noch arbeitet er dort, denn im Herbst soll Süllow seine neue Aufgabe antreten, er wird dann Richter am Bundesverwaltungsgericht in Leipzig. Nun kommt es nicht oft vor, dass vor Verwaltungsgerichten heikle politische Fragen ausführlich erörtert werden. Denn das Interesse richtet sich zumeist auf die zweite Instanz, das Oberverwaltungsgericht, oder gar auf die Bundesebene. Außerdem sind zur Klärung der wirklich hochumstrittenen, die Verfassungsorgane betreffenden Fragen die Verfassungsgerichte gefordert, in Niedersachsen also der Staatsgerichtshof in Bückeburg. Aber Süllow hatte jetzt Gelegenheit, in einer wohl einmaligen Situation eine Wegweisung zu geben – das geschah mit Blick auf die Stichwahl für das Amt des Landrats in Hameln. Süllow sagte:

Wenn es einen Wahlfehler gegeben haben sollte, wäre dieser jedenfalls nach unserer Einschätzung unvermeidbar gewesen.

Die Stichwahl für das Amt des Hamelner Landrats war am 5. April 2020, wenige Wochen nach Ausbruch der Corona-Pandemie mit den ersten, damals radikalen Schritten für eine Lockdown in Deutschland. Der erste Wahlgang war noch unter normalen Umständen gelaufen, und als Bewerber für die Endausscheidung standen Dirk Adomat (SPD) und Torsten Schulte (Grüne) fest, Adomat hatte vorn gelegen. Da inzwischen aber das oberste Gebot die Kontaktvermeidung war, entschied die Kreisverwaltung, die Stichwahl als verpflichtende Briefwahl zu organisieren – wer teilnehmen wollte, musste seinen Brief mit den Wahlunterlagen zuhause ausfüllen und zukleben, dann in den Briefkasten stecken oder im nächstgelegenen Rathaus abgeben.


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Am Ende lag Adomat mit 1226 Stimmen vor Schulte, und ein Bürger aus Hessisch Oldendorf, Bernard Heyen, legte nicht nur Widerspruch gegen das Wahlverfahren ein (was vom Kreistag mehrheitlich zurückgewiesen wurde), sondern zog auch noch mit einer Klage vor das Verwaltungsgericht. Sein Argument lautete: Als die Kreisverwaltung entschied, gab es im Kommunalwahlrecht noch gar keine Norm, die eine verpflichtende Briefwahl für derlei Fälle vorgesehen hätte – und das Infektionsschutzgesetz reiche seiner Meinung nach als Rechtsgrundlage nicht aus. Außerdem seien Analphabeten und Spontanwähler benachteiligt gewesen mit dieser Briefwahl. Im Übrigen sei die Gefahr einer Einflussnahme von Familienmitgliedern, Mitbewohnern oder Nachbarn groß, wenn man gezwungen werde, zuhause die Stimmzettel auszufüllen.

Abstrakte Möglichkeit der Manipulation reicht nicht

Richter Süllow setzte sich, ebenso wie seine zwei weiteren Berufsrichterinnen und zwei ehrenamtliche Richter, sehr ausführlich mit dem Thema auseinander. Den Hinweis auf die fehlende Rechtsgrundlage sah er als überzeugend an. Bei der Frage aber, ob bei der Zwangs-Briefwahl Wähler leichter beeinflusst werden konnten, gehen Gericht und Kläger auseinander. Süllow meinte, eine abstrakte Möglichkeit der Manipulation reiche für die Wahlanfechtung nicht aus, man brauche konkrete Anhaltspunkte. Die aber konnten der Kläger Bernard Heyen und sein Anwalt Jörn Hülsemann nicht liefern. Am Ende wurde die Klage abgewiesen.

Der Richter Süllow, der bereits vor fünf Jahren im Rechtsstreit um die Frage einer Wahlbeeinflussung vor der Wahl des Regionspräsidenten in Hannover ein Urteil sprechen musste, mag mit seinen Richterkollegen eine Entscheidung getroffen haben, die nicht jedermann gefällt. Aber er hat sich in einer ausgedehnten, vier Stunden dauernden Verhandlung sehr intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt.

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Und in der Tat sind die Einwände gegen die Briefwahl, dass der so wichtige Wahlakt einer geheimen Wahl von hoher Bedeutung ist und eigentlich als solcher geschützt werden muss, von großem Belang. Süllow ging nicht leichtfertig darüber hinweg, sondern begründete facettenreich, warum diese Gesichtspunkte jetzt nicht ins Gewicht fallen konnten. Er zeigte sich damit als ein Richter, der seine Verantwortung sehr ernst nimmt. Die Redaktion des Politikjournals Rundblick verleiht ihm dafür den Titel „Niedersachse der Woche“. Glückwunsch dazu!