Das Bundesverfassungsgericht hat in dieser Woche den Bundesinnenminister Horst Seehofer in seine Schranken gewiesen. Ein Interview des CSU-Politikers, in dem dieser die AfD als „staatszersetzend“ bezeichnete, hätte nicht auf die Internetseite des Ministeriums gestellt werden dürfen, befanden die Richter. Denn Amtsträger, zu denen ein Bundesminister zweifellos gehört, hätten bei parteipolitischen Äußerungen Zurückhaltung zu üben.


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Zurückhaltung im Zusammenhang mit der AfD? Das scheint ein Widerspruch in sich zu sein, auch im Landtag in Niedersachsen. Vor wenigen Wochen hatte der frühere Bundestagspräsident Norbert Lammert sich zu der Frage eingelassen, ob die Auseinandersetzungen in den Parlamenten seit dem Auftreten der AfD den Grad des Zulässigen und Zumutbaren überschritten hätten. Erleben wir eine Sprache im politischen Betrieb, die geeignet ist, die immer stärker Grenzen überschreitet und den nötigen gegenseitigen Respekt vermissen lässt? Ist das ein erster Schritt auf dem Weg dahin, das System als solches zu zerstören? Lammert betonte, in einer politischen Debatte müssten Standpunkte geklärt werden und dürfe nicht das Ziel verfolgt werden, den politischen Gegner als solchen herabzuwürdigen. Dieser Lammert-Maßstab kann ein geeignetes Beurteilungsinstrument auch für die Diskussionen im niedersächsischen Landtag sein.

Ein Blick in die vergangene Sitzungswoche von Ende Februar zeigt anhand der Sitzungsprotokolle, dass die Grenzen oft berührt oder überschritten wurden. In drei aktuellen Stunden – zum Attentäter von Hanau, zum rechtsextremen Terror und zur Ministerpräsidentenwahl in Thüringen – wurden in mehreren Fällen Behauptungen und Vorwürfe geäußert, die gelinde gesagt als „unparlamentarisch“ gelten können. Einen Ordnungsruf hat es an diesen beiden Tagen, an denen die fraglichen Debatten stattfanden, jedoch nur ein einziges Mal gegeben.

Hier die Fälle im Einzelnen:

Der Honecker-Vergleich: Die AfD hatte im Landtag eine Debatte beantragt zu der Frage, ob die Wahl des FDP-Abgeordneten Thomas Kemmerich zum neuen Ministerpräsident in Thüringen (mit den Stimmen der AfD-Abgeordneten in geheimer Wahl, obwohl die AfD zuvor einen eigenen Kandidaten ins Rennen geschickt hatte) ein Beispiel für ein „Demokratiedefizit“ war. Die AfD-Fraktionsvorsitzende Dana Guth wollte in der Landtagsdebatte ausdrücken, dass die Wahl von Kemmerich absolut normal sei, die Unterstützung der AfD-Abgeordneten für Kemmerich ebenso. Der „Skandal“ habe vielmehr darin bestanden, dass sich Kanzlerin Angela Merkel aus dem Ausland gemeldet und verlangt habe, man müsse die Ereignisse in Thüringen „rückgängig machen“. Guth sagte im Landtag: „Die Staatsratsvorsitzende – Verzeihung – die Bundeskanzlerin…“ Daraufhin unterbrach Landtagspräsidentin Gabriele Andretta die Rednerin und erklärte: „Frau Guth, für diese despektierliche Bemerkung erteile ich ihnen einen Ordnungsruf.“ Guth hatte allein mit der Bezeichnung die Kanzlerin auf eine Stufe gestellt mit dem Diktator in der DDR, den Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker.

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Der Goebbels-Vergleich: Der FDP-Politiker Christian Grascha setzte sich mit dem Verhalten der Thüringer AfD im Landtag auseinander. Sie habe erst vorgetäuscht, ihren eigenen Kandidaten zum Ministerpräsidenten zu wählen – und dann im dritten Wahlgang überraschend entschieden, nicht ihm, sondern dem FDP-Bewerber Kemmerich die Stimmen zu geben. Damit sorgte die AfD dafür, dass Kemmerich eine Mehrheit bekam, die AfD, die unter Führung von Björn Höcke das politische System massiv attackiert, hatte sich als Mehrheitsbeschaffer für den neuen Regierungschef gebärdet – sehr zur Überraschung des Siegers Kemmerich. Grascha zitierte im Landtag eine Rede des NS-Strategen und späteren Propagandaministers Joseph Goebbels, der 1928 erklärt hatte, die NSDAP gehe in die Parlamente und besorge sich dort „deren eigene Waffen“, um das System anschließend mit diesen Waffen lahmzulegen. Grascha gab wieder, was jüngst der Publizist Reitzenstein zum Vergleich von Goebbels‘ Strategie und den Ereignissen in Erfurt meinte. Dann fügte der FDP-Abgeordnete hinzu: „Was heißt das aber jetzt im Klartext? Im Klartext heißt das: Die AfD bedient sich des gleichen Werkzeugkastens wie Joseph Goebbels. Das darf eine wehrhafte Demokratie nicht durchgehen lassen.“ Landtagspräsidentin Andretta verzichtete auf einen Ordnungsruf, meinte aber: „Herr Kollege Grascha, auch diese Bemerkung dieser Vergleich war sehr an der Grenze.“

Der Psychopathen-Vergleich: In der Februar-Plenarwoche des Landtags ging es auch um die Morde von Hanau. Dort hatte ein offenbar psychisch gestörter Täter, der sich rechtsextreme Verschwörungstheorien angeeignet hatte und als Rassist galt, zehn Menschen ermordet. In einer von den Grünen dazu beantragten Parlamentsdebatte wandte sich Innenminister Boris Pistorius (SPD) in einer längeren Passage an den Innenpolitiker der AfD, den Abgeordneten Jens Ahrends. Er knüpfte an die Debatte des Vortags an, in der AfD-Abgeordnete wiederholt auf die psychische Störung des Attentäters hingewiesen hatten. Ja, meinte Pistorius, der Täter sei psychisch gestört gewesen. Aber er habe vor seiner Tat ein Manifest verfasst, darin vom „Austausch der Völker gefaselt“ und dies sei doch nichts anderes, als wenn „Sie“ (Pistorius meinte unzweifelhaft die niedersächsischen AfD-Vertreter) „von Bevölkerungsaustausch schwadronieren“. Pistorius fügte fragend hinzu: „Das ist doch die Diktion, die Sie verwenden?“ Dann fügte der Innenminister noch eine Zuspitzung an: „Also müsste man doch schon fast die Frage stellen: Wer ist hier eigentlich noch alles psychisch gestört?“ Aus der AfD-Fraktion ertönte darauf der Zwischenruf „unglaublich!“, doch der Leiter der Sitzung, Landtagsvizepräsident Frank Oesterhelweg (CDU), verzichtete auf eine Intervention. (kw)