Eigentlich ist Deutschland noch glimpflich durch die kalten Monate gekommen. Denn sowohl der wirklich kalte Winter als auch ein angekündigter, von Aufständen gekennzeichneter „heiße Herbst“ blieben aus. Aber nicht nur deshalb konnten die Diakonie und die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) gestern eine positive Bilanz ihrer Aktion „Wärmewinter“ ziehen. Im vergangenen Herbst haben die beiden Institutionen wegen der hohen Belastung vieler Menschen durch die gestiegenen Energie- und Lebensmittelpreise die Aktion ausgerufen, unter deren Schlagwort inzwischen im ganzen Land hunderte diakonische Angebote auf die Beine gestellt worden sind. Dazu zählten Nacht-Cafés, Suppenküchen, Energieberatungen oder offene Kirchen, in denen es warm war und Gesprächs- und Hilfsangebote gemacht wurden.

Die Lutherkirche in Hannovers Nordstadt war einer von mehreren Orten in Hannover, an denen man sich im Winter aufwärmen konnte – physisch und emotional. | Foto: Kleinwächter

Wie viele Angebote es nun genau waren, konnten die EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus und Diakonie-Chef Ulrich Lilie bei der Pressekonferenz in der Luther-Kirche in Hannovers Nordstadt allerdings nicht sagen. Verlässliche Zahlen zu Angebot und Nachfrage liegen zumindest zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht vor. Und einiges von dem, was unter dem Hashtag „Wärmewinter“ öffentlich gemacht wurde, zählte längst zum alltäglichen Geschäft von Kirche und Diakonie. Es sei nicht alles neu entstanden, aber vieles von dem, was es schon gab, sei sichtbar geworden, sagte Kurschus.

Mit Herzenswärme gegen Zeit der Ellenbogen

Doch in Zahlen lässt sich der Gewinn für die beiden Einrichtungen wohl auch nicht messen. Worum es Kurschus und Lilie wirklich ging, war ihren Ausführungen zufolge das Zeichen, das sie mit dieser Aktion setzen wollten. Entstanden sei die Idee aus einem kurzen Telefonat der beiden, berichtete Kurschus. Anschließend sei durch „scheinbar schlichte und selbstverständliche“ Angebote ein „warmer Wind“ durch die Gesellschaft gegangen, in der ihr zufolge ein „kühles und tristes“ Klima herrsche. Dem Gebot der Nächstenliebe folgend habe man sich den Menschen zugewandt, die immer der Schattenseite des Lebens angehörten.


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Kirche und Diakonie sei es gelungen, „Herzenswärme spürbar werden zu lassen“ in einer „Zeit der Ellenbogen“. Auf Nachfrage führte Kurschus aus, dass sich das gesellschaftliche Klima in ihrer Wahrnehmung abgekühlt habe durch eine Aneinanderreihung von Krisen, angefangen mit der Corona-Pandemie, gefolgt von der Ahr-Flut bis hin zum Krieg in der Ukraine. „Viele Sicherheiten und Gewissheiten“ seien in den vergangenen Jahren verlorengegangen, weshalb „jeder sehr stark mit sich selbst beschäftigt ist“.

Sehr zufrieden mit ihrer Aktion: Hannovers Stadtsuperintendent Rainer Müller-Brandes und sein Diakoniepastor Friedhelm Feldkamp, die EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus sowie Ulrich Lilie, der Präsident der Diakonie Deutschland. | Foto: Kleinwächter

Diakonie-Chef Lilie ergänzte, dass die deutsche Gesellschaft nicht nur älter, sondern auch vielfältiger werde, was zu neuen Spannungen führen könne. Die Aufgabe von Kirche und Diakonie sei es deshalb, eine „Kultur der sozialen Gegenseitigkeit“ zu schaffen. Die Aktion „Wärmewinter“ habe nun auf eindrucksvolle Weise gezeigt, wie das gelingen könne. Dabei sei vielerorts das, was in akademischen Diskussionen als „Sozialraumorientierung“ bezeichnet wird, in die Praxis umgesetzt worden: Die Kirchen haben ihre Türen geöffnet und die Diakonie hat größtenteils mit ihrem vorhandenen Personal, ergänzt um kirchliche Haupt- und Ehrenamtliche, Angebote gemacht, die die Menschen in der Nachbarschaft tatsächlich gebraucht haben. „Es tut den Kirchengemeinden gut, die Tür aufzumachen“, sagte er.



Ein Erfolg sei es auch, dass Kirche und Diakonie damit ein Stück weit näher zueinander gefunden hätten. Lilie sieht darin ein Beispiel für das, was die viel diskutierte Kirche der Zukunft sein könnte: eine diakonische Kirche, die nah bei den Menschen ist. Damit würde die Institution zudem eine Teil-Antwort auf den sich verschärfenden Pflegenotstand geben. Im „Wärmewinter“ sei das neue Modell der „Caring Communities“, also der sich kümmernden Gemeinschaften erkennbar, in denen das Potenzial von Zivilgesellschaft, Digitalität und Fachkräften gemeinsam genutzt werde.

Diakonie und Kirche sind stolz auf engmaschiges Netzwerk

Auch die Diakonie Niedersachsen zieht eine positive Bilanz der Aktion. „Der Wärmewinter hat das soziale Netzwerk in Niedersachsen gestärkt und wichtige Impulse der christlichen Nächstenliebe gesetzt. Menschen haben konkrete Hilfe erhalten und Gesprächsangebote gefunden“, sagte Niedersachsens Diakonie-Chef Hans-Joachim Lenke. Zweimal 2,5 Millionen Euro wurden im Bereich der Landeskirche Hannovers, die einen Großteil Niedersachsens abdeckt, für die Angebote bereitgestellt. Wie viele Mittel davon tatsächlich abgerufen wurden, könne man erst im Sommer sagen, erklärte Diakonie-Pressesprecherin Ulrike Single. Die niedersächsischen Projekte reichten von warmen Mahlzeiten bis zu einem Energiefonds, den die Diakonie in Osterholz-Scharmbeck eingerichtet hat.

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Für den Bereich der Landeshauptstadt Hannover schilderte Stadtsuperintendent Rainer Müller-Brandes, dass die zahlreichen „Wärmeinseln“ und weitere Angebote von täglich bis zu 30 Personen angesteuert worden seien. Für den nächsten Winter sei man nun vorbereitet und mit den Partnern der Stadtgesellschaft gut vernetzt – „die Netze sind geknüpft“, sagte Müller-Brandes und Hannovers Diakonie-Pastor Friedhelm Feldkamp ergänzte: „Da lag echt Segen drauf und liegt es noch.“