Die Imam-Ausbildung in Osnabrück läuft gut an – aber große Verbände sperren sich
Im Juni hat in Osnabrück die erste Ausbildungsstätte eröffnet, in der sich islamische Theologinnen und Theologen in deutscher Sprache für die Gemeindearbeit qualifizieren können. Auf das Islamkolleg Deutschland richten sich große Hoffnungen: Imame und Seelsorgerinnen aus Osnabrück sollen die Integration von Muslimen stärken, Radikalisierung verhindern und Brücken zur Mehrheitsgesellschaft bauen. Aber: Ausgerechnet die großen, finanzstarken Islamverbände wollen die Absolventen gar nicht einstellen.
„Die Gemeinde ist stolz auf uns“, sagt Efdal Nur Tugrul. Ihre Vorträge über theologische Themen kommen gut an. Die Mädchen der Islamischen Gemeinschaft der Jama’at un Nur in Hannover nennen sie respektvoll „Hodscha Efdal“, Lehrerin Efdal. Sie unterrichtet sie in Religion, macht Ausflüge und feiert Feste mit ihnen. Die junge Frau gehört gemeinsam mit einer Freundin aus ihrer Gemeinde zu den ersten Bachelor-Absolventinnen in Islamischer Theologie an der Universität Osnabrück. Doch sie sagt: „Die Moschee kann mir keine Arbeitsstelle anbieten. So sehr es meine Gemeinde ist – ehrenamtlich zu arbeiten reicht mir nicht.“
Deswegen hat sich Efdal Nur Tugrul entschlossen, den Masterabschluss lieber im religionsübergreifenden Studiengang „Theologie und Kultur“ zu machen und eine Wissenschaftskarriere anzustreben. Viele ihrer Kommilitonen sind in einen Lehramtsstudiengang gewechselt. Mit großen Hoffnungen waren die jungen Muslime in das Studium gestartet, das seit 2011 angeboten wird. „Deutschland wartet auf euch – macht so schnell wie möglich euren Abschluss, hat man uns gesagt“, erinnert sich Efdal Nur Tugrul. Zwei Jahre später war davon keine Rede mehr.
„Das größte Problem ist die Bezahlung.“
Esnaf Begic kennt die Problematik. Er lehrt Islamische Theologie an der Universität Osnabrück und ist ehrenamtlicher Gründungsdirektor des Islamkolleg Deutschland. Hier absolvieren die ersten 20 Theologen eine grundständige Ausbildung, die sie befähigen soll, in einer Moscheegemeinde praktisch zu arbeiten, vergleichbar mit den Priester- und Predigerseminaren der Kirchen. Ein weiterer Ausbildungsgang soll hinzukommen, der speziell für die Seelsorge qualifiziert, etwa im Krankenhaus, im Gefängnis oder bei der Bundeswehr. Auch Begic weiß: „Das größte Problem ist die Bezahlung.“
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Überlegungen gibt es, hier Abhilfe zu schaffen, doch das ist noch Zukunftsmusik: Begic kann sich vorstellen, dass Gemeinden mit Trägern politischer Bildung kooperieren. Es gibt Verhandlungen mit Justizministerien darüber, ob muslimische Gefängnisseelsorger ein Honorar vom Staat bekommen können. Das Islamkolleg, in dessen Kuratorium unter anderem Bundespräsident a.D. Christian Wulf und Politiker von Grünen, SPD und FDP sitzen, fährt hier auf Sicht: Erstmal machen, dann ergeben sich die nächsten Schritte. Begic blickt auf das bisher Erreichte – mit enormem ehrenamtlichem Engagement der beteiligten Wissenschaftler, mit 5 Millionen Euro Förderung vom Bundesinnenministerium und 450.000 Euro vom niedersächsischen Kultusministerium, die bis 2025 zugesagt sind. „Ich habe gelernt, dass sich Dinge in kürzester Zeit ändern können“, sagt Begic – „zum Positiven wie zum Negativen“.
Dabei gebe es inzwischen das Potential in der muslimischen Community, das theologische Personal angemessen zu bezahlen, meint Recep Bilgen, Vorsitzender des islamischen Dachverbandes Schura Niedersachsen. Nur: Dieses Potential konzentriert sich in den großen islamischen Verbänden, und die beteiligen sich nicht am Islamkolleg. Die unterschiedlichen Traditionen dieser Verbände wurzeln tief in der Religionsgeschichte der Türkei. Die Konfliktlinien zwischen dem türkischen Staat und muslimischen Bewegungen ziehen sich durch fast 100 Jahre.
Inzwischen haben mehrere Verbände in Deutschland ihre eigenen Ausbildungsstätten gegründet: der Verband Islamischer Kulturzentren (VIKZ) bereits in den 1980er Jahren, die Islamische Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) 2014 in Mainz und Ditib 2020 in Dahlem/Eifel. Hier wird überall zumindest teilweise in türkischer Sprache unterrichtet. Außerdem kündigt Bilgen an, dass die Schuren von fünf Bundesländern künftig einen verbandsübergreifenden Ausbildungsgang anbieten werden: „Wir sind dabei, Personal zu rekrutieren.“
„Schura und Ditib waren von Anfang an außen vor.“
Das Bild vom Imam, der aus der Türkei importiert wird und die deutsche Sprache und Kultur nicht kennt, gehöre inzwischen der Vergangenheit an, meint Bilgen. „Das war aus der Not geboren. Die Gemeinden waren damit nicht glücklich.“ In den 16 niedersächsischen Gemeinden seines eigenen Verbandes, der IGMG, seien inzwischen fast alle Imame in Deutschland ausgebildet. „Unsere Kritik richtet sich nicht gegen das Institut oder die Personen in Osnabrück“, sagt der Schura-Vorsitzende. „Aber die Gründung ist ein Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften.“
Er kritisiert, dass im Kuratorium keine Islamverbände vertreten sind – auch die kleinen Verbände nicht, die das Islamkolleg unterstützen. Sein Verdacht: Hinter dem Versuch, einen „deutschen Islam“ zu etablieren, verbirgt sich Kritik an dem, was Generationen zugewanderter Muslime aufgebaut haben. „Schura und Ditib waren von Anfang an außen vor“, beklagt Bilgen. Aber: „Wären wir eingeladen worden, hätten wir mitgemacht.“ Eine Schutzbehauptung der großen Verbände, kontert Direktor Esnaf Begic. „Wir haben unser Projekt in der Islamkonferenz vorgestellt“, sagt er. Deutlich habe er die Leiterin des Ditib-Kollegs im Ohr, die sagte, es gebe keinen Bedarf für ein Islamkolleg Deutschland.
Mohammad Afzal Qureshi, Leiter der Ummah-Moschee in Hannover, sieht das ganz anders: „Natürlich würden wir einen Imam aus Osnabrück einstellen, wenn wir nicht schon einen hätten.“ Seine Gemeinde ist eine der bundesweit etwa 400 bis 500 Moscheen, die keinem der großen, türkisch geprägten Verbände angehören. „Unser Imam ist in Deutschland aufgewachsen und hat in Südafrika studiert“, erzählt er. „Er ist eine Bereicherung für uns.“ In den islamischen Ländern, erklärt Qureshi, ist die Funktion des Imams auf den religiösen Bereich beschränkt.
In der Diaspora jedoch sei er Integrations- und Vaterfigur, Ansprechperson für Probleme, der Mann für alles. Jedoch kann auch die Ummah-Gemeinde ihrem Imam kein Akademikergehalt bezahlen. 2000 Euro brutto im Monat sind drin. Dazu kommen vielleicht noch Geschenke von Hochzeitspaaren oder Hinterbliebenen oder Kurshonorare. „Der Wunsch, der Gemeinde zu dienen, ist Voraussetzung für den Beruf“, erklärt Qureshi. „Ein Imam kann nicht reich werden, aber glücklich.“ Seinen eigenen Enkeln, verrät er, hat er geraten, lieber etwas anderes zu studieren.
Die junge Theologin Efdal Nur Tugrul hätte einen Wunsch: „Die Politik und die Moscheegemeinden brauchen einander“, meint sie. „Wir leisten so viel Integrationsarbeit für die Gesellschaft. Ich wünschte, die Politik würde mir mit einer beruflichen Perspektive unter die Arme greifen.“
Von Anne Beelte-Altwig