Die Überläuferin Elke Twesten, das neueste und derzeit bundesweit wohl bekannteste Mitglied der CDU im niedersächsischen Landtag, hat in der Mitte der Fraktion ihren neuen Platz gefunden – eingekeilt von vier Altvorderen. Neben ihr sitzen die ehemaligen Minister Heiner Ehlen zur Rechten und Uwe Schünemann zur Linken, vor ihr Stephan Siemer (Vechta) und hinter ihr Ingrid Klopp (Gifhorn), alles erfahrene Hasen im Politikgeschäft. Als die Vier am Donnerstag zum Auftakt der Parlamentssondersitzung ihre Plätze einnehmen, wirken sie wie ein Bollwerk gegen drohende Angriffe auf den Neuzugang. Das wird, wie sich später zeigt, auch nötig sein.

Denn die Debatte über die vorzeitige Auflösung des Landtags, die wenig später losgeht, wird tatsächlich auch zur Abrechnung mit Twesten genutzt, genauer mit ihrer Entscheidung, nach dem Übertritt von den Grünen zur CDU auch ihr Mandat zu behalten – und damit die rot-grüne Mehrheit zum Einsturz zu bringen. Im Ergebnis von Twestens Verhalten werden die Landtagswahlen ein Vierteljahr vorgezogen, und der Abgeordneten, bisher Hinterbänklerin aus dem Kreis Rotenburg, beschert das schlagartig überregionale Bekanntheit. Eine Zeitlang war sie jeden Abend in der Tagesschau. Die drei Redner der bisherigen rot-grünen Mehrheitskoalition, Johanne Modder (SPD), Anja Piel (Grüne) und Ministerpräsident Stephan Weil (SPD), arbeiten sich über weite Teile ihrer Reden an Twesten ab – allerdings in unterschiedlicher Intensität und Schärfe.

Zunächst wendet sich Modder, die Vorsitzende der SPD-Fraktion, direkt Twesten zu, mit grimmigem Blick schaut sie zu ihr hinüber. „Sie haben tatsächlich ihren inneren moralischen Kompass verloren“, ruft sie und fordert nicht ganz verfassungsgemäß eine enge Bindung der Parlamentarier an ihre jeweilige Partei: „Sie sitzen in diesem Parlament, um die Inhalte der Partei Bündnis 90/Die Grünen zu vertreten.“ Modder stellt Twestens Gewissensentscheidung in Frage, spricht wenig konkret von „anderen Faktoren, die eine entscheidende Rolle gespielt haben“ und hält ihr „schieren Eigennutz“ vor. Damit habe sie „der Demokratie in diesem Land einen ernsthaften Schaden zugefügt“. Rhythmisches Dauerklatschen der SPD-Fraktion unterstützt diesen Angriff. Modder fragt nach dem „Preis“ für Twestens Wechsel, nennt das Verhalten der CDU, die Abgeordnete aufgenommen zu haben, „schlicht unanständig“ und schließt mit der Bemerkung, die Christdemokraten würden dafür „einen Denkzettel bekommen“. Anja Piel, die Grünen-Fraktionschefin, zweifelt stark am „Wechsel der Gesinnung“, denn noch Mitte Juni, vor wenigen Wochen, habe Twesten doch in einem Zeitungsbeitrag ihre bisherige Partei, die Grünen, mit Lobeshymnen überhäuft. Ministerpräsident Weil, der dritte rot-grüne Redner, greift ziemlich zum Ende der Debatte noch einmal Modders Beitrag auf, wiederholt deren Positionen mit seinen eigenen Worten und berichtet, dass viele Menschen den Wechsel von Twesten nicht verstünden – „das ist schädlich für die Demokratie, davon bin ich absolut überzeugt“. Weil fordert „ein Votum des Wählers“ und tut so, als hätten sich CDU und FDP mit ihrer neuen Landtagsmehrheit seine rot-grüne Regierung beiseitegeschoben oder ihm die Macht entrissen, was ja gerade nicht geschehen ist. Dass auch Christ- und Freidemokraten für sofortige Neuwahlen eingetreten waren und sogar für einen früheren Wahltermin als SPD und Grüne plädierten, wird von Weil nicht erwähnt.

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Doch der Ministerpräsident selbst gerät sodann ins Visier der Oppositionsredner. Björn Thümler (CDU) spricht von Unterrichtsausfall und 40 noch unerledigten, von der Staatskanzlei handwerklich schlecht vorbereiteten Gesetzesvorhaben. Mangelnde Steuerung und fehlende Koordination zeichneten diese Regierung aus. „Ihre Koalition ist längst vor dem schwarzen Freitag am 4. August ins Straucheln geraten.“ Für die „Klimavergiftung“ seien allein die Sozialdemokraten verantwortlich, die mit haltlosen Unterstellungen über die angebliche Käuflichkeit von Twesten den Boden für abgründige Kommentare in sozialen Netzwerken bereitet hätten. FDP-Chef Stefan Birkner geht noch weiter: „Herr Weil, Sie sind gescheitert an sich selbst, nicht an Elke Twesten!“ Es werde dem Ministerpräsidenten nicht gelingen, „sich als bemitleidenswertes Opfer zu präsentieren“. Dies sei „Ausdruck von Schwäche, denn Sie wollen von ihrer mageren Regierungsbilanz ablenken“. Die SPD solle „von ihrem hohen Ross herunterkommen und aufhören, bestimmen zu wollen, was moralisch richtig ist“, fordert Birkner, begleitet von Zwischenrufen aus der SPD. Nach dem Ministerpräsidenten geht auch CDU-Fraktionsgeschäftsführer Jens Nacke ans Rednerpult. Wenn Elke Twesten in sozialen Netzwerken persönlich beleidigt werde, wenn man ihr dort den Tod wünsche, sexuelle Anspielungen geäußert werden oder es heiße, man wolle sie „in die Gaskammer schicken“, dann müsse Weil klar Position beziehen, fordert Nacke: „Dann darf der Ministerpräsident nicht verharmlosend von einer ,Welle der Empörung‘ reden oder Verschwörungstheorien pflegen.“

Weil hatte in seiner Rede zum Ende eine Art persönlicher Schlussbilanz gezogen: 2013 habe er erstmals an einer Landtagssitzung teilgenommen, seither verfolge er „mit Unverständnis, mit welcher Härte die Auseinandersetzung hier geführt wird“. Die „letzten Tage“, fügt er hinzu, habe er „durchaus als einen Tiefpunkt erfahren“. (kw)