„Es wurde eine Landeszuwendung bis zur Höhe von 444.571,20 Euro an eine juristische Person des privaten Rechts bewilligt“, hieß es im März in einer Antwort des Sozialministeriums an die Grünen-Abgeordneten Belit Onay und Anja Piel. Formal war diese Antwort erst einmal korrekt, allerdings vergaß das Ministerium offenbar zu erwähnen, dass bei der Vergabe, in der es um den Aufbau eines Dolmetscherpools ging, im Sommer vergangenen Jahres etwas schiefgelaufen war. Denn ein richtiges Bewerberverfahren hatte es nach Einschätzung der Rechtsabteilung wohl doch nicht gegeben. Der Einspruch kam allerdings zu spät, das Ministerium versuchte, den Fehler still und heimlich zu beheben. Aber mit still und heimlich ist es spätestens nach einem Rundblick-Bericht, der vor zwei Wochen erschien, vorbei. Am Donnerstag soll die Landesregierung im Sozialausschuss des Landtags über die Vergabepanne unterrichten.

Inzwischen droht der Gewinner des damaligen Verfahrens zum Verlierer zu werden. Ramazan Salman, Geschäftsführer des Ethno-Medizinisches Zentrums (EMZ), hatte damals den Zuschlag bekommen und hat mit dem Geld inzwischen acht halbe Stellen geschaffen. Denn das EMZ hat das Land in acht Bezirke eingeteilt, landesweit sollen so mehr Dolmetscherleistungen möglich sein. Salman arbeitet dabei vor Ort auch mit Partnern zusammen, wie dem DRK, der Volkshochschule im Heidekreis oder den Integrationslotsen in Cloppenburg. In acht Schulungen seien bereits 180 Dolmetscher qualifiziert worden. Zugleich habe man damit begonnen, eine Telefonanlage einzurichten, um auch telefonisch Dolmetscherdienste in Niedersachsen anzubieten. Das ist allerdings komplex, denn es müsse nicht nur technisch sichergestellt werden, dass eine qualifizierte Übersetzung möglich ist, sondern zum Beispiel auch die Dauer belegbar gemessen werden, um den Service am Ende abrechnen zu können. Noch sei man bei der Programmierarbeit, drei Viertel der Arbeit seien bereits getan. Salmans Projekt, das wissenschaftlich begleitet wird, war deshalb auch auf zwei Jahre angelegt. Das Ministerium hat das Projekt jetzt aber erst einmal auf den 30. November begrenzt. Wie es weitergeht, weiß man noch nicht.


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„Bei einem Stopp des Projekts wäre das Geld verbrannt“, sagt Salman im Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick. Er ist über den Verlauf nicht besonders glücklich. „Wir haben damals ein Angebot unterbreitet, das sich explizit auf eine landesweite Versorgung bezog. Und wir haben einen regulären Zuwendungsbescheid bekommen.“ Jetzt brauche das EMZ Sicherheit darüber, wie es weitergehen soll. „Wir brauchen Vertrauensschutz, schließlich haben wir uns an die Regeln gehalten.“ Ein neues Vergabeverfahren, gerne auch mit externen Gutachtern, bereite ihm allerdings keine Sorgen. Salman verweist auf die jahrzehntelange Expertise des EMZ sowie die Erfahrungen, die mit dem Projekt inzwischen gemacht worden sind. Aktuell decke man landesweit 33 sprachen ab, in Hannover, wo das Institut wichtigster Vertreter im Dolmetschermarkt sei, seien es über 50.

Wichtig sei, dass die Unterstützung für ein landesweites Netz von Dolmetschern auf jeden Fall weiterläuft, meint auch Belit Onay, Landtagsabgeordneter der Grünen. Der Bedarf an Dolmetschern in Niedersachsen sei groß. Sowohl Onay als auch Salman sind der Meinung, dass nicht nur Niedersachsen, sondern Deutschland beim Dolmetschen Nachholbedarf hat. Es fehle an einheitlichen Qualitätsstandards und einheitlichen Honoraren. Wo gibt es viele und wo wenige Angebote? Was kostet der Dienst vor Ort? Was das Dolmetschen an betrifft, ist Deutschland nach wie vor ein Flickenteppich. Besser machen es Salman zufolge die Niederlande. Hier seien einheitliche Standards und Preise für den Einsatz von Dolmetschern im Sozial- und Gesundheitswesen sowie der öffentlichen Verwaltung gesetzlich geregelt. „Es ist richtig, dass der Staat das organisiert. Jeder hat das Recht, verstanden zu werden“, so Salman. Für Onay machen die Probleme im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge deutlich, wie dringend nötig Qualitätsstandards seien. Schließlich habe die Behörde immer wieder Schwierigkeiten mit der Qualität der Dolmetscher gehabt. „Es dürfen eben keine politischen Interessen des Dolmetschers im Spiel sein und die bedeutsamen Fakten müssen exakt wiedergegeben werden.“ Das Projekt in Niedersachsen wäre Onay zufolge ein guter Anfang und müsse allein schon deshalb weitergeführt werden.

Salman spricht von einer Mission, wenn er über seine Integrationsarbeit spricht, die er seit Jahrzehnten betreibt. „Wir wollten gesellschaftlichen Frieden. Und Frieden kann man nicht herstellen, wenn man sich nicht verständigen kann.“ Deshalb sei das Dolmetschen ein wichtiger Bestandteil. „Es gibt Migranten, die kein Deutsch sprechen und dennoch große Unternehmen leiten. Es ist noch keine Integration, wenn alle Deutsch können.“ Der Dolmetscher müsse dabei seine Rolle sauber definieren. Es brauche ethische Grundsätze und Distanzierungsregeln. „Er muss im Zweifel die Ablehnung eines Asylantrags übersetzen. Oder seine Hilfe wird beim Arzt benötigt, wenn zum Beispiel eine Migrantin ungewollt schwanger ist. Dann können nicht Bruder oder Vater übersetzen. Deshalb brauchen wir Menschen, die professionell dolmetschen können.“ (MB.)