Die frühere SPD-Landtagsabgeordnete Kathrin Wahlmann aus Hasbergen bei Osnabrück schlägt radikale Reformen der parlamentarischen Regeln in Niedersachsen an: Warum, fragt sie, gibt es noch keine Elternzeit für Abgeordnete? Warum können sich nicht zwei Politiker ein Landtagsmandat teilen? Und wäre es vielleicht sinnvoll, aus jedem Wahlkreis einen Mann und eine Frau als Abgeordnete in den Landtag zu entsenden? Sie äußerte sich im Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick.

Rundblick: Frau Wahlmann, sie schlagen vor, die Elternzeit für niedersächsische Landtagsabgeordnete einzuführen. Wie sind Sie darauf gekommen?

Wahlmann: Als ich 2014 mein zweites Kind bekommen habe, musste ich längere Zeit dem Landtagsbetrieb fern bleiben. Da habe ich gemerkt: Es gibt gar keine Regelung für diese Fälle, wenn ein Abgeordneter seine Arbeit nicht machen kann, auch wenn er beispielsweise erkrankt ist. Das finde ich unbefriedigend. Deshalb will ich nun der Sache mal auf den Grund gehen und prüfen, was möglich und rechtlich vertretbar ist. Dabei treten dann grundsätzliche verfassungsrechtliche Probleme auf.

Seit dieser Legislaturperiode nicht mehr im Landtag: Kathrin Wahlmann

Rundblick: Was meinen Sie genau?

Wahlmann: Es geht um die Frage, ob man aus Anlass der Geburt eines Kindes für vier bis sechs Monate – etwa für eine Art Elternzeit – mit dem Mandat aussetzen kann. Da stellen sich Anschlussfragen: Wenn es im Landtag knappe Mehrheiten gibt, wie etwa zwischen 2013 und 2017, dann darf ein solches Aussetzen nicht zur Änderung der Mehrheitsverhältnisse führen – man müsste also von der jeweiligen Gegenseite verlangen, dass auch ein Abgeordneter für diese Zeit sein Mandat ruhen lässt. Bislang passiert das, etwa bei Erkrankungen, nur auf der Basis freiwilliger Vereinbarungen. Wenn man aber diese Pairing-Regeln nicht verankern will, käme die Frage von Nachrückern in Betracht.

Rundblick: Also die Möglichkeit, dass der nächste auf der Landesliste in den Landtag  kommt – und zwar befristet für die Zeit, in der der ursprünglich gewählte Abgeordnete das Mandat nicht ausübt. Das Problem dabei dürfte doch sein, dass der Nachrücker das Mandat bei Ende der Abwesenheit des ursprünglichen Abgeordneten wieder zurückgeben muss. Laut Verfassung unterliegt der Abgeordnete aber keinen Weisungen – könnte also auch nicht gezwungen werden, ein einmal errungenes Mandat wieder aufzugeben…

Wahlmann: Jein. Der Nachrücker würde sein Mandat nach meinem Vorschlag nicht aktiv zurückgeben, sondern gesetzlich oder verfassungsrechtlich geregelt automatisch aus dem Parlament ausscheiden. Ähnlich wie beim Ende der Legislaturperiode. Man müsste dafür eine besondere Regelung schaffen. Interessant ist, dass es in Hamburg und Bremen schon ähnliche Verfahren gibt. Wenn dort jemand Senator wird, ruht für die Zeit der Mitgliedschaft in der Stadtregierung sein Mandat in der Bürgerschaft. Scheidet er als Senator aus, so hat er ein Rückkehrrecht ins Stadtparlament – und der letzte Nachrücker auf der Liste seiner Partei muss seinen Platz wieder räumen. Das wird in den Stadtstaaten schon lange so praktiziert, auch wenn natürlich die Fälle in der Praxis selten sind. Senatoren treten nicht oft zurück, und wenn doch, dann will man sie meistens ungern wieder in der Parlamentsfraktion aufnehmen.


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Rundblick: Sie prüfen aber auch noch andere Vorschläge, etwa die Einführung von Teilzeit-Abgeordneten. Wie meinen Sie das?

Wahlmann: Warum soll es nicht möglich werden, einen Wahlkreis nicht von einem Vollzeit-Abgeordneten, sondern auch von zwei Halbtags-Abgeordneten betreuen zu lassen? Sie würden dann weniger Diäten erhalten und sich die Arbeit als Volksvertreter teilen. Für einen Teil der Parlamentsmandate, fünf bis zehn etwa, könnte man das ja mal erproben. Das gäbe Gruppen die Möglichkeit zur Mitarbeit im Parlament, die sich ein zeitintensives Vollzeit-Mandat nicht zutrauen – jungen Eltern beispielsweise. Auch eine solche Veränderung könnte man erwägen.

Rundblick: Was die Frauenförderung angeht, hat jüngst die CDU-Politikerin Ute Krüger-Pöppelwiehe einen Vorschlag unterbreitet: Man solle die Zahl der Wahlkreise halbieren und dafür für jeden der – vergrößerten – Wahlkreise zwei Abgeordnete wählen, einen Mann und eine Frau. Dazu würde die Erststimme reichen, man würde dann in jedem Wahlkreis ein Tandem wählen, das sich anschließend die Wahlkreisarbeit teilt. Was halten Sie davon?

Wahlmann: Das finde ich gar nicht schlecht. Auch wenn viele Parteien schon ein Reißverschlussverfahren auf ihren Listen haben (auf jeden Mann muss zwingend eine Frau folgen), ist der Frauenanteil im Landtag gesunken – weil in den erfolgversprechenden Wahlkreisen eben doch meistens Männer nominiert werden. Der Vorschlag wäre ein Mittel dagegen.

Rundblick: Sie prüfen Reformvorschläge juristisch und verfassungsrechtlich. Das soll in Ihre Doktorarbeit münden…

Wahlmann: Ja. Ich strebe an, gegen Ende des Jahres Ergebnisse zu meinen Überlegungen haben.