Der Vorsitzende des Handelsausschusses im EU-Parlament, Hannovers SPD-Europaabgeordneter Bernd Lange, sieht als klügsten Pfad aus der Brexit-Krise eine Verständigung zwischen der konservativen Tory-Partei und der Labour-Partei in London an. „Wenn Theresa May und Jeremy Corbyn sich auf eine weichere Art des Brexit verständigen, wäre das unter den gegenwärtigen Voraussetzungen die beste Lösung für alle“, sagte Lange gestern in einer Pressekonferenz in Hannover.

Tiemo Woelken (von links), Stephan Weil und Bernd Lange beim Auftakt des SPD-Europawahlkampfes in Hannover. Foto: kw

Eine solche Verständigung sei kurzfristig in dieser Woche möglich, und Gegenstand einer Vereinbarung könne eine Zollunion zwischen Großbritannien und der EU sein, außerdem eine weitgehende Freizügigkeit. „Sollte ein solcher Beschluss zustande kommen, hätten die EU und die britische Regierung anschließend 21 Monate lang Zeit, alle Details für Sonderregeln, den Handel und die innere Sicherheit betreffend, festzulegen.“

Es kann sonst auch zu einem harten Brexit kommen. Für diesen Fall ist die EU allerdings ebenfalls gerüstet.

Die mit diesem Weg verbundene Gefahr sei zwar, dass das traditionelle Parteiensystem gesprengt werden könnte, weil zumindest in der konservativen Partei die Brexit-Hardliner die Tories dann verlassen könnten. Aber das sei hinnehmbar. Lange, der niedersächsischer Spitzenkandidat der SPD für die Europawahl ist, sieht noch einen zweiten – nach seiner Meinung wesentlich unangenehmeren – Weg: „Es kann sonst auch zu einem harten Brexit kommen. Für diesen Fall ist die EU allerdings ebenfalls gerüstet.“ Es seien dafür 20 Gesetze in Vorbereitung, die zumindest für die Übergangszeit die Anerkennung von Freizügigkeit, die Zulassung von Fahrzeugen und Medikamenten und das Arbeitsrecht betreffen.

Lange und der zweite niedersächsische SPD-Europaabgeordnete, Tiemo Wölken aus dem Kreis Cuxhaven, der in Osnabrück wohnt, wurden gestern vom SPD-Landesvorsitzenden Stephan Weil in Hannover vorgestellt. Der Hannoveraner Lange, der 1994 erstmals ins EU-Parlament kam, sieht als großen Verlierer eines Brexit vor allem die Briten selbst. „Ein solcher Schritt würde der größte Souveränitätsverlust in der Geschichte Großbritanniens werden.“


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Als Vorsitzender des Handelsausschusses im EU-Parlament ist der 63-Jährige maßgeblich an der Entstehung verschiedener Abkommen beteiligt gewesen – so jüngst an einem Vertrag mit Japan. „Jetzt wird auch niedersächsischer Käse in Japan verkauft“, erklärte der SPD-Politiker. Es gehe bei einer Vielzahl von Vereinbarungen um faire Bedingungen und den Schutz von Arbeitsnormen. Zusammenhalten müsse die EU auch bei der Abwehr protektionistischer Konkurrenz – etwa was die Stahlproduktion und den Konflikt mit China und den USA angehe. Neben der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit gehe es auch um die zunehmende Beachtung der Klimaregeln, eine „kohlendioxidfreie Stahlproduktion“ werde als Ziel angepeilt. Wichtig sei dabei, die europäische Forschungsförderung neu aufzustellen und die EU-Strukturförderung zu erhalten.

SPD will ein sozialeres Europa

Die SPD will nach Weils Worten „ein sozialeres Europa“ als ihr großes Ziel in den Mittelpunkt des Europawahlkampfes stellen. In der Vergangenheit habe man „zu viel über die Wirtschaft, zu wenig über soziale Bedingungen“ gesprochen. Die Themen Jugendarbeitslosigkeit und Mindestlohn hätten auf EU-Ebene ein zu geringes Gewicht. „Es ist zu bezweifeln, ob es klug war, sich nach Ausbruch der Weltfinanzkrise in der EU allein auf das Sparen zu konzentrieren“, sagte der Ministerpräsident. Lange ergänzte, die Frage der Alterssicherung für Selbstständige oder die Frage der Regeln für befristete Arbeitsverträge könne auch auf europäischer Ebene geklärt werden.

Der Europaabgeordnete Wölken erklärte, er setze nach wie vor Hoffnungen in ein zweites Referendum zum Brexit in Großbritannien. Dies sei auch eine Generationenfrage, weil viele jüngere Briten sehr viel europafreundlicher seien als die älteren, erklärte der 33-jährige Wölken. Die SPD hatte bei der Europawahl 2014 bundesweit 27,3 Prozent erreicht, in Niedersachsen 32,5 Prozent. Weil meinte, mit dem Rückenwind des guten Ansehens der Landes-SPD könne sich die Partei hierzulande bei der Europawahl „an die 30-Prozent-Marke heranarbeiten“.